Leben im Dreieck

Direkt beim Wipkingerplatz, zwischen Höngger – und Breitensteinstrasse, ersetzt die Baugenossenschaft «Denzlerstrasse Zürich» ihre alten Wohnhäuser komplett durch Neubauten. Wie kam es dazu und wie erleben Alteingesessene und Neuzuzügler das Leben in der alten, neuen Genossenschaft?

Martha Gnehms Balkon und ihre Aussicht.
Dagmar Lombris mit ihrem Sohn.
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Die Bauarbeiten auf dem Areal der Genossenschaft «Denzlerstrasse» an der Hönggerstrasse beim Wipkingerplatz sind unübersehbar. Bereits seit vier Jahren wird hier auf grosser Fläche geräumt, abgerissen und neu gebaut, und wer mit dem 13er-Tram vorbeifährt, kann stets den Baufortschritt beobachten. Während die auffälligen, dreieckigen Neubauten bereits fertiggestellt und bezogen sind, stehen stadtauswärts Richtung Höngg noch Baugerüste und es wird intensiv gearbeitet. Bis Juli jedoch wird auch die dritte und letzte Bauetappe fertiggestellt sein. Dann werden alle Neubauten bezogen sein und für die Mieterinnen und Mieter der Genossenschaft endlich wieder Normalität einkehren.

Mehr Wohnraum auf der gleichen Fläche schaffen

Seit Baubeginn im Jahr 2013 wurden hier 17 alte Wohnhäuser abgerissen und durch zwölf Neubauten ersetzt. Peter Keller von der Verwaltung der Baugenossenschaft Denzlerstrasse erklärt, warum dieser drastische Schritt notwendig war: «Die alten Gebäude der Genossenschaft, die hier an der Hönggerstrasse und im Sydefädeli standen, waren bereits über 80 Jahre alt und Renovierungsarbeiten dringend notwendig. Im Jahr 2003 prüfte daher der Vorstand mittels einer Studie, was mit den alten Gebäuden geschehen sollte. Schnell war klar, dass eine Sanierung eigentlich wenig Sinn machen und viel eher ein Neubau in Frage kommen würde». Es war nicht nur der Zustand der Wohnungen, der zum Abrissentscheid führte, sondern vor allem auch der nicht mehr zeitgemässe Ausbaustandard und die Grösse der Wohnungen. Die meisten der Wohnungen seien 2- oder 3- Zimmerwohnungen gewesen, so Keller, so dass kaum noch Familien in der Genossenschaft gelebt hätten. Es sei daher nach einer Lösung gesucht worden, auf der gleichen Fläche mehr und vor allem auch grössere Wohnungen unterzubringen. An der Generalversammlung 2003 wurde dieser Entscheid den Genossenschafterinnen und Genossenschaftern zur Abstimmung vorgelegt und von diesen eindeutig befürwortet. «Anschliessend», so Keller weiter, «wurde die Projektierung des Areals von der Baukommission der Genossenschaft in einem Wettbewerb ausgeschrieben, wobei das «Triangoli-Projekt» mit den charakteristischen dreieckigen Häusern das Rennen machte.» Hatten die meisten anderen Projekte eine klassische Blockrandüberbauung beinhaltet, bestach dieser Entwurf von «Pool Architekten» aus Sicht der Genossenschaft durch seine Durchlässigkeit und die optimale Nutzung der Wohnfläche. Auf einem normalen Stockwerk der dreieckigen Häuser finden sich so jeweils eine 2,5, eine 3,5 und eine 4,5-Zimmer-Wohnung nebeneinander. Das soll nicht nur für viel Platz, sondern auch für eine optimale Durchmischung unter den Mietparteien sorgen.

Umzug und Neuanfang

Gegen die Pläne der Genossenschaft regte sich zunächst Widerstand aus dem Quartier, vor allem aufgrund der geplanten Höhe der Gebäude, was dazu führte, dass die Genossenschaft auf ein Stockwerk verzichtete. So wurde schliesslich mit dreijähriger Verspätung mit Bauen begonnen. Für die 100 Mieterinnen und Mieter, die zu Beginn der Bauarbeiten noch in der Siedlung lebten, mussten nun Ersatzwohnungen gefunden werden, teilweise innerhalb der Siedlung in leerstehenden oder angemieteten Wohnungen, in späteren Bauphasen auch in bereits erstellten Neubauten, teilweise aber auch ausserhalb des Quartiers in den weiteren Gebäuden der Genossenschaft an der Denzlerstrasse. Aus den 143 alten Wohnungen wurden 176 neue, mit Platz für insgesamt rund 300 Bewohnende. Bei der Vergabe der Wohnungen wurden zunächst die Genossenschafterinnen und Genossenschafter berücksichtigt, die alle nach der Bauphase in die Siedlung zurückkehrten. «Natürlich wurde den Mitgliedern der Genossenschaft eine Wohnung in den Neubauten garantiert», erklärt Keller das Vorgehen, «sie konnten sich bereits mittels der Baupläne ein Bild der entstehenden Wohnungen machen und sowohl in Bezug auf das Haus als auch bezüglich des Stockwerks ihre Wünsche äussern». Auch Kinder und Enkel von Genossenschafter sowie Bewohnerinnen und Bewohner der Liegenschaft an der Denzlerstrasse wurden bei der Wohnungsvergabe mit Vorrang behandelt, bevor die freien Wohnungen ausgeschrieben wurden. Der Andrang auf die Wohnungen, so berichtet Keller, sei riesig gewesen: «Wir haben die Wohnungen lediglich einmal auf unserer Homepage inseriert und wurden innerhalb von zwei Tagen mit rund 250 Bewerbungen überhäuft». Eine weitere Ausschreibung war weder nötig noch möglich, aus dem Pool dieser Bewerbungen konnten alle Wohnungen vergeben werden.

