«Gegrüsst seist du, Maria»

Seit über fünfhundert Jahren ertönen in Wipkingen die Glocken. Die erste Glocke in Wipkingen war einer Frauengestalt gewidmet, der heiligen Jungfrau Maria. Die mittlere Glocke im Guthirt heisst noch heute «Mariaglocke». Eine Chronologie der Wipkinger- Glockengeschichte.

Glockenaufzug bei der katholischen Kirche Guhirt 1933.

1500

Im Jahr 1500 ertönte erstmals die Marienglocke im Dorf und rief weit ins Land hinaus. Der Sinnspruch, der das Marienglöcklein zierte, ist der Anfang des Evangelischen Grusses «Gegrüsst seist du, Maria … »:
«Ave.Maria.gracia.dominus.tecum.
MCCCCC.»

1601

Nachdem das alte Kirchlein an der Limmat nach der Reformation für 75 Jahre geschlossen war, traten die Wipkinger Gläubigen mit untertänigster Bitte an die gnädigen Herren des Rats. Es möge der Gemeinde erlaubt werden, die alte Kapelle als neue Kirche herzustellen. Der Rat erfüllte diesen Wunsch, und das Grossmünster gab seinen Segen. Der erste reformierte Pfarrer hiess Rudolf Lehmann. Als Erstes erfüllten sich die Wikinger ihren Wunsch nach Glockengeläut; sie erstellten das Gebälk im Glockenturm neu, deckten das Dach mit roten Ziegeln und gaben eine neue Glocke in Auftrag. Ein kleiner Turm mit Helm schmückte nun das Dach. Zwei Glocken erklangen wieder in der Gemeinde: Das Marienglöcklein aus dem Jahr 1500 rief die Kirchgänger wieder zum Gottesdienst, nun zusammen mit der neuen, grösseren Glocke. Das Marienglöcklein trug zur Zier immer noch den Evangelischen Gruss wie ehedem. Die grössere Glocke trug die Inschrift:
«Ich mahn’ die Gmeind zur Christenpflicht
Und rufe, wenn Gefahr usbricht.»

1704

Die grössere Glocke verlor ihren Klang, und die Gemeinde orderte ein neues Geläut. Es bestand nun aus drei Glocken: Die kleinste war die Marienglocke aus dem Jahr 1500. Zwei neue Glocken erklangen mit ihr zu einem Geläut in C-Dur mit den Tönen C, D und E. Die mittlere Glocke mit Ton D trug die Inschrift:
«Kommet zusammen, lobet des Herrn Namen» und «Moritz Füssli goss mich zu Zürich».
Auf der grossen Glocke, Ton C, aus dem gleichen Jahr, stand:
«Aus Hitz und Feuer bin ich geflossen,
Moritz Füssli zu Zürich hat mich gegossen.»

1859

Das Geläut ersetzte jenes von 1704 und bestand wiederum aus drei Glocken in G-Dur mit den Tönen G, H und D und einem Gesamtgewicht von 2564 Pfund. Salomon Rütschi spendete 300 Franken für das neue Geläut, ebenso spendeten viele Dorfbewohner einen Batzen. Pfarrer Johann Ulrich Rüdin führte die Glockenweihe durch. Nach der Glockenweihe pflanzten die Kirchgänger eine Linde im Rötel an der Ecke Lägernstrasse / Rötelstrasse und vergruben im Wurzelstock eine Urkunde in einem verlöteten Bleirohr.
Die Glocke mit Ton G und einem Gewicht von 710 Kilogramm trug die Inschrift:
«Ehre sei Gott in der Höhe» und «Kommet zusammen».
Die mittlere mit Ton H und 354 Kilogramm:
«Friede auf Erden» und «Lobet des Herrn Namen».
Und die kleinste läutete im Ton D und wog 219 Kilogramm:
«An den Menschen ein Wohlgefallen» und «In Ewigkeit Amen».

