Unter Wipkingen wird es heiss

Noch sieht man nicht viel, doch in der Habsburgstrasse, gleich unterhalb des Landenbergparks, wird bald ein 34 Meter tiefes Loch klaffen: Die nächsten zwei Jahre wird dort der Zugangsstollen zum Fernwärmenetz gebaut, das neu auch Wipkingen versorgen kann.

Noch ist wenig zu sehen von dem 34 Meter tiefen Schacht, der hier bald entsteht: Hier werden erst bestehende Leitungen umplatziert, in die Tiefe geht es erst ab Oktober.
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Bereits seit 1928 beliefert die Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Josefstrasse den Hauptbahnhof mit Fernwärme. Im Lauf der Zeit kamen diverse andere Gebäude in Zürich-West dazu. Das soll auch weiter so bleiben. Doch das Kraftwerk stand wegen seinem Standort mitten in der Stadt – was beim Bau 1904 damals noch anders war – schon länger in der Kritik. Zürichs Müll soll einzig im Kehrichtheizkraftwerk (KHKW) Hagenholz, wo heute bereits jährlich 240’000 Tonnen Kehricht anfallen, der «thermischen Verwertung» zugeführt werden. Der Begriff zeigt verbal auf, dass Zürich seinen Abfall nicht einfach nur «verbrennt», sondern möglichst «verwerten» will. Mit dem aus den Kesseln erzeugten Wasserdampf wird mittels einer Turbine Strom und anschliessend Fernwärme erzeugt. Nach der Stromerzeugung in der Turbine ist der Dampf noch zirka 100 Grad heiss – und wird als Fernwärme genutzt, um Gebäude zu heizen, vom Hagenholz aus im Gebiet Zürich-Nord und von der Josefstrasse aus in Zürich-West. 170’000 Wohnungen kann Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) total so beliefern.
Bereits 2011, als sie aus der kantonalen Planung der Abfallentsorgung ausschied, hätte die KVA Josefstrasse geschlossen werden sollen. Doch dies erwies sich als nicht realisierbarer Zeitrahmen, denn es wäre unmöglich gewesen, rechtzeitig für einen Ersatz der Fernwärmequelle in Zürich-West zu sorgen. Also bekam das ERZ vom kantonalen Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) eine befristete Ausnahmebewilligung, um Müll aus Baden-Württemberg (D), wo man zu wenig Kapazität hat, einzuführen und damit Zürich-West zu heizen.
Unterdessen wurde geplant, wie in diesem Gebiet die bestehenden Leitungen auch künftig mit Fernwärme versorgt und weitere Gebiete erschlossen werden könnten. Das Ergebnis: Ein über zwei Kilometer langer, unterirdischer Stollen soll den bestehenden Kanal ab Strickhof mit dem Standort Josefstrasse verbinden. Ein Stollen, von dem aus fast schon «en passant» auch Wipkingen, Unterstrass, Aussersihl und das Sihlquai erschlossen und damit – wenn die Hauseigentümer*innen mitmachen – hunderte von Ölheizungen durch die klimafreundlichere Fernwärmenutzung ersetzt werden können. Im September 2018 stimmte das Volk dem Projekt mit 83,3 Prozent zu und bewilligte damit den Objektkredit von 235 Millionen und die Errichtung einer Vorfinanzierung von 50 Millionen Franken.
Ein Teil der Erschliessung wurde in Wipkingen als Vorinvestition vor zwei Jahren bereits realisiert, die angeschlossenen Liegenschaften müssten, sobald das Fernwärmenetz in Betrieb geht, nur noch mit entsprechenden Heizsystemen ausgerüstet werden – und ab Herbst 2021 wird man weitere Liegenschaften erschliessen können.

Mit Microtunneling unter Zürich durch

Unterdessen wurde mit dem Bau bereits begonnen. Der geschlossene Kreislauf der Fernwärme benötigt zwei Rohre von je 50 Zentimetern Durchmesser, ohne Isolation. Plus Wärmeisolierung und Platz für Wartungs- und Kontrollarbeiten wird ein Schacht mit einem Innendurchmesser von rund drei Metern benötigt. Gut die Hälfte der vier Kilometer langen Strecke Hagenholz bis Josefstrasse kann in einem bestehenden Schacht verlegt werden. Ab dem «Strickhof» kommen dann Microtunneling-Bohrmaschinen zum Einsatz. Unterwegs braucht die Maschine zirka alle 800 Meter einen Start- und Zielschacht, also einer beim Milchbuck, bei der Rothstrasse und einer an der Gerstenstrasse. Beim Schacht Landenbergpark handelt es sich um einen Zugangsstollen. Kurz vor dem Start- und Zielschacht Gerstenstrasse wird in neun Metern Tiefe die Limmat unterquert. Die letzten 300 Meter der Leitung werden nahe der Oberfläche in einem Schacht geführt (siehe Infobox mit Link zum Film). Das KHKW Josefstrasse wird bis 2021 stillgelegt und anschliessend bis Mitte 2023 zurückgebaut, übrig bleibt eine neue Heizzentrale, welche für die Spitzenlastabdeckung und für die Verteilung der Fernwärme noch nötig sein wird, rund drei Viertel der heute benötigten Fläche wird die Stadt dann anders nutzen können – wie, darum wird man sich noch viele Köpfe zerbrechen müssen.

