Der letzte Akt im Wasserreservoir

Ein Tisch. Ein Stuhl. Ein Fisch. Eine Mikrowelle und eine Tiefkühltruhe. Mehr Requisiten braucht das Theaterstück «Unter Eis» nicht, um unter die Haut zu gehen.

Flavio Dal Molin überzeugt als Paul Niemand.
Unter Eis von Falk Richter, inszeniert von kollektiv 20-14, Regie: Michèle Hirsig
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Die Zuschauer haben sich warm angezogen, die Decken liegen auf den Stühlen bereit. Es ist kalt hier drinnen. Die Kulisse: Der alte Maschinenraum im stillgelegten Wasserreservoir an der Rosengartenstrasse. Kontrollraum und Gefängnis zugleich. Paul Niemand, die Hauptfigur in Falk Richters Kammerspiel, läuft unruhig hin und her. Zwischen Pult und Tiefkühltruhe spannt sich die Geschichte auf, das «Universum, das noch nicht bemerkt hat, dass ich da bin». Als ungeliebtes Kind einer düsteren Mutter und eines unfähigen Fluglotsen wächst er mit einer farblosen Schwester auf einem ebensolchen Flugplatz auf. Doch immer alleine, denn keiner will mit ihm zusammen sein. Also flüchtet er in die Welt seiner Gedanken und ist dort alle Menschen, die er zum Überleben braucht. Dennoch, das Leben fühlt sich an wie unter Eis, kein Gefühl, keine Liebe. Seine Schreie verhallen ungehört. In Filmsequenzen, die an die Wand projiziert werden, sucht er nach einem Ausweg aus der Kälte, die ihn umschliesst. Nackt irrt er durch die dunklen Hallen des Wasserreservoirs, rennt gegen die Wand, versucht, sie weg zu drücken. Ohne Erfolg. «Wenn ich abwesend bin, bemerkt mich keiner». Es sind solche Sätze, bei denen einem das Lachen in den Lungen gefriert. Aus dem jungen Paul Niemand wird ein erwachsener Berater. Er rationalisiert Arbeitnehmer weg. Während er am Pult gefrorenes Gemüse hakt und zusammen mit einem tiefgekühlten Fisch in einen Plastikbeutel steckt, um es in der Mikrowelle zu garen, zieht ein Geruch von gekochtem Fisch durch den Raum – ein cleverer Kniff der Regie. Er ist festgefroren, in einer Welt, in der Menschen nichts weiter sind als nackte Zahlen. Das Universum hört ihn noch immer nicht. Flavio Dal Molin meistert dieses beklemmende Ein-Personen-Kammerstück überzeugend. Das Laut-Leise-Spiel beherrscht er, und obwohl die Verzweiflung die Figur in den Wahnsinn treibt, vermeidet der Schauspieler es, die Figur zu überdreht zu zeigen. So steht Paul Niemand für jeden, der an einem unmenschlichen System zu zerbrechen droht. Ein philosophisches und ästhetisches Stück, das noch lange nachhallt.

Inszeniert vom KOLLEKTIV-20-14, Zürich. www.kollektiv-20-14.ch

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