«Die Reaktionen sind Wut und Frust»

Eine Studie der Universität Zürich erschüttert die katholische Kirche in der Schweiz: Von 1002 Fällen sexuellen Missbrauchs seit 1950 ist die Rede. Marcel von Holzen, der katholische Pfarrer im Kreis 10, findet deutliche Worte.

Dunkle Wolken ziehen über der katholischen Kirche auf. (Symbolbild Pixbay)

Erstmals wurde einem unabhängigen Forschungsteam ermöglicht, in kirchlichen Archiven Akten über sexuellen Missbrauch im Umfeld der katholischen Kirche einzusehen, schreibt die Universität Zürich in einer Medienmitteilung.

Die Historiker*innen belegen in ihrer Studie 1002 Fälle sexuellen Missbrauchs, die katholische Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz begangen haben.

Sie untersuchten zudem den Umgang katholischer Würdenträger mit Fällen sexuellen Missbrauchs sowie die Verfügbarkeit und Aussagekraft der Quellenbestände. Es ist ein Skandal, der die Kirche bis auf die Basis erschüttert. Im Kreis 10 sind das die Pfarreien Guthirt und Heilig Geist.

Herr von Holzen, wie reagieren die Mitglieder ihrer Pfarreien auf die aktuellen Enthüllungen?
Marcel von Holzen: Die Enthüllungen sind immer wieder belastend und frustrierend. Unsere aktiven Pfarreimitglieder wünschen sich eine saubere Aufarbeitung der Vergangenheit. Sie sind aber mehrheitlich auch fähig, zu differenzieren: Denn viele Fälle liegen in der Vergangenheit und spiegeln den damaligen problematischen Umgang mit der Sexualität sowie die Amtsrollen älterer Generationen wider. Die Pfarreimitglieder anerkennen aber auch, dass die Gemeinschaft Kirche viele Leistungen erbringt, die wertvoll und gut sind.

Dennoch dürfte der Schock bei vielen gross sein.

Die Reaktionen sind natürlich Wut und Frust. Aber wie es die Missbrauchsopfer-Sprecherin, Vreni Peterer, und Bischof Joseph Maria Bonnemain sagen: Austreten hilft der Sache nicht. Viel eher Auftreten, um in der Aufarbeitung mehr bewirken zu können.

Die Enthüllungen betreffen oftmals eine andere Ebene, dabei ist es die Basis – die Pfarreien –, die für die Menschen da ist. Wird dieser Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmung gemacht?
Kirchenferne Leute unterscheiden kaum, sie haben aber oft auch kein Interesse, der Sache objektiv auf den Grund zu gehen. Die Missbrauchs-Themen sind daher Gründe, die man für den Kirchenaustritt verwenden kann, obwohl vielleicht andere Motive letztlich eher ins Gewicht fallen, etwa der fehlende Bezug oder die Kirchensteuer.

Wie haben Sie persönlich die Enthüllungen aufgenommen?
Ich kenne die Resultate der Studie selbst nicht im Detail und würde gerne mehr dazu erfahren. Was mich persönlich immer wieder schockiert, ist die Schizophrenie, die aus solchen Fällen hervorgeht: Wie kann die Theorie von Empathie, Fürsorge, Respekt und Liebe in der Praxis mit Empathie- und Rücksichtslosigkeit und Gewaltanwendung im religiösen Leben so auseinanderfallen? Dieses kranke Verhaltensmuster ist gewiss ein Stück weit dem System Sexualmoral und Macht geschuldet.

Werden Ihre Pfarreien den Missbrauch nun gezielter thematisieren?
Ja, in den Predigten, aber auch bei Elternabenden und anderen Veranstaltungen reden wir darüber. Zudem besucht uns auch Bischof Joseph Maria Bonnemain, der sich seit Jahren als Mediziner und Kirchenjurist der Sache annimmt. Seine Impulse fördern doch die Hoffnung, dass willige Leute für die Aufarbeitung da sind.

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