1. August 2017: 100 Jahre Jubiläum Wipkinger Glockenstreik

Am 1. August 1917 erhitzte ein Beschluss der Kirchenpflege Wipkingen die Gemüter – zuerst im Quartier, dann in der ganzen Stadt. Die strittige Frage von damals ist bis heute aktuell: Was hat Politik mit Religion zu tun? Die aktuelle Kirchenpflege organisiert am Nationalfeiertag einen Blick zurück in ein bewegtes Stück Quartiergeschichte.

Ernst AItwegg, hier mit Konfirmandinnen auf einem Bild von ca. 1929, lebte von 1870 bis 1955.

Zürich im Jahr 1917. Der Erste Weltkrieg tobt. Er hat hat die Situation der werktätigen Bevölkerung massiv verschlechtert. Armut, ja Hunger breitet sich aus, während die Exportindustrie und Banken vom Krieg profitieren – nicht zuletzt mit Munitionsexporten an die kriegsführenden Staaten. Aber der Widerstand gegen den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln wächst. Der Ausschluss des Militärdienstverweigerers Max Kleiber – eines vom religiösen Sozialismus geprägten Pazifisten – vom Studium an der ETH Zürich bewegt die evangelisch-reformierte Kirchenpflege Wipkingen zu einer ungewöhnlichen Protestaktion: Die Kirchenglocken sollen am Abend des Nationalfeiertages schweigen. Die handfeste bürgerliche Reaktion folgt auf dem Fuss, der Stadtskandal ist perfekt. Pfarrer Ernst Altwegg (siehe Infobox) muss am 2. September 1917 versuchen, die Wogen zu glätten. Denn die Wipkinger Kirchgenossen haben nachträglich über den Entscheid ihrer Kirchenpflege zu befinden. Pfarrer Altweggs Rechtfertigungsrede ist brillant (siehe nebenstehenden Artikel). Aber überzeugen kann er damit nur eine ganz knappe Mehrheit der Versammlung.

Peter Egloff

Pfarrer Ernst Altwegg
Ernst AItwegg lebte von 1870 bis 1955. Der thurgauische Bauernsohn studierte Theologie in Basel, Jena und Zürich und wurde 1894 ordiniert. Sein erstes Pfarramt trat er in Fuldera im Münstertal an, weitere Stationen seines Wirkens waren Rebstein SG, Sitterdorf-Zihlschlacht, Heiden und von 1911 bis 1935 Zürich-Wipkingen. Schon früh hatte er sich der religiös-sozialen Bewegung um den Theologieprofessor Leonhard Ragaz angeschlossen. Der Nekrolog im Kirchenboten für den Kanton Zürich würdigt Ernst Altwegg als «unerschrockenen Kämpfer, als kantige und doch liebenswerte Charaktergestalt von Format».

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