Ist mehr integrative Schule auch immer mehr Integration?

Die integrative Schule hat sich eigentlich bewährt: Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten lernen, respektvoll miteinander umzugehen. Und doch sind die Herausforderungen in den letzten Jahren grösser geworden. Ein Gastbeitrag der GLP Kreis 6&10.

Das gemeinsame Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Bedürnissen fördert die soziale Integration. (Foto: Freepik.com)

Von Neitah Müller, Vorstand GLP, Kreis 6&10, und Simon Riniker, Behördenmitglied KSB Waidberg und Vorstand GLP Kreis 6&10

Es ist unbestritten, dass wir uns in Zürich vom ehemaligen Sonderschulen- und Kleinklassen-Konzept entfernt haben. Und das ist gut so: Menschen mit körperlichen Benachteiligungen, mit einer Autismus-Spektrums-Störung oder anderen Verhaltensauffälligkeiten sind alle vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Kinder sollen das von Anfang an miterleben und mittragen. In Zürich werden Kinder mit unterschiedlichen Förderbedürfnissen seit 2008 in der Volksschule integriert. Die integrierte Sonderschulung (ISR), die in der Regelklasse stattfindet und von einer Heilpädagogin begleitet wird, ist seither die Norm und die separative Sonderschule die Ausnahme.

Durch das gemeinsame Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen wird erwiesenermassen die soziale Integration gefördert und Vorurteile werden abgebaut. Die Schülerinnen und Schüler lernen, Unterschiede zu akzeptieren und respektvoll miteinander umzugehen. Es wird verhindert, dass es zu Ausgrenzungen und Stigmatisierungen von Kindern mit besonderen Bedürfnissen kommt. Ebenfalls können in der integrativen Schule Kinder entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen gefördert werden, was nachhaltig zur Entfaltung des Potenzials eines jeden beisteuert. Nicht zuletzt sind soziale Kompetenzen in einer globalen, pluralen und einer sich immer schneller wandelnden Gesellschaft ausgesprochen wichtig.

Integrationsfähig bleiben

Für eine erfolgreiche Umsetzung der integrativen Schule braucht es einiges an Ressourcen, sowohl was das Personal betrifft als auch die Räumlichkeiten. Ersteres wäre selbst ohne Fachkräftemangel schwierig genug, Letzteres ist besonders an älteren Schulen schwer umzusetzen. Gerade in der Stadt Zürich ist sich die Politik dessen eigentlich bewusst. Sie versucht, wo möglich, beides bereitzustellen. Mehr Ressourcen bedeuten nicht zwingend auch ein Mehr an erfolgreicher Integration. Wichtig ist, dass die Klassen integrationsfähig sind oder werden.

Beispielsweise wird es schwierig, wenn in einer Klasse mit 25 Kindern mehrere davon in einem ISR-Setting sind, andere eigentlich eine Tagesklinik benötigen, und wiederum weitere Kinder entweder Ergotherapie, Logopädie, Psychomotoriktherapie oder sonstige Unterstützung bräuchten. Erfolgreiche Integration weicht dann einer allgemeinen Unruhe und Überlastung, die es nicht nur den Kindern mit zusätzlichen Förderbedürfnissen schwer machen, sondern auch das Lerntempo und die Aufmerksamkeit der anderen Schülerinnen und Schüler belasten.

Natürlich, das ist nicht die Regel. In solchen Fällen sollte aber die Möglichkeit der Schulen, diesen Herausforderungen zu begegnen, verbessert werden. Sei es über zusätzliche Ressourcen, wie dies der «Erweiterte Lernraum» auf Kantonsebene vorsieht, oder mit zusätzlichem Handlungsspielraum für Förderklassen. Dies steigert nicht nur die Integrationfähigkeit und stärkt das Zusammenleben, sondern ermöglicht es auch, dem Auftrag der Schule, Wissen zu vermitteln, gerechter zu werden.

Eine gemeinsame Initiative

Die gemeinsame Initiative der GLP und FDP versucht dem Anspruch der Kinder auf eine solche Förderklasse nachzukommen, damit sie eine faire Chance erhalten, in ihrem Tempo und mit ihren Fähigkeiten gemeinsam mit allen anderen Kindern die Schule zu besuchen. Die Initiative beantwortet nicht alle Fragen und will nicht eine Lösung für alle Probleme sein, sondern einerseits eine Diskussion anregen, was Integration wirklich bedeutet, und andererseits die Möglichkeiten der Gemeinden, situativ und angepasst mit den Herausforderungen umzugehen, stärken. Mit Blick in die Zukunft müssen wir uns die Frage stellen, was für eine Gesellschaft wir sein wollen. Wo wollen wir unsere Stärken ausbauen, welche Fähigkeiten müssen wir dafür entwickeln? Und wir müssen klären, welche Rolle die Schule dabei spielen soll. Schliesslich dürfen wir nicht vergessen, Schule bedeutet auch immer Lebensschule.

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