Quartierverein Wipkingen
Umbruch am Bahnhof Wipkingen
Der Bahnhof Wipkingen verliert nach dem Viertelstundentakt nun auch noch sein Bahnhofreisebüro. Dennoch landet der Bahnhof nicht auf dem Abstellgleis: in drei Jahren wird er umfassend umgebaut. Das SBB-Projekt verspricht mehr Attraktivität und bessere Zugänge. Und auch für den Viertelstundentakt gibt es langfristig Hoffnung.
25. März 2020 — Stefanie Pfaendler
Noch klickt und rattert es im Bahnhofreisebüro Wipkingen. Edna druckt für eine Kundin ein Billett aus. Es ist kurz vor 18 Uhr, Ladenschluss. Seit 1997 bietet das Bahnhofreisebüro den Wipkinger*innen einen wichtigen Service Public: man kann hier Billette für den nationalen und internationalen Zugverkehr kaufen, SBB- und ZVV-Abonnements lösen, Gruppenreisen buchen und sich beraten lassen. Doch das Reisebüro ist nicht nur Bahnschalter, es ist auch Stube, Kulturlokal, Bücherbrocki, Quartiertreffpunkt und Ausstellungsraum. Damit ist es allerdings bald vorbei: die SBB steigen per Ende Jahr aus dem Vertrag mit dem Reisebüro aus. Dies geschieht im Zuge der Spar- und Digitalisierungsmassnahmen, welche die SBB unter CEO Andreas Meyer konsequent vorangetrieben hat. Die Ära Meyer geht im April 2020 zu Ende, doch der Führungswechsel kommt für Geschäftsführerin Regula Fischer und ihre Mitarbeiterin Edna Bohnert zu spät. Mit der SBB verschwindet ihr wichtigstes ökonomisches Standbein. Das Bahnhofreisebüro wird nach über zwanzig Jahren schliessen müssen.
Suche nach der Hintertür
Das Aus kam eigentlich bereits 2016. Die SBB entschied damals, per Ende Jahr aus allen so genannten Stationshalterverträgen auszusteigen. «Klar kaufen viele Leute ihr Ticket heute online», gibt Edna zu. «Aber wer schon einmal versucht hat, ein internationales Nachtzugbillett zu kaufen und auch noch sein Velo mitzunehmen, weiss, dass die Digitalisierung Grenzen hat». Zugreisen sind längst nicht so einfach zu buchen wie Flüge. Und so sind Kund*innen auch heute noch auf kompetente Beratung angewiesen. Mit dem wachsenden ökologischen Bewusstsein sei auch die Nachfrage wieder deutlich gestiegen, beobachtet Regula. Für die beiden Frauen ist darum klar: ihr Angebot ist zeitgemäss und zukunftsträchtig. Entsprechend gross war 2016 der Protest gegen den SBB-Ausstieg. Die Drittverkaufsstellen organisierten sich und erhielten Rückendeckung aus dem Parlament. Schliesslich gewährte die SBB allen Partnern eine dreijährige Gnadenfrist. Seither wissen alle: Ende 2020 ist endgültig fertig. – Oder doch nicht? «Wer weiss», sagt Regula und zuckt mit den Schultern. «Vielleicht gibt es doch noch eine Hintertür». Der Sachverhalt sei eigentlich völlig klar, räumt sie ein. Und doch: auch 2016 kam der Vertrag für die nächsten drei Jahre erst Ende November. «Bevor das Jahr wirklich zu Ende ist, geben wir uns noch nicht geschlagen». Regula grinst. Mehr will sie dazu nicht sagen. Ob es für das Bahnhofreisebüro nochmals eine Rettung in letzter Minute gibt, steht in den Sternen. Der Rückhalt im Quartier ist jedenfalls gross und Regula und Edna kündigen an: «Wenn wir tatsächlich schliessen müssen, dann nur mit viel Lärm».
Wipkingen auf dem Abstellgleis?
Wipkingen bangt nicht nur um seinen Bahnschalter, der Bahnhof erlitt bereits 2014 einen herben Schlag. Bis zur Eröffnung der Durchmesserlinie verkehrten hier noch die S-Bahnen 2, 8 und 14. Damals stiegen am Bahnhof Wipkingen täglich 5500 Passagiere ein und aus. Doch seit dem Fahrplanwechsel im Sommer 2014 sind die attraktiven S-Bahn-Verbindungen Geschichte. Wipkingen ist seither als einziger Bahnhof im Kanton Zürich nur noch mit einem Halbstundentakt über die S24 ans S-Bahnnetz angeschlossen. Entsprechend haben sich die Passagierzahlen um mehr als die Hälfte reduziert. Was bedeuten diese Entwicklungen für den Bahnhof Wipkingen? Stellen die Verkehrsbetriebe den Bahnhof faktisch aufs Abstellgleis?
