Politik
Zürich, der Kantonsrat und die Badewanne
Warum machen sie Politik? Und was verbindet sie mit Zürich? In unserer Talkrunde beziehen die Grünen Spitzenkandidierenden für den Kantonsrat Position zu politischen Themen und verraten auch Privates.
12. Dezember 2018 — Eingesandter Artikel
Wieso möchtest du in den Kantonsrat?
Eticus Rozas: Ich möchte etwas bewegen. Ich bin es leid, den Status Quo hinzunehmen, ich möchte aktiv die Zukunft meiner Gemeinde, meines Kantons, meines Landes und meiner Welt mitgestalten.
Kathy Steiner: Einfach nur Jammern und Schimpfen passt nicht zu mir, darum: «Es gibt viel zu tun, packen wir es an.»
Jeannette Büsser: Weil ich unserem politischen System noch vertraue und doch den Eindruck habe, es werden oft nicht gesellschaftliche Interessen, sondern sehr persönliche vertreten. Weil Frauen mit meiner Lebensrealität kaum eine politische Stimme haben. Das muss sich ändern.
Welche Grünen Themen liegen dir ganz besonders am Herzen?
Jeannette: Rechtsstaatlichkeit, Gendergerechtigkeit, Nachhaltigkeit.
Eticus: Der Kampf gegen den Klimawandel sowie die Solidarität unter uns Menschen. Ich möchte eine Welt, auf der alle Menschen frei leben können, ebenso wichtig ist es mir, dass wir diese Zukunft auf einem Planeten verbringen können, der bewohnbar ist. Die Lösung beider Probleme geht meiner Meinung nach Hand in Hand.
Kathy: Meine Herzensangelegenheit in der Grünen Politik ist der gesamtheitliche Bogen: ökologisch, sozial und solidarisch. Dieses zusammengeschnürte Päckli macht für mich die grosse Stärke der Grünen Politik aus.
Wo hat der Kantonsrat den grössten Einfluss auf das Leben in der Stadt oder speziell in Wipkingen?
Eticus: Der Einfluss des Kantonsrats auf das Quartier ist vielseitig. Um das prominenteste Beispiel gleich vorab zu nennen, ist der Kanton für das Projekt «Rosengartentunnel» verantwortlich.
Kathy: Der Transitverkehr durch die Stadt ist eine einzige Fehlplanung. Der Ersatz der Rosengartenstrasse durch einen Tunnel verhindert bessere Lösungen für viele Jahrzehnte. Die kantonale Raumplanung übergeht viel zu oft die Quartierinteressen und die wertvollen kleinräumigen Strukturen.
Jeannette: Ein Tunnel soll uns als «Rosengarten» verkauft werden? Wer kann noch im Quartier wohnen? Und wie werden Menschen durch Massnahmen des Sozialhilfegesetzes unterstützt, integriert und/oder observiert? «Airport-City» mit Auswirkungen auf Gehör und Atemwege? Schaut man von einem Bänkchen auf der Waid zur Stadt hinunter, werden abstrakte Entscheide des Kantons konkret sichtbar.
Gibt es einen Graben zwischen Stadt und Land und, wenn ja, womit würdest du ihn überbrücken?
Kathy: Für mich ist viel wichtiger, die gemeinsamen Werte und Ziele zu benennen, statt unsinnige Gräben herbeizureden. Völlig unabhängig von Stadt oder Land engagieren wir Grünen uns allesamt für eine intakte Umwelt und den sozialen Zusammenhalt.
Eticus: Es gibt einen Graben zwischen Stadt und Land, leider ist dieser sogar am Wachsen. Ebenso ist die Agglomeration als dritter Spieler zu berücksichtigen. Wichtig ist es, gegenseitiges Verständnis zu zeigen und Lösungen zu erarbeiten, die «Lebensraum»-gerecht sind.
Jeannette: Der ist tief. Das Rezept: Seitenwechsel – imaginär und konkret. Wir brauchen einander.
Warum wohnst du selber in der Stadt?
Kathy: Ich selbst bin auf dem Land aufgewachsen und lebe jetzt seit gut dreissig Jahren in der Stadt: Damit kenne ich die Vorzüge und Nachteile beider Lebensorte sehr gut. Am Leben in der Stadt schätze ich besonders die Vielfalt und Lebendigkeit.
Eticus: Weil ich hier geboren bin und mein Lebensmittelpunkt hier ist. Bisher zieht es mich «nur» zur Erholung aufs Land.
Jeannette: Weil ich nicht Autofahren kann und nicht Autofahren will. Grundsätzlich möchte ich dort wohnen, wo ich arbeite. Am liebsten gehe ich zu Fuss.
Und was könnte dich aus Zürich vertreiben?
Jeannette: Gentrifizierung, unbezahlbare Wohnungen und überall Konsumzwang.
Kathy: Wie schon gesagt, ich kenne die jeweiligen Vorzüge von Stadt- und Landleben und kann mir beides vorstellen. Es darf aber nicht sein, dass das Niveau der städtischen Mieten so hoch ist, dass sich immer mehr Leute diese nicht leisten können. Es sollte doch allen Menschen möglich sein, so und dort zu leben, wie sie es wünschen.