1909

Der Glockenaufzug am Mittwoch, dem 13. Oktober 1909, war das grösste Dorffest, das es je gab. 1’100 Schüler marschierten bei schönstem Herbstwetter mit ihren Lehrern zur Kirche. Am frühen Nachmittag eröffnete Pfarrer Otto Roth mit einer Predigt das Fest, untermalt von zwei Chorälen. Pfarrer Roth erklärte den Kindern die Glocken. Wie sie am Sonntag zur Kirche rufen und am Werktag hineintönen ins bunte Treiben der Alltäglichkeit. Die eingegossenen Sinnsprüche geben den Glocken ihre Bedeutung. Die fünf Glocken mit einem Gesamtgewicht von 8’335 Kilogramm stammten aus der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau. «O Land, Land, Land! Höre des Herrn Wort!» steht auf der grössten Glocke, dem Grundton B. Sie ruft mit ihrem gewaltigen Ton am Sonntag hinaus ins Land zum Kirchgang. Die zweite Glocke klingt ernst und schwer, es ist die Totenglocke. «Selig sind die Toten, die im Herrn sterben» verheisst sie. Wenn sie alleine klingt, ruft sie zum letzten Gang und verkündet Trost für die Lebenden und Toten. Die dritte Glocke wird alleine am häufigsten läuten. «Bete und arbeite!» heisst es da. Sie erklingt jeden Tag, morgens, mittags und abends, am Sonntag und am Werktag. Sie ermuntert zum täglichen Gebet und ermahnt die Menschen zum Fleiss. «Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke schaffen» heisst es im alten Gebot. Die Arbeit ist keine Last, sondern gottgewollte Pflicht und gibt dem Leben rechten Inhalt und wahren Wert. Die beiden kleinen Glocken erklingen in den oberen Tönen des Mollakkords. Sie werden nicht alleine geläutet. Sie geben dem Geläut den Klang. «Ehre sei Gott in der Höhe!» ruft die eine, «Friede auf Erden!» die Kleinste. Es sind die gleichen Sprüche, welche zwei Glocken im alten Kirchlein zierten. Die Glocken verkünden auch die Zeit: Die grösste schlägt den Stundenklang; die Glocken Ges und Es schlagen die Viertelstunden.

Die Glocken der reformierten Kirche:
I. Glocke: in B, 3509 kg: «O Land, Land, Land! Höre des Herrn Wort!»
II. Glocke: in Des, 2105 kg: «Selig sind die Toten, die im Herrn sterben!»
III. Glocke: in Es, 1440 kg: «Bete und arbeite!»
IV. Glocke: in Ges, 840 kg: «Ehre sei Gott in der Höhe!»
V. Glocke: im hohen B, 441 kg: «Friede auf Erden!»

1923

Beim Bau der katholischen Guthirt-Kirche fehlte anfänglich das Geld für eine Orgel und ein Geläut. Zehn Jahre lang sparte die Kirchgemeinde, dann orderte die Glockenkommission ein Geläut bei der Glockengiesserei Rüetschi in Aarau. Der Glockenguss erfolgte am Herz-Jesu-Freitag, dem 2. Juni, 1933 im Beisein einer Wipkinger Delegation. Die Glockenweihe fand am 24. Juni 1933 durch Bischof Laurentius statt, musikalisch begleitet vom Cäcilienverein. Den genauen Tag des Aufzugs kennt man nicht mehr, es war in der Woche nach der Glockenweihe.

Die Kirche steht akustisch an einem besseren Ort als die reformierte, wodurch die Glocken im Quartier besser zur Geltung kommen. Die sechs Guthirt-Glocken bestehen aus einer Legierung von 78 Prozent Kupfer und 22 Prozent Zinn. Nebst den Haupttönen As, B, Des, Es, F und As klingen auch die Obertöne mit. Es sind bei allen Glocken die jeweiligen Nebentöne: Oberterz, Oberquint, und Ober- und Unteroktav. Der Hauptton der Glocke erklingt im mittleren Schlagring, wo der Klöppel aufschlägt. Die Terz schwingt im unteren Viertel der Glocke, die Quint etwa in der Mitte, die Oberoktav nahe am Abschluss und die Unteroktav am äussersten Rand der Glocke. Das Probeläuten am 1. Juli 1933 beeindruckte die Kirchgemeinde. Das Geläut bildet eine harmonisch-melodische Tonfolge. An Silvester 1933 begrüssten die Guthirt-Glocken bei der zweiten Eingemeindung das Nachbarquartier Höngg, das fortan mit Wipkingen den Kreis 10 bildete.