Arbeiten in der Habsburgstrasse

33 Meter vom Bahnhof Wipkingen entfernt wird der Schacht beim Landenbergplatz gebohrt. Es ist der einzige der Schächte, der nicht als Start- oder Zielschacht für die Tunnelbohrmaschine dient, sondern als Notausgang und zur späteren Erschliessung Wipkingens mit Fernwärme. Warum aber hat man den Schacht nicht gleich über der Hauptleitung gebohrt? Hätte man gerne, doch das liessen die Platzverhältnisse in der Dammstrasse nicht zu. Evaluiert hat man auch den Standort Röschibachplatz oder direkt im Landenbergpark – doch der Röschibachplatz wäre sicher nicht mehrheitstauglich gewesen und im Landenbergpark wäre man überdies den Wurzeln der stolzen Bäume zu nahe gekommen. So entschied man sich letztlich für den Ort an der Habsburgstrasse, gleich unterhalb des Landenbergparkes.
34 Meter tief wird dort ab kommendem Oktober gegraben und dann unter Strassen und Gebäuden durch Felsgestein, ungefähr 40 Meter über dem Weinbergtunnel der SBB, zur Verbindungsleitung in der Nähe der Dammstrasse. Möglich, dass es in diesem harten Grund sogenannte Lockerungssprengungen braucht, das sei allenfalls schonender, als wenn man mit einem grossen Meissel die ganze Zeit hämmere, sagen die Fachleute. In den darüberstehenden Häusern wird man, abgesehen vielleicht von einem «Brummeln», kaum etwas mitbekommen, versichern die Verantwortlichen – doch ganz ausschliessen könne man das nie. Deshalb wurde bei den umliegenden Gebäuden eine Bestandesaufnahme gemacht und auch die kleinsten bestehenden Risse inventarisiert, um spätere Haftungsfragen klären zu können. Zudem erfassen Sensoren während dem Bau laufend alle Erschütterungen: Wird ein Schwellenwert überschritten, müssen die Maschinen umgehend gestoppt werden. Dies ist nur eine der verschiedenen Sicherheitsmassnahmen, die auch mit der Inbetriebnahme nicht abgeschlossen sein werden: Im fertigen Tunnel wird es bis zu 50 Grad heiss sein, wegen der Tiefe des Tunnels und natürlich wegen den Fernwärmeleitungen. Die Techniker werden auf ihren Kontrollgängen deshalb immer zu zweit sein, gewappnet für den Notfall, zum Beispiel einen Kreislaufkollaps.

Temporäre Beeinträchtigung für die Nachbarschaft

Die Habsburgstrasse ist eine ruhige Quartierstrasse. Nun wird damit gerechnet, dass während den Hauptarbeiten des Schachtaushubs Landenberg, ab November dieses Jahres bis Juni 2020, im Durchschnitt zwei Lastwagen pro Stunde Material abtransportieren werden. Das Material des Haupttunnels hingegen wird bei den anderen Zugangsschächten abtransportiert. Ist der Schacht erst gebaut, wird man im zweiten Jahr der Baustelle in der Habsburgstrasse kaum etwas von den Arbeiten unter Grund merken. Die gesamte Bauzeit dauert zwei Jahre. In dieser Zeit bleibt die Habsburgstrasse zwischen Landenberg- und Zeunerstrasse für den Verkehr gesperrt, der über diese und die Kyburgstrasse im Gegenverkehr um den Landenbergpark herumgeführt wird.
Nach Abschluss der Bauarbeiten wird nur noch ein Schachtdeckel daran erinnern, was hier im Untergrund gebaut wurde. Oberflächlich werden alle Grünräume wieder instandgesetzt, und auch die acht Parkplätze der blauen Zone, welche für die Dauer der Bauarbeiten aufgehoben werden müssen, werden nicht verschwinden.
«Wir wissen, dass so eine Baustelle für die Anwohnenden Unannehmlichkeiten mit sich bringt», sagt Daniel Eberhard, Mediensprecher ERZ, «aber es geht um ein Jahrhundertprojekt, das wichtig ist für die Energieplanung der Stadt Zürich und die 2000-Watt-Gesellschaft, deshalb bitten wir um Verständnis».

 

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