Im Quartier zuhause

Eine der alteingesessenen Mieterinnen ist Martha Gnehm. Sie wohnt bereits seit dem 5. März 1979 in der Siedlung der Genossenschaft, so genau kann sie das datieren. Damals war sie mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann aus dem Einfamilienhaus in Schwamendingen in eine 3-Zimmer-Wohnung nach Wipkingen umgezogen, weil der Sohn mit seiner eigenen Familie das Haus übernommen hatte. Als gebürtige Wipkingerin fühlt sie sich im Quartier seit jeher wohl, und ein Wegzug kam für sie trotz Bauarbeiten und Umzugsstress nicht in Frage. Im August 2015 hiess es daher: Koffer und Umzugskisten packen und für fünf Monate in einen bereits bezugsbereiten Neubau im Sydefädeli ausweichen, bis die von ihr gewünschte Wohnung fertig war. «Das war zwar stressig, doch das von der Verwaltung organisierte Umzugsunternehmen und meine Kinder und Enkel haben die beiden Umzüge souverän bewältigt, so dass für mich gar nicht so viel Arbeit übrigblieb», erzählt die 85-Jährige. Im Neubau lebt sie nun in einer 2,5- Zimmerwohnung im obersten Stock eines der dreieckigen Häuser und geniesst ihre schöne Wohnung und die Aussicht über die ganze Stadt. Mit dem Leben in der Genossenschaft ist sie nach wie vor rundum zufrieden, auch wenn sie längst noch nicht alle ihrer neuen Nachbarn kennt. «Ich kenne die Leute, die bei mir im Haus wohnen, nicht alle mit Namen, aber wenn wir uns im Gang begegnen, grüssen wir uns immer freundlich. Ich weiss auch, dass ich mich jederzeit an meine Nachbarn wenden könnte, falls ich einmal Hilfe bräuchte – das ist für mich sehr beruhigend», erzählt Gnehm.

Ein grosses Glück

Zu den neuen Nachbarn von Gnehm gehört auch Dagmar Lombris mit ihrer Familie. Sie hat das grosse Los gezogen, eine der begehrten 4,5-Zimmerwohnungen zu erhalten, wie sie erläutert: «Ich wollte schon immer in Wipkingen leben, weil ich dieses Quartier und die Nähe zum Fluss liebe. Zufällig habe ich vor einiger Zeit gesehen, dass hier eine Genossenschaft baut. Weil ich unbedingt eine der Wohnungen ergattern wollte, habe ich mindestens zweimal wöchentlich auf der Homepage der Genossenschaft nachgesehen, ob Wohnungen vergeben werden. Als endlich ein Bewerbungsformular online war, haben wir uns sofort beworben». Das Glück war der Familie hold und sie erhielt nach einem «Bewerbungsgespräch» mit der Verwaltung die Zusage für eine Wohnung. Anfang 2016 zog die vierköpfige Familie in ihrem neuen Zuhause ein. Sie schätzt ihre für städtische Verhältnisse günstige Familienwohnung mit dem ganz besonderen Zuschnitt sehr. Als äusserst positiv erlebt die junge Familie auch das Quartierleben und das funktionierende Zusammenleben in der Genossenschaft. Nicht nur unter den Bewohnern eines Hauses, sondern auch innerhalb der gesamten Genossenschaft und gegenüber der Verwaltung, die ihren Sitz ebenfalls in den dreieckigen Häusern hat, herrsche eine freundliche und vertraute Atmosphäre, erklärt Lombris. «In unserem Haus haben wir sogar einen eigenen Haus-Chat eingerichtet, auf dem man Fragen stellen, Informationen austauschen oder sich ganz einfach auch mal zum hausinternen Racletteessen im Gang verabreden kann», berichtet Lombris enthusiastisch. Ihrer Meinung nach ist das Konzept der Genossenschaft, eine gelungene Durchmischung von älteren und jüngeren Bewohnerinnen und Bewohnern, Familien und Alleinstehenden, Berufstätigen und Rentnerinnen zu schaffen, bis anhin vollumfänglich aufgegangen. Bleibt zu hoffen, dass sich auch die neuen Mieterinnen und Mieter, die in den kommenden Monaten einziehen werden, hier so wohlfühlen werden wie sie.

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