Quartierleben
15 Posten und viel Schweiss
«Bootcamp», «Cross Fit» und «Plank Challenges» sind heute in aller Munde. Der altmodische Uronkel dieser neumodernen Erscheinungen zur körperlichen Ertüchtigung heisst Vitaparcours – und Wipkingen hat seit 1969 einen. Ein Erfahrungsbericht.
28. Juni 2016 — Julia Martinez
Zugegebenerweise, der Name «Vitaparcours» klingt sehr verstaubt. Was des «Bootcamp’s Dips» ist des Vitaparcours holprige Liegestütze rücklings. «Pull-Ups» sind Klimmzüge, die beim Vitaparcours sogar die ganz Faulen schaffen – in Form von «Hängen und ruhig atmen». Tafel Nummer acht wartet mit Steps auf – «schnelles Auf- und Absteigen». Gesprungen wird auf Baumstrunken. Je nach Fitnesslevel und Tagesform wählt man die entsprechende Höhe. Einen teuren Personaltrainer braucht man dazu nicht.
Zeit für einen Selbstversuch
Geschätzte 25 Jahre sind es her, als ich das letzte Mal den Vitaparcours auf dem Käferberg machte. Wenig hat sich geändert. Die Tafeln mit den Übungen sehen nicht so aus, als hätte man sie in der Zwischenzeit ausgetauscht. Die Übungen sind bestimmt auch die selben. Und so schwant mir Schlimmes. Klimmzüge! Froschhüpfen! Augen zu und durch, denke ich.
Die «Willkommenstafel» zu Beginn des Parcours kündigt 15 Posten an. Das blaue T-Shirt steht für Ausdauer, das gelbe für Beweglichkeit und Geschicklichkeit, das rote für Kraft. Doch bevor die Muskeln gestählt werden, lese ich die Hard Facts: Der Parcours ist 2,3 Kilometer lang. Die Steigung 60 Meter. Der Vitaparcours wurde für «Sie» gebaut, heisst es. Danke, denke ich. Unterhalten wird er durch «Grün Stadt Zürich». Die Stiftung, die dahinter steckt, heisst naheliegenderweise «Vita Parcours» (anders als auf den Tafeln jedoch in zwei Worten geschrieben). Hauptsponsor ist die Zurich Versicherungs-Gesellschaft, die mit dem Slogan «Willkommen im grössten Fitness-Club der Schweiz!» wirbt. So viel zur ersten Tafel des Vitaparcours.
Ich jogge los. Spazieren wäre auch möglich. Die erste Tafel – Dehnen – lass ich aus. Auch die zweite – Wippen und Arme schwingen. Ich setze alles auf das rote T-Shirt und renne weiter. Von Weitem sehe ich die Tafel mit der Nummer vier auf mich zukommen – die Klimmzüge. Ich stelle mich der Herausforderung und schaffe genau keinen. Also schnell weiter. Wieder Dehnübungen – Katzenbuckel und so weiter. Wieder weiter. Nummer sechs gibt schon mal optisch etwas her: Ringe an Ketten montiert. Die gelbe Version ist für die Beweglichkeit. Ich entscheide mich für Rot. Ich hänge an den Ringen und «hebe die Knie langsam, gerade nach vorne, schräg nach links und rechts». So steht’s auf der Tafel. Ein älterer Herr mit Dackel und ohne Sporttenü schnappt sich die Ringe mir gegenüber und wählt Gelb. «Beinkreisen links und rechts. Füsse ab Boden, Oberkörper bleibt stabil.» Das Metallknirschen bildet zusammen mit dem Vogelgezwitscher und den Düsengeräuschen eines Flugzeugs eine angenehme Kakophonie. Bei Posten neun treffe ich den nächsten Parcoursgenossen. Er ist jung und fit. Die Tafel zeigt dreimal Rot. Kein Dehnen und keine Geschicklichkeit also. Ich reisse mich zusammen und führe die Übungen souverän aus. Glück gehabt. Da ich grad im «Flow» bin, hänge ich noch drei Minuten «Planking» an und hinterlasse auf dem Holzbalken viel Schweiss.
Wer hat’s erfunden?
Dass wir heute auf den Vitaparcours schwitzen dürfen, verdanken wir einer Gymnastik-Gruppe aus Wollishofen, die in den 1960er Jahren umgestürzte Bäume für ihre Übungen nutzte. Allerdings wurden die Bäume bei Waldarbeiten regelmässig entfernt und so wurde der Gemeinde vorgeschlagen, einen Parcours zu gründen. Die Gemeinde gab grünes Licht und es entstand, unterstützt von der damaligen Vita-Versicherung, der heutigen Zurich, 1968 der erste Parcours mit Turnübungen. Heute gibt es schweizweit etwa 500 Vitaparcours. Auch in Deutschland ertüchtigt man sich im Wald. Dort tragen die Parcours den etwas martialisch anmutenden Namen «Trimm-dich-Pfad». Wer aber hat’s erfunden? Die Schweizer natürlich. Auch Österreich hinkt uns auf ihrer, wie sie sie nennen, «Forstmeile» hinterher.
So ehrlich wie eine Bratwurst
Die etwas misslungene Zeichnung auf Tafel zehn zeigt mir die nächste Übung an. Entsprechend ungrazil hüpfe ich über die Baumstämme und bin froh, dass grad niemand vorbeispaziert. Was den Vitaparcours so sympathisch macht, ist das Unspektakuläre. Ganz unprätentiös und sehr schweizerisch halt. Die Grafiken auf den Tafeln versprühen einen unbeholfenen Charme. Bald lichtet sich der Wald, ich höre Kindergeschrei und es riecht betörend nach Wurst. Auf die freue ich mich, denn nach einem Vitaparcours gibt’s alles, aber bitte keinen Eiweissriegel oder Proteinshake. Die überlassen wir den «Bootcampern» und «Crossfittern».
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