Ein Umbau wirft Fragen auf

Seit April 2017 ist das Wohn- und Geschäftshaus an der Rotbuchstrasse 72 eingerüstet. Anfänglich gingen die Arbeiten voran, doch dann wurde am 6. Dezember 2017 ein Baustopp verfügt, worauf fast ein Jahr lang kein Handwerker mehr auf dem Gerüst auftauchte. Die Geschichte einer Dauerbaustelle, die Fragen aufwarf.

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Das Eckhaus Rotbuchstrasse 72, eingerüstet seit April 2017.
Der Rötelsteig, der links am Haus vorbeigeht, ist weiterhin für den Durchgangsverkehr gesperrt.
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Der «Wipkinger» wurde aus Kreisen der Leserschaft auf die Dauerbaustelle an der Rotbuchstrasse 72, gleich bei der Nordbrücke, hingewiesen: Seit fast einem Jahr werde dort nicht mehr gearbeitet, der Anblick des Gerüsts und der seit April 2017 nicht mehr durchgängig befahrbare Rötelsteig seien eine «Zumutung», so die Kommentare. Der «Wipkinger» machte sich auf die Suche nach Fakten und stellte Fragen.

Es begann vor drei Jahren

Am 9. Dezember 2015 reichte die Bauherrschaft ein Baugesuch für einen Um- und Ausbau der Liegenschaft ein. Im Wesentlichen war vorgesehen, den Estrich im zweiten Dachgeschoss auszubauen und mit der bestehenden Wohnung im ersten Dachgeschoss zu verbinden. Da das von Architekt Johann Weidmann 1899/1900 erbaute Gebäude im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung aufgeführt war – was noch nicht einer Unterschutzstellung unter den Denkmalschutz entspricht – verfasste die Abteilung Denkmalpflege des Amts für Städtebau der Stadt Zürich wie üblich, wenn ein Baugesuch für eine solche Liegenschaft eingereicht wird, ein detailreiches Inventarblatt mit einem Feststellungsbeschluss. Darin heisst es unter anderem, dass «der äussere Charakter des Wohn- und Geschäftshauses, Formen, Proportionen und Materialien» sowie «die Volumen der Dachlandschaft» als schutzwürdig gelten, gefolgt von im Detail aufgelisteten schützenswerten Elementen von der Dachzinne bis hinunter zum Sockel.
Das Dokument hält fest, dass das Bauvorhaben im Wesentlichen die Verlängerung des Treppenhauses in das zweite Dachgeschoss, den Umbau der bestehenden Dachgeschosswohnung – mit neuem Dachbalkon gegen den Hof – und den Ausbau des Estrichs mit neuen Dachflächenfenstern zur Strassenseite hin umfasse. Von einer Erhöhung des Daches, um das Dachgeschoss und die darunterliegende Wohnung besser nutzbar zu machen, ist im Feststellungsbeschluss nicht die Rede. Jedoch wird festgehalten, dass die geplanten baulichen Massnahmen bloss zu einem untergeordneten Eingriff in die schutzwürdige Substanz führen würden. Die von der Bauherrschaft zum Baugesuch vom 9. Dezember eingereichten Umbaupläne würden den Schutzzweck nicht tangieren. Und so wurden dann Inventarblatt und Feststellungsbeschluss am 24. August vom Stadtrat abgesegnet.

Baustopp nach wenigen Monaten

Am 19. Oktober 2016 erging der Bauentscheid, im April 2017 wurde das Haus eingerüstet und die Umbauarbeiten begannen. Doch bereits am 6. Dezember 2017 verhängte das Hochbaudepartement einen sofortigen Baustopp: Die Bauherrschaft hatte das Dach der Liegenschaft ohne Einholen einer erneuten Baubewilligung für das abgeänderte Projekt um zirka 30 bis 50 cm angehoben und neue, zu grosse Dachflächenfenster eingebaut. Der Bau ruhte, das Gerüst blieb stehen – wohl nicht nur zum Ungemach der Betrachter, sondern vor allem zu jenem der Mieterschaft.

Warum wurde kein Rückbau angeordnet?

Es komme nicht häufig, aber doch vor, hält Urs Spinner, Departementssekretär des zuständigen Hochbaudepartements fest, dass Bauten erstellt werden, die nicht bewilligt sind. Es ist dann Aufgabe der Baubewilligungsbehörde zu beurteilen, ob ein Rückbau verhältnismässig ist oder nicht: «Es muss nicht zwingend rückgebaut werden, es kann auch nachträglich bewilligt werden», hält Spinner fest.
Wann zurückgebaut werden muss und wann nicht, ist nicht einfach zu entscheiden. Kurz gesagt verlangt das Planungs- und Baugesetz (PBG), gestützt auf das Legalitätsprinzip, «die Herstellung des rechtmässigen Zustands», sprich einen Rückbau, «wenn feststeht, dass eine Baute nicht nur formell, sondern auch materiell gegen das Gesetz verstösst», erklärt Urs Spinner. Allerdings relativiere das in der Bundesverfassung verankerte Verhältnismässigkeitsprinzip diesen Grundsatz. Somit seien die sich gegenüberstehenden Interessen abzuwägen und im Einzelfall zu prüfen, ob von der Bauherrschaft ein Rückbau oder eine Anpassung verlangt werden könne. «Von Bedeutung», so Spinner, «sind hierbei vor allem das Mass und das Gewicht der Abweichung von den Bauvorschriften, der Grad der Gut- beziehungsweise Bösgläubigkeit der Bauherrschaft sowie deren wirtschaftliche Interessen».
Im konkreten Fall hätten, so Spinner, die Denkmalpflege und das Amt für Baubewilligung wie immer nach einer vernünftigen Lösung gesucht, worauf mit der Bauherrschaft einvernehmlich die Unterschutzstellung der Liegenschaft vereinbart wurde.