Die Glocken der Guthirt-Kirche:
Guthirtglocke – As, 5’015 kg: «Ich bin der gute Hirt, die Schafe kennen mich, weil sie meine Stimme hören.»
Josephsglocke – B, 3’612 kg: «Hl. Josef, hilf uns zu einem unschuldigen Leben und sei unser mächtiger Schutzpatron im Sterben.»
Mariaglocke – Des, 2’015 kg: «Bei meinem Klange erinnere sich das Volk Mariens.»
Theresienglocke – Es, 1’444 kg: «Was ich gewünscht, sehe ich, was ich
gehofft, geniesse ich, im Himmel bin ich bei ihm, den ich auf Erden innigst geliebt habe.»
Annaglocke – F, 1’085 kg: «Allmächtiger Gott, gewähre gütigst durch die Fürsprache der hl. Anna unsern Familien Deine Hilfe.»
Schutzengelglocke – As, 636 kg: «Ihre Engel schauen immer das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist.»

1955

Für die neue Kirche im Letten stiftete ein «ungenannt sein wollender Spender» der Giesserei Rüetschi in Aarau eine Glocke im Gewicht von 500 Kilogramm, unter der Bedingung, dass das Gebäude spätestens innert fünf Jahren errichtet werde. Architekt Baumgartner schlug vor, angesichts des eher kleinen Hauptsaals mit 350 Sitzplätzen, anstelle einer grossen, zwei kleinere Glocken im Türmchen erklingen zu lassen. Das Pfarrkollegium empfahl der Kirchgemeindeversammlung einen Psalm und einen Vers aus dem Lukas-Evangelium zur Zierde der Glocken. Psalm 33,4 ziert die kleinere Glocke in der Lettenkirche (Ton Es, 170 kg): «Des Herrn Wort ist wahrhaftig.» Auf der grösseren Glocke steht Vers Lukas 11,28 (Ton C, 300 kg): «Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.»

«Zusammen ergeben die beiden Glocken einen wohltönenden Gesamtklang. Sie ordnen sich harmonisch in das mächtige Geläut der umliegenden Kirchen ein und lassen im Einklang mit dem Stadtgeläute ihre kleine Stimme erklingen.» (Zitat aus dem «Glockenbüchlein vom Letten» von 1955).

Quellen: Die neue Kirche in Wipkingen. Denk-Schrift verfasst von Pfarrer Otto Roth, 1910.
Martin Bürlimann, Kurt Gammeter: Glockengeläut – Vom Kilchli zur Kirche Wipkingen, Wibichinga Verlag, 2009.

Zeittafel
820 Erstmalige urkundliche Erwähnung des Weilers Wibichinga
1270 Erste urkundliche Bezeugung einer Kirche in Wibichinga
1500 Erste Kirchenglocke: Marienglöcklein, Ton E
1524 Reformation in Zürich, die Kirche wird geschlossen, das Geläut verstummt
1601 Restauration und Wiedereröffnung der Kirche mit zwei Glocken
1704 Umbau des Kirchleins, Geläut aus drei Glocken in C Dur, C, D, E; die kleinste (Ton E) war die Marienglocke aus dem Jahr 1500
1859 Glockenweihe, Geläut aus drei Glocken in G Dur; G,H, D
1909 Glockenaufzug in der neuen Kirche; 5 Glocken mit B, Des, Es, Ges, B
1923 Katholische Kirche Guthirt, Einweihung am 7. Oktober
1933 Glockenweihe im Guthirt; 6 Glocken mit As, B, Des (Mariaglocke), Es, F, As
1955 Bau der Kirche Letten, Einweihung am 6. November; zwei Glocken Es, C
1982 Turmrenovation mit Erneuerung des Glockenstuhls

 

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