Polarisiert – wie weiter?

Die Schweiz ist für viele Menschen ein Ort der Stabilität, der kulturellen Vielfalt und der Konsenspolitik, in welcher der Volkswille diskutiert, verhandelt und von der Gesellschaft mitgetragen wird. Doch auch die Schweiz bleibt nicht unverschont von Kulturkämpfen. Ein Gastbeitrag der GLP.

Jeder für sich. (Foto: zvg)

Die Schweiz hat in den letzten Jahren eine spürbare Zunahme von politischer und sozialer Polarisierung erlebt, wie sie sich auch weltweit zeigt. Diese Polarisierung hat verschiedene Dimensionen und Ursprünge. Historisch gesehen hat das einzigartige System der direkten Demokratie in der Schweiz die Zusammenarbeit gefordert und gefördert. Doch die grossen Krisen im beginnenden 21. Jahrhundert führen zu einem Anstieg polarisierender politischer und sozialer Haltungen. Gefördert wurde die politische Polarisierung auch durch den Aufstieg populistischer Bewegungen sowie einer Fragmentierung innerhalb traditioneller politischer Parteien.

Im Fokus der Auseinandersetzung stehen einmal mehr Themen wie Immigration und nationale Identität, die jedoch nicht mehr verhandelt werden, sondern als etwas Absolutes die Differenzen zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wachsen lassen. Zwischen Arm und Reich, zwischen Einheimischen, Secondos und kürzlich Zugezogenen, zwischen Gläubigen, Agnostikern und Atheisten, ja sogar zwischen Veganer:innen und Allesesser:innen.

In kultureller und sozialer Hinsicht wurde die eigentlich als Stärke gefeierte linguistische und kulturelle Schweizer Vielfalt zu einer möglichen Quelle immer neuer Spannungen. Kulturelle und soziale Unterschiede treten stärker in den Vordergrund und damit auch Debatten über Sprachgebrauch, Bildungspolitik und über das, was uns ausmacht. Als Katalysator wirken die sozialen Medien und die damit verbundene schnelle Verbreitung von Informationen. Es kommt zur Bubble- oder Echo-Kammerbildung – ein virtuelles Umfeld, in dem Menschen in der Regel nur mit Informationen oder Meinungen konfrontiert werden, die ihren bestehenden Überzeugungen entsprechen. Dies trägt zusätzlich zu einer Verfestigung der eigenen Ansicht bei und erschwert die Konsensfindung wichtiger gesellschaftlicher Themen.

Verlust des Vertrauens

Die zunehmende Polarisierung birgt einige Herausforderungen. Insbesondere der Verlust des Vertrauens in die politischen Institutionen sollte zu denken geben, aber ebenso die Gefahr, dass dadurch eine effektive und effiziente Politgestaltung behindert und soziale Spannungen verschärft werden. Das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Integration innerhalb der Schweizer Bevölkerung ist damit bedroht. Genug Gründe für die Politik, um zu handeln. Die verschiedenen Parteien in der Schweiz sollten ein Abbild unserer Gesellschaft bleiben und durch die eingangs erwähnte Konsenspolitik langfristige und stabile Lösungen suchen und gemeinsam erarbeiten. Leider erweist sich die Politik in vielen Fällen nicht als Kit für das Land, sondern befeuert im Gegenteil die Polarisierung durch Klientelpolitik und Geltungsdrang.

Werfen wir einen Blick auf die Stadt Zürich, eine der bedeutendsten Städte der Schweiz, stellen wir fest, dass auch hier unterschiedliche politische Meinungen und Überzeugungen zu teils gehässigen Diskussionen und Debatten führen. Und ebenso wie auf nationaler Ebene besteht auch hier die Gefahr, dass eine zunehmende Entfremdung von unseren Mitmenschen zur Polarisierung beiträgt und das politische Klima spaltet. So führt zum Beispiel die begrenzte Verfügbarkeit von bezahlbarem Wohnraum zu Zerwürfnissen und zur Vertiefung der sozialen Kluft zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen.

Neben der Politik kann und soll auch die Verwaltung aktiv werden. Da die Stadt Zürich eine gewisse Spannung im Zusammenhang mit Fragen der Migration und kulturellen Unterschieden erlebt und da das Bedürfnis, in der eigenen Informationsblase zu verweilen und sich vorrangig mit Gleichgesinnten auszutauschen, allgegenwärtig ist, wurde sie aktiv. Um das zu durchbrechen, investiert sie viel in Programme zur Förderung von Bildung, sozialer Sicherheit und Integration von Minderheiten. Als multikulturelle Stadt will und kann sie so einiges bieten für das soziale Miteinander. Die Gestaltung des Stadtraums mit öffentlichen Plätzen, Parks und Veranstaltungen bringt die Menschen zusammen und unterstützt den Austausch.

Mit verschiedenen Mechanismen bemüht sich die Stadt, politische Partizipation zu fördern. Ein Beispiel dafür ist der Ausländerbeirat (ABR), der als beratendes Gremium des Stadtrats fungiert. Eine Aufgabe des Beirats besteht darin, das harmonische Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugezogenen zu begünstigen. Die Jugendkonferenz fand vergangene Woche statt und die Jugendlichen reichten mehrere Vorstösse zu Themen ein, die sie betreffen. Ein breites Verständnis für unterschiedliche Perspektiven stärkt den sozialen Zusammenhalt und wirkt der Polarisierung entgegen. Was für die Stadt gilt, sollte auch für unsere Politiker:innen gelten, die sich ebenfalls meist in ihren Bubbles bewegen.

Schlussfolgernd kann gesagt werden, dass die politischen Verantwortungsträger:innen den offenen Dialog und eine dafür ansprechende Umgebung stärker fördern müssen. An Debatten im Gemeinderat, bei parteiinternen Veranstaltungen oder an öffentlichen Anlässen ist es notwendig, seinen Mitmenschen klarzumachen, dass eine starke Schweiz auf alle angewiesen ist und nebst allen Differenzen, welche die Vielfalt unserer Gesellschaft mit sich bringt, die gemeinsamen Werte und der Wunsch nach einem Leben in Würde und Frieden viel stärker wiegen.

Ein Artikel von

Neitah Müller, Vorstand GLP Kreis 6&10, und Simon Riniker, Behördenmitglied KSB Waidberg und Vorstand GLP Kreis 6&10

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