Ein zurückgewiesener Verdacht

Am 26. September 2018 wurden die Liegenschaften Rotbuchstrasse 72 und 68 unter Denkmalschutz gestellt – im entsprechenden Dokument ist nun festgehalten, dass «eine notwendige Dacherhöhung des Estrichgeschosses um zirka 50 cm im Einvernehmen mit der Denkmalpflege und unter Einhaltung der baurechtlichen Rahmenbedingungen möglich» seien. Damit wurde faktisch abgesegnet, was unerlaubterweise längst ausgeführt worden war und zum Baustopp geführt hatte. Die Bauherrschaft brauchte nur noch ein nachträgliches Baugesuch einzureichen, welches dann von der Bausektion mit diversen Auflagen bewilligt wurde. Der Verdacht kommt leicht auf, dass mit der Bauherrschaft ein «Handel» abgeschlossen wurde: Eine Einwilligung zur Unterschutzstellung gegen eine nachträgliche Bewilligung der Erhöhung des Dachgeschosses. Urs Spinner weist dies im Namen der Baubehörden vehement zurück: «Die Denkmalpflege hat ihres Amtes gewaltet, eine fachlich fundierte Beurteilung vorgenommen und die Sachlage mit Augenmass und Vernunft beurteilt». Die Dacherhöhung sei eine Baumassnahme, die eine formelle Schutzabklärung vorausgesetzt habe und nicht mit einem Feststellungsbeschluss bewilligt werden konnte. Vor allem seien bei den Überlegungen auch die angebaute Nachbarliegenschaft miteinbezogen worden und dieser neue, grössere Schutzumfang erlaube nun eine einheitliche Erhöhung des Daches auch bei diesen Häusern. Gegen die Unterschutzstellung hätte rekurriert werden können, was indes nicht geschah, der Entscheid ist mittlerweile rechtskräftig. Die Unterschutzstellung einer Liegenschaft durch die Denkmalschutzbehörde, so ist noch anzumerken, braucht nicht zwingend die Einwilligung der Eigentümerschaft. Sie kann, dies in der Kompetenz des Stadtrates, auch hoheitlich verfügt werden.

Bauherrschaft nimmt keine Stellung

Nachdem die Unterschutzstellung rechtskräftig wurde, hatte die Bauherrschaft gemäss Urs Spinner noch Auflagen zu erfüllen und dann konnte der Baustopp aufgehoben werden. Seit Ende November sind an der Rotbuchstrasse 72 und 68 wieder Handwerker auf dem Baugerüst gesichtet worden. Die Bauherrschaft, die in diesem Artikel aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht namentlich genannt wird, wurde vom «Wipkinger» mehrfach um eine Stellungnahme gebeten, liess jedoch durch ihren Anwalt ausrichten, dass sie sich weder zum Sachverhalt noch zum weiteren Vorgehen äussern wolle. Auch wann der Umbau voraussichtlich fertig sein wird, das Baugerüst entfernt und der Rötelsteig wieder durchgehend befahrbar sein wird, bleibt somit unbekannt.

3 Kommentare


K. Müller

17. Dezember 2018  —  16:39 Uhr

Also ich lese das so: Als Bauherr muss man einen unbewilligten Umbau nur teuer genug machen, dann wird er sicher nachträglich von den Behörden abgesegnet, weil ein Rückbau «unverhältnismässig» wäre. Das schöne in Zürich: Die gut bezahlten Baubehörden braucht man dafür nicht einmal zu bestechen, sie bringen gerne Verständnis auf für dreiste Bauherren! Die dummen sind wie immer jene, die sich an Vorschriften und Auflagen halten.

J.W.

14. Dezember 2018  —  16:34 Uhr

Der nicht befahrbare Rötelsteig eine „Zumutung“? Seit dem Umbau blüht der Rötelsteig regelrecht neu auf! Kinder spielen und Nachbarn sitzen zusammen.
Zudem trägt die Sperrung deutlich zur Lärmreduktion bei. Ein Gesuch um dauerhafte Verkehr-Sperrung ist bereits deponiert – die Behörden wollen es nach Beendigung des Umbaus mittels Lärmtests prüfen. Ich würde es sehr begrüssen, wenn Sie in einem Ihrer nächsten Artikel sich ebenfalls für die Sperrung des Rötelsteigs stark machen würden.

Reto Heimgartner

13. Dezember 2018  —  16:26 Uhr

Ein umbau wirft fragen auf…
…. eher eine berichtserstattung ihrerseits…bezogen, ohne zu hinterfragen, ihrerseits, welche Steuergelder ,mit gegenseitiger Unabgesprochenheit von städtischen Amtsstellen, sinnlos verschleudert werden.
Werde mich mit Leserbrief im Wipkinger melden, nicht im Höngger, ist ja so weit weg!

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