Himmel und Hölle

Wipkingen ist ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Unter den vielen Ausländern ist auch Michael Gebretinsae Fisseha, ein ehemaliger Kampffliegerpilot aus Eritrea, der sich als Sakristan des Pfarramts Guthirt hervorragend in die Gesellschaft integriert hat.

Höflich, elegant, ruhig: Der 40-jährige Michael Gebretinsae Fisseha

Herr Gebretinsae Fisseha, Sie haben zwei Nachnamen. Ist das in Eritrea so üblich?

Das sind keine Nachnamen im eigentlichen Sinne. In Eritrea werden den Namen aller Männer die Vornamen von Vater und Grossvater angefügt. Bei den Frauen die Namen ihrer Mütter und Grossmütter.

In Eritrea waren Sie Kampffliegerpilot für das Militär. Haben Sie schon mal einen Einsatz geflogen?

Nein, ich habe nur den Piloten-Grundkurs gemacht. Geflogen bin ich ein paar Stunden mit einem leichten Flugzeug, aber noch nie mit einem Kampfjet. Ich habe mich geweigert, Kampfeinsätze zu fliegen, ich wollte am Krieg nicht teilhaben. Später habe ich mich dann zum Flugzeug-Maschinentechniker ausbilden lassen und einige Jahre auf diesem Berufsfeld gearbeitet.

Haben Sie Probleme gekriegt, weil Sie nicht am Krieg teilnehmen wollten?

Sicher, ja. Ich wurde mehrere Male wegen Kriegsverweigerung ins Gefängnis geworfen. Sprich, ich hatte viele Fragen und Ideen bezüglich meiner Kollegen, die im Krieg gestorben waren. Das gefiel der Regierung gar nicht, also warfen sie mich ins Gefängnis. Das war eine schwierige Zeit für mich.

Hatten Sie damals schon den Glauben?

Ja, ich wurde christlich erzogen, meine Eltern sind sehr gläubig. Ich bin immer in die Kirche gegangen und habe auch ministriert.

Dann haben Sie Ihre eigene Familie gegründet. Wie haben Sie Ihre Frau kennengelernt?

Meine Eltern hatten einen kleinen Laden. Ein- bis zweimal im Monat habe ich sie dort besucht. Die Grosseltern meiner Frau wohnten gleich nebenan, und schliesslich habe ich meine Frau an einer Bushaltestelle getroffen. Wir haben geheiratet und drei Kinder bekommen.

Nach Ihrer Flucht mussten Sie die Familie zurücklassen.

Meine Eltern sind zuerst geflüchtet. Mein Vater war Lehrer und Schauspieler. Wegen einer Theateraufführung, die gegen die Regierung gerichtet war, musste er mit meiner Mutter das Land verlassen. Eine Tante aus Amerika hat ihnen während der Flucht geholfen. Sie sind seit neun Jahren hier in der Schweiz. Vor fünf Jahren holten sie mich nach.

Wie ist Ihre eigene Flucht verlaufen?

Es bot sich eine Möglichkeit, aus dem Gefängnis auszubrechen: Ich war krank und sehr schwach, deshalb brachten sie mich in ein Militärspital. Ein Verwandter von mir hat die Wachsoldaten bestochen und meine Flucht organisiert. So kam ich direkt nach Äthiopien, wo ich in einem Asylzentrum unterkommen konnte. Die Leute in Äthiopien wussten, dass ich ein Kampfpilot war, daher war es für mich dort nicht mehr sicher. Also versuchte ich, weiter in den Sudan zu flüchten. Während dieser Flucht bekam ich Probleme, denn die Schlepper hatten irgendwie in Erfahrung gebracht, dass ich Verwandte in Europa habe und wollten mich entführen, um Lösegeld zu erpressen. Zusammen mit einem Freund konnten wir fliehen, als ihr Auto einmal kurz angehalten hat. Ihre Kugeln verfolgten uns und trafen meinen Freund am Unterarm. Wir hatten Glück und konnten entkommen. Inzwischen hatten meine Eltern den Leuten im Migrationsamt meine Situation erklärt, und ich konnte schliesslich vom Sudan in die Schweiz einreisen.

Haben Sie in der Schweiz gleich Arbeit bekommen?

Nein. Zuerst war ich auf die Hilfe meines Freundes angewiesen, der hier im Pfarramt Guthirt Hausmeister und Sakristan war und in Wipkingen, beim Röschibachplatz, wohnte. Dank ihm und der eritreischen Gemeinde, die im Guthirt ihre Treffen veranstaltet, wurde ich gut in das Quartier integriert. Dann arbeitete ich zuerst als Aushilfssakristan hier im Guthirt und zehn Monate auf der Baustelle. Ich habe eine F-Bewilligung, das heisst, ich muss drei Jahre in der Schweiz gewohnt und gearbeitet haben, bevor ich meine Familie zu mir holen kann. Deshalb will ich arbeiten und arbeiten, bis ich dann eines Tages meine Familie wieder in die Arme schliessen kann.