Der Quartierverein, der sich seit Jahren gegen den Angebotsabbau engagiert, ist von den Entscheidungsträgern enttäuscht: «Als wir 2014 6300 Unterschriften für einen Viertelstundentakt einreichten, hat uns der damalige Stadtrat Andreas Türler versprochen, sich für unser Anliegen einzusetzen», erinnert sich Judith Stofer, Kantonsrätin und Mitglied des QV-Vorstands. «Passiert ist seither nichts». Sowohl mit der SBB als auch mit dem ZVV hat der QV hartnäckig um die Wiedereinführung des Viertelstundentakts verhandelt. Zahlreiche Möglichkeiten wurden diskutiert und Argumente vorgebracht. Für Stofer ist klar: «Man könnte – aber man will nicht». Sie hat am 10. Februar 2020 im Kantonsrat erneut eine Anfrage eingereicht. Darin will sie vom Regierungsrat wissen, ob der Viertelstundentakt in absehbarer Zeit wieder eingeführt werden kann. Eine Antwort steht noch aus.
ZVV: der Viertelstundentakt kommt!
Beim ZVV selber tönt es auf Anfrage nüchterner: «Die Erschliessung von Wipkingen musste aufgrund der grundlegenden Angebotsausbauten mit der vierten Teilergänzung der S-Bahn reduziert werden», sagt Thomas Kellenberger, Leiter Kommunikation der Zürcher Verkehrsbetriebe. Aber er sagt auch: «Es war und ist aber noch das erklärte strategische Ziel des ZVV, in Wipkingen den Viertelstundentakt einzuführen». Auch in den Gesprächen mit dem Quartierverein habe sich immer wieder bestätigt, dass derzeit aufgrund von Trassenkonflikten keine zweite Linie nach Wipkingen geführt werden könnte, erklärt Kellenberger. Doch dies dürfte sich langfristig ändern: der Ausbauschritt 2035 will mit dem Brüttnertunnel das Nadelöhr zwischen Zürich und Winterthur beseitigen und sieht für den Bahnhof Stadelhofen mit einem vierten Gleis zusätzliche Kapazitäten vor. Mit diesen neuen Infrastrukturbauten kann das S-Bahn-Angebot markant ausgebaut werden. «Dann kann der Viertelstundentakt in Wipkingen eingeführt werden», bestätigt Kellenberger.
Matthias Probst, Zürcher Gemeinderat und Mitglied der Regionalen Verkehrskonferenz Zürich (RVKZ) bestätigt diese Haltung: «Seit der Eröffnung der Durchmesserlinie und dem Umbau des Bahnhofs Oerlikon hat es schlicht keine Kapazität für einen Viertelstundentakt am Bahnhof Wipkingen. Man kann das als Fehlplanung bezeichnen, es ändert jedoch nichts an der Tatsache». Die RVKZ, so Probst, bringe das Thema jedes Jahr ins Fahrplanverfahren ein. Es sei dafür gesorgt, dass es nicht vergessen gehe. Doch realisierbar sei eine solche Lösung erst durch den Ausbauschritt 2035. Das bedeutet, dass vorerst vor allem Geduld gefragt ist: der Baustart des Brüttnertunnels und des Ausbaus am Stadelhofen ist gemäss SBB frühestens ab 2026 möglich.
Grosser Umbau am Bahnhof Wipkingen
Schneller gehen dürfte es mit einem weiteren Projekt, das die Attraktivität des Bahnhofs Wipkingen massgeblich verbessern wird. Weil das Gesetz vorgibt, dass alle ÖV-Haltestellen bis 2024 behindertengerecht sein müssen, wird der Bahnhof Wipkingen voraussichtlich ab 2023 umgebaut. Das SBB-Projekt hat es in sich: die nördliche Unterführung wird aufgehoben, dafür erreicht man die Perrons neu mittels Treppe und Lift direkt von der Brücke Nordstrasse. Da das heutige Mittelperron durch zwei Aussenperrons ersetzt wird, wird die Verbindung zwischen den Perrons und den angrenzenden Quartieren verbessert: Die steile Rampe auf der Ostseite wird so umgestaltet, dass man von der Rousseaustrasse künftig flacher und direkt aufs Perron gelangt. Das westliche Perron erreicht man ebenerdig direkt von der Dammstrasse her. Die südliche Unterführung wird neu durchgehend unter den Gleisen hindurchgeführt. So wird ein zusätzlicher Zugang zur Imfeldstrasse und zum Lettenfussweg geschaffen.
Die SBB rechnet damit, dass die Bauarbeiten von Anfang 2023 bis Frühling 2025 dauern werden. Im Dezember 2023 wird das behindertengerechte Perron in Betrieb genommen. Der Quartierverein, der sich in die Planung aktiv einbringen durfte, ist mit dem Projekt zufrieden: «Das Projekt hat sich während der Planung laufend verbessert», urteilt Stofer. Die SBB habe in diversen Punkten die Anliegen des QV berücksichtigt. Auch wenn der Viertelstundentakt somit wohl noch auf sich warten lassen wird: der Bahnhof Wipkingen wird bald deutlich attraktiver sein. Ob die SBB im letzten Moment doch noch realisieren, dass zu einem attraktiven Bahnhof auch ein bedienter Bahnschalter gehört, bleibt mindestens zu hoffen.
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