99 Ideen für Wipkingen

Mit der grossen Frage «Wovon träumt Wipkingen?» startete am 18. September der Probelauf des partizipativen Budgets «Quartieridee» in Wipkingen. Zu vergeben sind insgesamt 40  000 Franken. Innerhalb von ein paar Wochen wurden 99 Ideen für das Quartier eingegeben. Nun läuft die Machbarkeitsprüfung, welche sicherlich noch bis Mitte Januar dauern wird. Zeit, bei den Organisator*innen der Vereine Urban Equipe und Nextzürich nachzufragen, wie sie die erste Phase des Prozesses erlebt haben.

Ideentreff beim GZ Wipkingen an der Limmat.

Antonia von Urban Equipe, wie geht es Euch?

Antonia: Uns geht es gut, wir sind sehr zufrieden damit, wie die Ideen­phase verlaufen ist. Das Interesse an den Quartierspaziergängen und allgemein am Projekt war gross. 99 Ideen, das ist doch eine ansehnliche Zahl. Nun sind wir zu dritt dabei, die Triage zu machen. Manche Ideen können nicht von den Quartierbewohner*innen selber umgesetzt werden. Dort sind wir mit der Stadt in Kontakt und klären ab, inwiefern sie vielleicht schon an etwas Ähnlichem arbeitet. Manche Projekte sind zu vage oder zu gross, diese müssen erst etwas konkretisiert werden. Das Budget ist in diesem Testlauf den Ideen vorbehalten, die das Quartier selber umsetzen kann. Diese machen gut die Hälfte aller eingereichten Projekte aus. In der Machbarkeitsprüfung, die jetzt gerade läuft, arbeiten wir mit den Leuten daran, die Ideen so weiterzuentwickeln, dass sie als glaubwürdige Projekte mit Konzept und Budget zur Abstimmung kommen können. Eine relativ komplexe Angelegenheit, wenn wir uns mit jedem einzelnen Projekt auseinandersetzen und die Vernetzung der Ideengeber*innen fördern wollen.

Sabeth von Nextzürich, wie zufrieden bist Du mit der «Ausbeute»?

Sabeth: Die eingereichten Ideen sind sehr vielfältig. Klar, sie reflektieren, dass Wipkingen ein eher junges, urbanes Quartier ist und vielleicht nicht so durchmischt wie Schwamendingen. Aber innerhalb dieser «Bubble», wenn man das so nennen will, sind die eingegebenen Projekte doch breit gefächert. Alleine, was das Alter der Urheber*innen angeht: Von Jugendlichen bis hin zu Pensionierten waren alle Altersklassen vertreten. Besonders berührt hat mich eine Gruppe von älteren Damen, die Unterschriften für einen autofreien Röschibach sammelten und uns baten, ihr Anliegen auf die Plattform zu bringen. Das sind Geschichten, die zwar nicht sehr sichtbar sind, die aber stattgefunden haben.

Antonia: Und es geht ja nicht nur um die eingereichten Ideen. Im Hintergrund gibt es Menschen, die vielleicht gerade nicht die Kapazität hatten, etwas Eigenes einzugeben, aber sich durchaus überlegen, sich einer Idee anzuschliessen und später bei einem Projekt mitzuarbeiten. Diese werden deshalb offen gestaltet sein. Erste Vernetzungen fanden auch schon während der Ideen­phase statt. Das war schön zu sehen. Zum Beispiel unter den Gruppen, die sich für Grünraum-Themen engagieren. Eigentlich würde man meinen, dass sie sich gegenseitig als Konkurrenz wahrnehmen. Doch die Leute, mit denen wir gesprochen haben, sind bereit, sich gegenseitig zu unterstützen und Ideen, die im Budget nicht erfolgreich sind, auf einem anderen Weg zu realisieren. Das finde ich eine schöne Einstellung.

Wenn Ihr an den Anfang zurückdenkt: Wie haben die Leute auf die Quartieridee reagiert?

Antonia: Durchwegs positiv. Wir hörten oft, dass man sich so was schon lange gewünscht habe. Wir haben uns gefreut, wie viele Ressourcen und Interesse die Bevölkerung mobilisierte, sogar trotz Corona. Eher im Gegenteil. Viele waren froh, etwas machen zu können, kreativ zu werden. Endlich lief mal wieder etwas.