Gefällt es Ihnen hier in Wipkingen?

Ja, es ist sehr schön hier. Es war der erste Ort, den ich kennengelernt hatte, als ich hierher kam. Ich habe auch mehrere Jahre auf dem Röschibach-Weihnachtsmarkt gearbeitet und fühle mich hier sehr wohl. Es ist der einzige Ort in Zürich, den ich kenne.

Fühlen Sie sich gut aufgenommen und akzeptiert?

Ja, sehr. Die Menschen hier sind sehr freundlich. Ich habe auch sehr viele Freunde, die im Quartier wohnen. Es ist etwas ganz anderes als das menschenunwürdige Leben in Eritrea. Ich fühle mich gut hier und versuche deswegen, immer alles richtig zu machen.

Was sagen Sie zu den Leuten, die wie Sie aus Kriegsgebieten zu uns in die Schweiz geflohen sind und sich nicht so gut integriert haben?

Ich finde das gar nicht in Ordnung und fühle mich auch schlecht deswegen. Man sollte, gerade als Flüchtling, als Erstes die Kultur des fremden Landes kennenlernen und die Leute respektieren. Während meiner Arbeit auf dem Bau habe ich viele Leute aus verschiedenen Ländern kennengelernt, die über die Schweiz geflucht haben. Ich empfinde mich hier als Gast und denke, dass Leute, die so gegen die Schweiz wettern, wieder in ihr Heimatland zurückgehen sollten. Die Schweiz ist ein sehr spezielles und schönes Land und die Leute, die hier arbeiten, sollten sich ihr anpassen und stets pünktlich und sauber sein. Ebenso sollten sie mitmachen und mithelfen, wo sie nur können. Mir geht es sehr gut hier, ich habe eine Wohnung und alle Möglichkeiten, die ich in meinem Land nicht hatte. Man sollte dennoch nicht vergessen, woher man kommt.

Wie helfen Sie anderen Eritreern, sich in der schweizerischen Kultur zurechtzufinden?

Ich versuche, ihnen zuerst zu erklären, dass es das Wichtigste ist, einen Sprachkurs zu machen. Erst als Zweites kommt die Arbeit hinzu. Ich habe auf der Baustelle beobachtet, dass die Leute oft nur in ihrer eigenen Sprache sprechen. Das verstehe ich nicht. Ich finde, vor allem auch junge Menschen sollten sich die Zeit nehmen, Deutsch zu lernen und nicht nur Party machen. Es braucht einen guten Ausgleich, zwischen dem Geniessen des Lebens und der kulturellen Integration.

Haben Sie mit den Schweizern auch schon schlechte Erfahrung gemacht?

Wissen Sie, ich ticke ähnlich wie die meisten Schweizer. Mein Vater hat mich sehr streng erzogen, daher bin ich, und auch wegen meiner Offiziersausbildung, enorm korrekt und pünktlich. Deswegen habe ich wohl auch nie schlechte Erfahrungen gemacht.

Was sagen Sie zu den Leuten, die Sie nicht akzeptieren?

Verschiedene Leute haben verschiedene Meinungen. Ich verstehe durchaus, dass nicht immer alle nachvollziehen können, welche politischen Verhältnisse in anderen Ländern herrschen. Wir Flüchtlinge sind nicht in der Schweiz, um irgendjemandem den Platz wegzunehmen. Wir sind hier, weil die Schweiz ein demokratisches Land ist und auch für die Bewahrung der Menschenrechte sorgt.

Wie würden Sie damit umgehen, wenn Ihre Familie nicht in die Schweiz kommen könnte?

Es ist sehr schwierig, ohne die Familie zu leben, gerade als Familienvater. Ich will mit meiner ganzen Familie zusammenleben. Das ist meine Hoffnung und ich bete immer zu Gott, dass sie hierher kommen kann.

Wir wünschen Ihnen viel, viel Glück dabei und ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch!

Eritrea ist ein mehrheitlich christliches Land im Horn von Afrika. Sein Militär ist eines der grössten auf dem Kontinent. Immer wieder fliehen Menschen aus diesem Land, um der Willkür des Regimes zu entkommen, das mit Tötungen und Verfolgung von Unschuldigen international auf sich aufmerksam gemacht hat. Die Pressefreiheit in Eritrea rangiert weltpolitisch auf dem vorletzten Platz, knapp vor Nordkorea. In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der eritreischen Asylbewerber auf 10’000 gestiegen.

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