Baustelle Volksschule – wie weiter?

Genf, Bern, Basel, Zürich – überall hört man Ähnliches: Lehrkräftemangel, Frustration und Überforderung bei Eltern und Lehrerschaft, auffällig grosse psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen. Ist das so, und warum?

Inklusion möchte nicht, dass alle gleich sind, sondern dass alle gleichberechtigt sind und die gleichen Chancen erhalten.

Im Jahr 2000 ist die Schweiz der Europäischen Agentur für sonderpädagogische Förderung und inklusive Bildung beigetreten. Seit mehr als 15 Jahren ist in den meisten Kantonen auf eine integrative Schule umgestellt worden. Ziel der inklusiven Bildung ist es, hochwertige Bildung für alle Lernenden zur Verfügung zu stellen und es Kindern mit Schwierigkeiten zu ermöglichen, dank der Unterstützung spezialisierter Lehrkräfte dem ordentlichen Schullehrplan zu folgen. Gerechtigkeit und Qualität sind miteinander verbunden. Die inklusive Bildung hat mit den Fragen zur Diversität und Demokratie eher an Bedeutung gewonnen.
Und doch sind viele kritische Stimmen zu hören: So sei gemäss der Elternlobby die integrative Schule gescheitert. Gemäss der NZZ ist für mehr als die Hälfte der Lehrerschaft die integrative Schule eine Zusatzbelastung. Gemäss der Europäischen Agentur und deren wissenschaftlichen Berichten, erhöhen der Besuch einer «inklusiven» Schule und der Erhalt einer entsprechenden Förderung die Wahrscheinlichkeit eines späteren Hochschulstudiums. Aber wie man so schön sagt, guter Wille allein reicht nicht aus. Einfach das alte System zurückzurufen, ist schlicht nicht mehr möglich, wie viele rechte Politiker verlangen. Die Welt hat sich geändert, wie es auch beispielsweise in der Arbeitswelt nun zum guten Ton gehört, ein inklusiver Arbeitgeber zu sein, und in der niemand wegen Herkunft, Gender oder Behinderungen diskriminiert wird.

Eine grössere Verantwortung

Unter «besonderem Bildungsbedarf» versteht man verschiedene Bedürfnisse: integrative Förderung, Deutsch als Zweitsprache, Therapien (Psychomotorik, Logopädie etc.), Begabtenförderung, Begabungsförderung und besondere Klassen. Mehr Sonderpädagogische Angebote bedeutet mehr Abstimmungsbedarf, mehr Kommunikation, mehr Planungsbedarf, mehr Bürokratie etc. Der Schulleitung kommt deshalb eine viel grössere Verantwortung zu, um ein gut abgestimmtes Konzept aufzustellen. Bei so vielen verschiedenen Rollen und Ansprechpartnern ist es verständlich, wenn manch einer überfordert ist, wenn Eltern, Lehrer und Schüler frustriert sind. Man ist sich einig, dass es an den Ressourcen fehlt, an Zeit, Geld und Fachkräften mangelt.

Eine grosse Lücke

Die integrative Schule ist aber nicht gescheitert, sondern es klafft noch immer eine grosse Lücke zwischen der Realität und dem gewünschten Ideal der Inklusion im Rahmen der integrierten Schule. Inklusion als soziologischer Begriff beschreibt das Konzept einer Gesellschaft, in der jeder Mensch akzeptiert wird und gleichberechtigt ist. Integration wiederum bedeutet die Einbeziehung und Eingliederung in ein grösseres Ganzes. Die Europäische Agentur spricht also von Inklusion. Die Zürcher Bildungsdirektion von «integrierter Schulung». Inklusion möchte nicht, dass alle gleich sind, sondern dass alle gleichberechtigt sind und dieselben Chancen erhalten, sich ganz ihrem Potenzial entsprechend zu entfalten. Wir wünschen uns mehr Inklusion in der integrativen Schule. Die Bildung bleibt noch eine grosse Baustelle und braucht dringend neue Impulse, um sie wieder in die eigentlich gewünschte inklusive Bahn zu lenken. Hierzu braucht es den politischen sowie gesellschaftlichen Rückhalt. Gewiss soll nicht in Heilpädagogik allein investiert werden oder in noch mehr Bürokratie und noch mehr Stellen, sondern in eine gute Bildung unserer Kinder im Ganzen. Wir brauchen gesunde Kinder, die sich nicht eingliedern müssen, sondern sich selbst sein können und die nach ihrem Potenzial gefördert werden.

Daniela Güller, Kantonsrätin GLP, Kreis 6 & 10

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