Sabeth: Es war ohne grössere analogen Veranstaltungen natürlich schwieriger, an die Leute ranzukommen. Gewisse Orte wie Altersheime konnten zum Beispiel nicht besucht werden. Wir hatten das Konzept im Vorfeld jedoch bereits angepasst und den Anspruch, mit diesem Testlauf alle Bevölkerungsgruppen zu erreichen, fallen gelassen. In der Ideen­phase war Corona also nicht unbedingt ein Problem. Es macht sich vielmehr jetzt in der Machbarkeitsphase bemerkbar. Denn jetzt wäre es wichtig, sich treffen zu können, um die Ideen zu besprechen.

Was habt Ihr schon gelernt für ein nächstes Mal?

Sabeth: In diesem ersten Testlauf haben wir es absichtlich sehr offen gelassen, welche Ideen eingegeben werden können. Auch die Teilnahmemöglichkeit war sehr niederschwellig, es reichte ein Titel und ein kurzer Text zur Idee. Das haben uns die Leute in Lausanne, wo sie das partizipative Budget bereits getestet haben, eingeschärft: Die Hürden müssen tief sein, sonst verliert man dort bereits die meisten Leute. Diese anfängliche Offenheit macht uns dafür jetzt umso mehr Arbeit, die wir gerne tun, aber die wir uns in diesem Masse bei einer stadtweiten Umsetzung eines solchen Projekts nicht mehr leisten könnten. Da die richtige Balance zu finden, wird eine Herausforderung.

Antonia: Ausserdem müssen wir in einem grösseren partizipativen Budget die Kommunikation und den Prozess so aufbauen, dass die Leute sich schnell ohne unsere Hilfe selber organisieren und vernetzen können. Das war dieses Mal natürlich noch nicht möglich, da wir selber noch im Lernprozess stecken.

Ein Backhaus für alle

Eine von 99 Ideengeberinnen ist Estelle. Die Architektin wohnt an der Grenze zu Wipkingen im Quartier Unterstrass und wünscht sich ein Backhaus. Wie viele andere auch, haben sie und ihr Freund im Frühling während des Lockdowns das Brotbacken wiederentdeckt, «damals hat jeder in unserem Umfeld einen eigenen Sauerteig angesetzt», lacht Estelle. Als sie von der Quartieridee erfuhr, war deshalb sofort klar: Ein öffentlicher Backofen muss es sein. Der Wunsch nährte sich einerseits aus einem aktuellen Bedürfnis nach kollektiven Backmöglichkeiten und andererseits aus einer ganz persönlichen Erinnerung und einem alten Wunsch: Estelles Grossvater war nämlich in der Kirchgemeinde seines Dorfes im Unterwallis verantwortlich für den gemeinschaftlichen Backofen, den «four banal». Schon im Mittelalter gab es in den Dörfern und Städten sogenannte Backhäuser, in denen die Bewohner*innen ihr Brot backen konnten, lange bevor sich jede*r einen Backofen im eigenen Haus leisten konnte. Das Warten vor dem Ofen war immer auch ein soziales Ereignis, man traf sich und tauschte sich aus. Viele Weiler haben die Backhäuser konserviert oder restauriert und befeuern sie immer noch mehrmals im Jahr. Als Architektin interessiert Estelle aber nicht nur das gemeinschaftliche Backen, sondern auch der gemeinsame und eigenhändige Bau eines Ofens. «Dafür gibt es im Netz unzählige Anleitungen», sagt sie und ist überzeugt, dass so ein Projekt im Kollektiv leicht umzusetzen ist. Deshalb feilt sie an ihrem Konzept und an einem Budget. Geeignete Orte hat sie bereits im Visier, nun hofft sie darauf, dass sich ihr noch weitere Interessierte anschliessen – «das Backhaus soll ja nicht nur für mich alleine da sein, es muss ein Quartier-Eigentum werden», fügt Estelle hinzu.

Weiterer Verlauf

Bis Ende Jahr bleibt den Ur­he­ber*innen der Ideen nun Zeit, ein Konzept und ein Budget abzugeben. Dabei werden sie von den drei Organisator*innen begleitet und unterstützt. Voraussichtlich ab Februar soll die Abstimmung stattfinden. Ein genaues Datum ist auch abhängig von der weiteren Entwicklung der Corona-Massnahmen, wird dann aber kommuniziert. Wenn es die Umstände zuliessen, wäre es schön, eine Siegesfeier zu veranstalten, finden die beiden Frauen, sind sich aber bewusst, dass das eher unwahrscheinlich ist. Das Ziel ist es, dass die Gewinner-Projekte im Sommer 2021 umgesetzt werden und sich die beiden Vereine zurückziehen können. Natürlich nicht ohne die Umsetzung dokumentiert zu haben, so dass Wipkingen die Ideen auch nach diesem Projekt weiterentwickeln und sich dazu vernetzen kann.

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