Das «Aus» nicht einfach hinnehmen

Spätestens seit dem 6. September liegen beim Bahnhofreisebüro in Wipkingen die Nerven blank, und die Telefone laufen heiss: Die SBB kündigten an, den Billettverkauf via Dritte zu stoppen. Damit droht dem Schalter in Wipkingen das Aus – falls sich das Quartier nicht gewaltig wehrt.

Bahnhof Reisebüro Wipkingen

Die Medienmitteilung klingt nüchtern und enthält rein ökonomisch, sofern man nicht über die lokalen Konsequenzen nachdenkt, eine gewisse Logik: «Der Trend zum Billettkauf über die elektronischen Vertriebskanäle nimmt laufend zu», heisst es einleitend. Wogegen der Anteil an Billetten, die über die derzeit 52 Partner-Verkaufsstellen wie das Bahnhofreisebüro Wipkingen über die letzten Jahre kontinuierlich gesunken sei und zuletzt deutlich unter einem Prozent lag. Da die Verträge mit diesen Partnern Ende 2017 auslaufen, werden die SBB diese Zusammenarbeit per 1. Januar 2018 einstellen und hoffen, so bis zu fünf Millionen Franken einzusparen. Der Rest der Mitteilung ergeht sich in der Lobpreisung der SBB-eigenen Vertriebskanäle bis hin zur kostenpflichtigen 0900er-Nummer. Unterdessen ist die Thematik, nach dem ersten Schock und einem anfänglichen Stillschweigen der Medien, auf allen Ebenen in Bewegung gekommen. Der Quartierverein Wipkingen spricht auf seiner Homepage Klartext: «Unverständlich ist die Argumentation der SBB, dass neuerdings der Service Public auch kostentragend sein soll. Die SBB als privatwirtschaftliche AG handelt immer mehr wie ein Unternehmen, das sich vermehrt auf die rentablen Zweige konzentriert, zum Beispiel, wenn sie Immobilien an innerstädtischen Lagen entwickelt. Mit Shoppingcentern und attraktiven Liegenschaften ist dort natürlich viel mehr Geld zu verdienen». Die Züge, so die sarkastische Schlussfolgerung, seien wohl nur noch dafür da, möglichst viele Leute in die SBB-eigenen Shoppingmalls zu transportieren. Der Quartierverein, mit elf Prozent Aktienkapital an der Bahnhofreisebüro Wipkingen AG beteiligt, zeigt sich tief betroffen. «Es wird immer ein Ziel bleiben, den Bahnhof Wipkingen als bedienten Bahnhof weiter führen zu können. Mit der nun angekündigten Vertragskündigung gehen in Wipkingen vier Stellen verloren. Das werden wir uns nicht kampflos bieten lassen.»

Petition läuft

Reagiert hat auch ein Zusammenschluss von Stationshaltern, darunter auch das Bahnhofreisebüro Wipkingen. Sie haben eine Online-Petition gestartet, in der man mit wenigen Klicks die SBB auffordern kann, auf den Entscheid zurückzukommen. Auch die Petitionäre äussern sich klar: «Die Stationshalter und ihre Mitarbeitenden sind Botschafter für die Bahn und beraten die Bahnkunden kompetent. Die von den SBB genannten fünf Millionen Franken Einsparung sind lächerlich bei 8,5 Milliarden Franken Gesamtaufwand der SBB angesichts des nun vernichteten Goodwills bei vielen Bahnkunden.

Online Petition an die SBB:
www.stationshalter-ade.ch

Auch der VCS hat eine Petition gestartet:
www.verkehrsclub.ch/unsere-themen/petition-serviceabbau

 

Geschichte
1856: Die Nordostbahn eröffnet die Eisenbahnstrecke über den Damm. Beim Bau der Strecke war kein Bahnhof vorgesehen. Ein Bahnhof war vor dem Tunnel nicht möglich, weil bergwärts anfahrende Züge viel Rauch ausstossen: für Lokführer und Passagiere hätte im Tunnel Vergiftungsgefahr bestanden.
1859: Gründung Gemeinnützige Gesellschaft Wipkingen GGW. Eines der ersten Themen ist der Wunsch nach einem Bahnhof.
1920er Jahre: Schreinermeister und Gemeinderat Jakob Ott, Vorstandsmitglied der GGW, erarbeitet Pläne für einen Bahnhof, die er in der Generaldirektion in Bern einreicht. Bauvorstand Klöti unterstützt das Anliegen als Mentor.
1925: Die GGW startet eine Unterschriftensammlung. Die SBB lehnt einen Bahnhof weiterhin ab.
1932: Der Bahnhof Wipkingen wird nach 75 Jahren Wartezeit am 2. Oktober eröffnet. Täglich halten 17 Züge, die sofort gut besetzt sind. Innert zehn Tagen verkauft der Stationsvorstand am Bahnhof Wipkingen 300 Streckenabonnemente.
1938: Der Bahnhof Wipkingen liegt beim Verkauf von Streckenabonnementen von den über 700 SBB-Bahnhöfen auf Platz 3, direkt hinter dem Hauptbahnhof und Winterthur. Bis Kriegsbeginn steigen der Billettverkauf und die Frequenzen am Bahnhof Wipkingen so stark, dass die SBB zusätzliche Waggons anhängen muss.
1970: Der Billettschalter in Wipkingen wird geschlossen.
1972: Die SBB stufen den Bahnhof Wipkingen zur unbedienten Haltestelle zurück.
1980er Jahre: Das Wartehäuschen auf dem Perron bleibt wegen Drogenproblemen geschlossen. Billettschalter, Stationsbüro und Gepäckbüro werden geschlossen. Die Signal- und Weichenbedienung erfolgt ferngesteuert.
1993: Der Verein IG Bahnhof Wipkingen wird gegründet mit dem Ziel, eine private Billettverkaufsstelle einzurichten.
1997: Max Welti eröffnet das Bahnhofreisebüro Wipkingen als Einzelfirma auf Basis des neu entwickelten Stationshaltermodells.
2002: Einsatz des modernen, an allen SBB-Schaltern eingesetzten Verkaufscomputer Prisma 2.
2004: Umwandlung der Einzelfirma Bahnhofreisebüro Wipkingen Max Welti in die Aktiengesellschaft Bahnhofreisebüro Wipkingen AG.
2007: Nach zehn Jahren beläuft sich der Umsatz auf rund vier Millionen Franken pro Jahr.
2012: Das Bahnhofgebäude wird renoviert und erweitert. Das Bahnhofreisebüro erweitert das Sortiment und hat neu eine kleine Empfangshalle. Das Bahnhofreisebüro Wipkingen führt das Mietverhältnis mit dem neuen Besitzer längerfristig fort.
Zusammengestellt von Martin Bürlimann

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