Tanzen macht glücklich?

«Secret sunrise» organisiert unge- wöhnliche Tanzveranstaltungen: Die Teilnehmenden werden mit Kopfhörern ausgestattet, um unter Anleitung zu tanzen und zu meditieren. Ein Selbstversuch.

Sieht nach Spass aus – wenn man sich darauf einlassen kann.

Treffpunkt Samstagnachmittag, 16 Uhr, GZ Wipkingen. Meine Hoffnung, dass es sich bei diesem Tanzevent um einen Indoor-Anlass handelt, zerschlägt sich, als ich den Tisch mit den Kopfhörern sehe, der auf dem Platz vor dem Kinderbauernhof aufgebaut ist. Nicht, dass mir das Wetter etwas ausmachen würde, aber die Vorstellung, in aller Öffentlichkeit abzutanzen, fordert mich etwas heraus. Ganz ähnlich geht es auch meinen zwei jugendlichen Begleiter*innen. Die haben allerdings den Vorteil, dass sie altersgemäss einfach gemeinsam kichern können. Ausserdem bieten sie ganz plötzlich und völlig uneigennützig an, für mich das Fotografieren zu übernehmen, damit ich mich voll und ganz auf den Event konzentrieren kann und entreissen mir sanft die Kamera. Na toll. Nichts mehr zum Festhalten. Wir nehmen also unsere violett leuchtenden Kopfhörer entgegen und setzen sie auf. Trendig sieht das aus. Bis jetzt sind noch nicht so viele Teilnehmende hier, wie ich und wohl auch die Veranstalter*innen erhofft hatten. Viele hätten kurzfristig abgesagt, erklärt mir Susanne, eine der Moderatorinnen. Der Winter kommt und die Infektionszahlen steigen wieder. Spontan spricht sie Passant*innen an, bietet ihnen an, mitzumachen. Das funktioniert: Sogar Mütter mit Kindern kommen zu uns rüber, setzen sich und ihren Kindern Kopfhörer auf. Der Anfang ist Meditieren. Das geht ja noch. Sieht wenigstens von aussen nicht albern aus. «Dust in the wind» klingt es in meinen Ohren. Wir versuchen zu spüren, wie sich der Hals anfühlt und was er für uns den ganzen Tag macht. Sicher, er ist ziemlich wichtig für mich. Ich murmle leise «danke». Langsam wird die Musik schneller. Tom Petty lernt das Fliegen. Die Musikauswahl passt schon mal zu meiner Generation. Beim nächsten Song geht die Gruppe richtig ab. Auf den Kopfhörern läuft «TNT. I’m dynamite» und alle anderen spüren die Sprengkraft in sich und setzen das tänzerisch um. Beseelt tanzen, hüpfen, stampfen
sie auf dem Platz vor dem Kinderbauernhof herum. Auch in meinen Ohren dröhnt der Beat, aber mit der körperlichen Umsetzung haperts. Ich bemühe mich zwar, aber das Dynamit in mir will nicht explodieren. Kann sein, dass es daran liegt, dass ich die Eltern mit ihren Kindern nicht ganz ausblenden kann, die ihre Aufmerksamkeit nun so langsam von den Schaukeln zu unserer tanzenden Gruppe verlagern und leicht belustigt dreinschauen. Jetzt tuscheln sie auch noch miteinander. Wenn ich nur hören könnte, was sie sagen. Man sollte die anderen einfach ausblenden können – nur wie macht man das? Aus Südafrika komme die Bewegung und dort sei sie sehr populär, erklärt Susanne. An offenen Plätzen unter freiem Himmel treffen sich die Tanzwütigen, Moderator*innen leiten durch die Veranstaltung. Dabei folgt die «Party» einer Dramaturgie: Mit langsamen und ruhigen Rhythmen wird aufgewärmt. Dann werden die Stücke schneller, die Moderator*innen schaffen Fantasieräume, innerhalb derer die Gruppe sich bewegen kann. Sollte. Zum Beispiel eine Fahrradfahrt den Berg hoch bis zum Gipfel und mit Schuss wieder herunter. Oder ein Fallschirmsprung aus dem Flugzeug, auch ein wilder Ritt durch die Prärie wird uns geboten. Bei den anderen scheints zu funktionieren; ich komme mental nicht aus Wipkingen heraus. Sicher, wenn mehrere hundert oder tausend Leute gemeinsam tanzen, verfehlt das seine Wirkungbestimmt nicht. Hier sind wir gerade mal fünfzehn. Na gut. Wir wollen ja nicht so sein und halten durch. Sich aus der Komfortzone rausbegeben, hiess es. Weil es einem hilft. Augen zu und zuhören. Augen wieder auf: Wo sind die anderen alle? Sie haben sich mittlerweile im Kreis gruppiert, die Moderatorin hat dazu aufgefordert. Und jetzt soll abwechselnd jeder mal in die Mitte und die anderen anleiten, bestimmte Bewegungen auszuführen. Bloss schnell weg hier. Die Reichweite der Kopfhörer ist gross, bis zum Waffelstand, der auf dem Spielplatz aufgebaut ist, ist die Musik problemlos weiter zu hören. Oder mal kurz meditativ in den Fluss schauen?
Es wird langsam dunkel. Und kalt, wobei ich sicherlich die Einzige bin, die friert. Im Dunkeln sehen die leuchtenden Kopfhörer richtig schön aus. Faszinierend, wie mutig die Kinder sind und sich so intensiv auf das Erlebnis einlassen können. Schnell gehts und die Stunde ist rum. Auf den Heimweg wird uns mitgegeben, dass wir wie ein Leuchtturm sein sollen, der Liebe und Frieden in die Welt hinausstrahlt. Ein schönes Bild eigentlich.
Fazit: Probierts ruhig mal aus. Vielleicht sucht Ihr Euch ein Quartier aus, in dem Euch keiner kennt – und dann gehts los. Ich bin sicher, dass man sich nachher wie ein anderer Mensch fühlt. Die anderen sahen jedenfalls alle ziemlich glücklich aus. Und gut bewegt. Das nächste Mal mache ich richtig mit. Versprochen.

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