Eticus: Puh, da müsste schon sehr viel schiefgehen bis ich Zürich den Rücken zukehre.
Auch wenn wir Sitze hinzugewinnen, eine rot-grüne Mehrheit wie in der Stadt wird es im Kantonsrat kaum geben: wie gehst du mit dem Frust um, wenn Eure guten Vorstösse keine Mehrheit finden?
Eticus: Ja, leider werden wir wohl kaum eine Mehrheit erreichen können. Dies bildet auch die aktuelle nationale Realität ab. Wir sind uns ja leider gewöhnt nicht immer zu den Siegern zu gehören. Ich denke aber, dass es wichtig ist, unsere Stimme, auch als Minderheit einzubringen und dazu gehört, mit dem Frust umzugehen, indem wir aktiv Stellung nehmen und Position beziehen.
Jeannette: Frustrationstoleranz ist eine Kernkompetenz in meinem beruflichen Alltag. Heute gibt es keine Mehrheit. Irgendwann vielleicht. Wenn es nicht vorher zu spät ist. Wir wissen nicht, welcher unserer Grünen Schmetterlingsflügelschläge schlussendlich einen Tornado auslösen wird. Nichts tun ist trotzdem keine Alternative.
Kathy: Es ist wie beim Jassen: Nicht aufgeben und weiterspielen!
Wo und wie erholst du dich am liebsten?
Kathy: Beim Wandern und Spazieren, in der warmen Badewanne, beim Gespräch und im Spiel mit meinen Liebsten und im Freundeskreis …
Eticus: Am liebsten erhole ich mich bei Familie und Freunden sowie in der Natur, am allerliebsten natürlich kombiniert. Ich esse ebenfalls fürs Leben gerne und kann beim Kochen richtig abschalten.
Jeannette: Zwischen zwei Buchdeckeln oder im Wasser.
Gibt es ein Buch oder einen Film, das oder der dich besonders beeinflusst, oder gar dein Leben verändert hat?
Kathy: Viele Bücher haben mich gefesselt und berührt, ganz spontan kommt mir «Hannas Töchter» von Marianne Fredriksson in den Sinn – drei Frauen, drei Generationen, eine Familie.
Jeannette: «Hotel Ruanda» habe ich mehrmals gesehen. 1994 war ich 21. Grausame News in der Tagesschau, absolute Ohnmacht. Wo liegt die Verantwortung des Einzelnen? Meine? Seitdem frage ich mich dies immer wieder.
Mit 16 lernte ich die Bücher von Erich Fromm kennen. Ich habe sie wohl alle gelesen und seither an mir selbst und in der Gesellschaft beobachtet, wie Kapitalismus und Politik den Charakter der Menschen beeinflussen. Was fördert das Gute, was gibt dem Schlechtem im Menschen Nahrung? Viele meiner Vorstellungen und Ideen haben ihren Ursprung in Fromms Gedankengut.
Was möchtest du nebst dem Kantonsrat sonst noch machen oder erreichen im Leben?
Eticus: Politisch gesehen ist mein nächstes Ziel sicherlich der Kantonsrat. Wie weit der Weg noch gehen kann, darüber zerbreche ich mir den Kopf momentan noch nicht. Privat habe ich letztes Jahr geheiratet und freue mich darauf, diesen Weg weiter zu gehen.
Jeannette: Gleichmut, Suffizienz – und Halleluja von Leonhard Cohen auf einem Cello spielen können.
Kathy: Konfuzius wird folgendes Zitat zugeschrieben: «Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.» Das nehme ich mir zu Herzen.
Was gefällt dir am Grünen Regierungsratskandidaten Martin Neukom?
Eticus: Mir gefällt seine überragende Kompetenz in klimapolitischen Fragen. Ebenfalls hat er stets eine klare sachliche Haltung, die sehr angenehm in den aktuell teils ziemlich hysterischen Zeiten ist.
Kathy: Martin ist geistreich, nett, gescheit und redegewandt – ganz besonders gefällt mir sein trockener Humor, mit dem er schon so manche Kantonsratssitzung gewürzt hat.
Was wünschst Du dem Kanton Zürich zu Weihnachten?
Kathy: Ich wünsche dem Kanton Zürich viele zufriedene Menschen, die ihr gutes Leben auch zu schätzen wissen und zudem bereit sind, sich über den eigenen Tellerrand hinaus zu interessieren und zu kümmern!
Eticus: Schön wäre es wieder mal, weisse Weinachten zu haben, das wird dank Klimawandel leider immer schwieriger.
Jeannette: Den fast 1,5 Millionen Menschen? Das Gefühl der Zugehörigkeit. Wir gemeinsam sind der Kanton Zürich. Wir gestalten, was ist. Auf der Strasse, als Nachbarin, bei der Arbeit, bei Abstimmungen und Wahlen und einige wenige auch im Kantonsrat.
Das Interview führte Peter Schneider
0 Kommentare