Adieu Französisch?

Mehrere Parteien haben im Zürcher Kantonsrat den Vorstoss gemacht, das ­Frühfranzösisch in der Primarschule abzuschaffen. Der Regierungsrat empfiehlt die Ablehnung der Motion, nun ist der Kantonsrat gefragt. Wie beurteilen Lehrerinnen, Eltern und Kinder im Kreis 10 die Situation?

Französisch büffeln an der Primarschule: sinnvoll oder Überforderung? (Foto: red/Canva)

Der Erwerb von Fremdsprachen ist ein wichtiger Bestandteil des Lehrplans an Schweizer Schulen. Zu den Sprachen, die in der Deutschschweiz alle Kinder während der obligatorischen Schulzeit erlernen, gehört nicht nur Englisch, sondern auch Französisch.

Im Kanton Zürich beginnt der Englischunterricht in der dritten Klasse, Französisch folgt in der fünften Klasse. Bei Abschluss der Volksschule wird bei den Jugendlichen für beide Sprachen ein ähnliches Kompetenzniveau angestrebt. Die Lernziele gelten für die 15 daran beteiligten Kantone gleichermassen.

Doch das frühe Französisch gibt in jüngster Zeit vermehrt Anlass zu Diskussionen. Bemängelt werden dabei nicht nur die unzureichenden Sprachkenntnisse der Kinder und Jugendlichen, es wird zudem von verschiedenen Seiten auch eine Überforderung konstatiert. Schon 2006 und 2017 wurden im Kanton Zürich Volksinitiativen lanciert, die den Unterricht an der Volksschule auf eine Fremdsprache beschränken wollten. Beide Initiativen wurden abgelehnt.

Nun haben im Februar Vertreter*innen der SVP, GLP, Mitte und EVP im Kantonsrat gemeinsam eine Motion eingereicht, die den Start des Französischunterrichts in die Oberstufe verschieben will. Dabei berufen sie sich auf eine Studie, die zum Ergebnis kommt, dass die Lernziele bis Ende der 6. Klasse von bis zu zwei Dritteln der Kinder verfehlt würden. Eine weitere zitierte Studie legt nahe, dass Ältere schneller lernen als Jüngere und der frühe Start keine Vorteile bringe.

Auch in anderen Kantonen rumort es in punkto Sprachenerwerb. So hat das Ausserrhoder Parlament einer gleichlautenden Motion bereits zugestimmt, in St. Gallen befürwortet der Regierungsrat die Verschiebung ebenfalls. Insgesamt 12 Deutschschweizer Kantone tragen sich mit derselben Idee.

Früher Start von Vorteil

Anderer Auffassung ist Valérie Vögeli Nadler. Sie ist Mittelstufenlehrerin am Schulhaus Vogtsrain und verfügt über langjährige Erfahrung im Französischunterricht. Die Bedenken, dass der Start zu früh sei, teilt sie nicht. Im Gegenteil: «Nach meiner Erfahrung ist das ein sehr gutes Alter, um eine zweite Fremdsprache zu lernen. Grundsätzlich stelle ich fest, dass Kinder im Primarschulalter meist sehr motiviert an alle möglichen Lerninhalte herangehen und gerade den Spracherwerb mit einer Leichtigkeit angehen. Diese Leichtigkeit geht mit zunehmendem Alter oft verloren. Ab der Sekundarstufe haben die Jugendlichen einen rationaleren, weniger verspielten Zugang zu neuen Lerninhalten.»

Auch das Argument der Überforderung der Kinder sieht sie nicht so: «In meiner Tätigkeit als Primarlehrerin habe ich schon viele Kinder mit Teilleistungsschwächen unterrichtet, die aber gerade den Klang der französischen Sprache und das spielerische Lernen super fanden und beim Erwerb der einzelnen Kompetenzen im Französischunterricht viel Spass hatten. Hier muss man als Lehrperson schauen, dass man die Stärken des Kindes hervorhebt und in einem zweiten Schritt versucht, die Schwächen gezielt anzugehen.»

Ein einzelnes Fach, so Vögeli weiter, führe zudem wohl kaum zur schulischen Überforderung der Kinder. «Wenn ich von Druck und Überforderung lese, die durch die drei Lektionen Französisch auf den Kindern der Mittelstufe lasten, dann frage ich mich, was anstelle des Französischunterrichts in den Stundenplan einfliessen würde. Vielleicht sollte man grundsätzlich unsere Leistungsgesellschaft hinterfragen und überdenken, was wir den Kindern heute schulisch abverlangen.»

Vögeli betont die Bedeutung des Französischunterrichts in einem mehrsprachigen Land wie der Schweiz: «Für mich ist es zentral und selbstverständlich, dass ich als Bewohnerin eines Landes, das vier Landessprachen beheimatet, neben der Sprache, die ich schon spreche, sicher noch mindestens eine weitere Landessprache lerne und den Kindern im Primarschulalter diese tolle Möglichkeit biete», so Vögeli.

Spielerisch Interesse wecken?

Das Argument, neben dem Deutsch zumindest noch eine weitere der vier Landessprachen zu beherrschen, wird auch von den meisten befragten Eltern unterstützt. So findet Mona G.: «Meiner Meinung nach ist es für in der Deutschschweiz lebende Menschen wichtig, Französisch zu lernen – je eher, desto besser.»

Ihre Tochter besucht die fünfte Klasse und mag die Sprache sehr gerne. «Ihr fällt es leicht, Französisch zu lernen», so Mona G. «Die Begeisterung der Kinder für ein Fach steht und fällt aber damit, wie es von den Lehrpersonen rübergebracht wird.» Da allerdings könnte, so sagt Cecilia Hero, noch einiges verbessert werden: «Ich finde Frühfranzösisch wichtig, aber aus meiner Sicht könnte es etwas spielerischer eingeführt werden. Vielleicht sollte der Schwerpunkt zunächst darauf liegen, zu verstehen und sprechen zu lernen und weniger auf Grammatik und Vokabeln.»

Sandra Müller (Name von der Redaktion geändert) ist anderer Meinung. Auch sie denkt, dass Kinder Dinge gut lernen, die sie interessieren. Das Interesse für das Französisch sei aber, ob man es wolle oder nicht, bei den meisten Jugendlichen doch eher gering. Generell sagt sie: «In der Schule sollte vermehrt gelehrt werden, wie man sich Dinge erarbeitet und Wissen aneignet. Das ist meiner Meinung nach wichtiger als das Büffeln von Vokabeln.»

Noch nicht lange zurück liegt der Französischunterricht bei der 19-jährigen Sarah Daker. Die Biologielaborantin war zu Schulzeiten kein grosser Fan des Französisch, heute aber weiss sie es zu schätzen: «Als Kind und Teenager mochte ich das Fach nicht besonders, aber mittlerweile bin ich dankbar dafür, so früh damit angefangen zu haben.»

Wie es kommenden Generationen damit gehen wird, wird sich bald weisen: Der Regierungsrat hat die Motion zur Ablehnung vorgeschlagen, nun liegt der Entscheid beim Kantonsparlament. Befürwortet dieses die Eingabe, muss die Regierung einen Vorschlag zur Umsetzung machen.

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