Das Leben und Wirken des Jakob Ott

Schreinermeister Jakob Ott wurde in der Rubrik «Damals» schon öfter erwähnt. Ohne ihn gäbe es keinen Landenbergpark und wohl auch keinen Bahnhof Wipkingen. Höchste Zeit, ihn zu ehren.

Ein engagierter Wipkinger: der Schreinermeister Jakob Ott (1854–1949). (Foto: zvg)

Kurz vor der Eingemeindung, im Jahr 1892, parzellierten die Stadtplaner die ehemaligen Äcker und Baumgärten im unteren Teil Wipkingens neu und legten die Baulinien für künftige Strassen fest. Die Röschibachstrasse erhielt ihren Namen bei der Eingemeindung 1893, die anderen Strassen im Geviert, die Habsburg-, Landenberg-, Zeuner-, Kiburg- (damals mit «i» geschrieben) und die Leutholdstrasse wurden 1898 festgelegt und getauft.
Die Quartierpläne waren 1898 fertig.

Wipkingen war um die Jahrhundertwende eine «Boomtown». Der Bau der Wipkingerbrücke 1872 war der Auslöser, als die Industriellen ennet der Limmat Mietskasernen für die Arbeiter bauten. Dazu eignete sich das unbebaute Land in Wipkingen. Es gab Phasen, in denen wie verrückt gebaut wurde, wechselnd gefolgt von Immobilienpleiten und erneuter Bauwut. Das Gebiet bei der Landenbergstrasse ist in einem alten Schulatlas um 1910 als komplett überbaut eingezeichnet, obwohl erst wenige Häuser standen. Die Stadtplaner und Bauherren waren überzeugt, dass hier nichts anderes als ein Mietshaus zu stehen kommen sollte.

Ein Park ist nötig
Nach einer Wirtschaftskrise in den 1910er-Jahren und dem folgenden Aufschwung tauchten erneut Financiers und Bauherren auf, die in Wipkingen neue Projekte erwogen. Die wilde Bauerei behagte Schreinermeister Jakob Ott nicht. In seinem Quartier sollte es bald nirgends mehr Platz zum Flanieren und Verweilen geben, befürchtete er. Er trat der Gemeinnützigen Gesellschaft Wipkingen (GGW) bei, dem heutigen Quartierverein, und blieb dort 36 Jahre lang Mitglied. Als Anhänger des schweizerischen Milizsystems engagierte er sich in der Politik. Er trat mit Erfolg bei den Wahlen an und wurde 1907 als Mitglied der Freisinnigen Partei in den Grossen Stadtrat, den heutigen Gemeinderat, gewählt. Er wurde siebenmal wiedergewählt. Praktisch veranlagt zeigte er viel Sinn fürs Machbare.

Sein grosser Wunsch war eine grüne Anlage inmitten der wachsenden Häuserzeilen. Die Städteplaner leisteten ganze Arbeit: Das Gebiet zwischen der Nordstrasse, der Rosengartenstrasse und dem Bahneinschnitt war komplett verplant. Es sollte eine geschlossene Siedlung von Blockrandbebauungen werden. Architektonisches Vorbild war Paris, die Stadt der Träume. Heute sind Bauten aus dieser Zeit noch an der Leutholdstrasse oder an der Rütschistrasse zu finden. Die Strassen sollten jeweils ein Geviert bilden, angeglichen an die Topografie, darin dicht bebaut die Blockrandsiedlungen mit privaten Gartenanlagen im Innenhof. Man baute damals überall wo möglich Kartoffeln und Gemüse an, nicht aus Lust am Gärtnern, sondern aus Notwendigkeit.

Jakob Ott, Kassier der GGW, und Präsident Eugen Bolleter schrieben 1916 dem Stadtrat einen Brief und forderten ihn auf, die Blockrandbebauung zu stoppen. Ein Geviert innerhalb der Baulinien müsse frei bleiben. Der junge Vorsteher des Bauamts I hiess Emil Klöti. Der spätere Stadtpräsident hatte ein offenes Ohr für das Anliegen und brachte das Thema in den Stadtrat. Allerdings verlangte dieser von der GGW, sie müsse ein Drittel des Kaufpreises für das Land selber aufbringen. Die Absicht war, den Park als politisches Gremium nicht selber zu verhindern und gleichzeitig die Bauherren nicht zu verärgern.

Der GGW gelang, womit niemand gerechnet hatte: Im Dezember 1916 bestätigte Bolleter dem Bauamtsvorsteher Klöti die getätigte Rückstellung von 28 000 Franken als Zahlung für die Freihaltung. Der Stadtrat hielt Wort und reservierte die Parzelle für einen öffentlichen Park. Inmitten des Ersten Weltkrieges war daran nicht zu denken. Der Kartoffelacker war wichtiger als alles andere. Auch würde das Parlament im dritten Kriegsjahr keinen Rappen für solche Vorhaben sprechen. Immerhin, das Land für ein Pärklein war gesichert. Wenige Jahre nach dem Krieg konnte zur grossen Freude von Jakob Ott und der GGW am 16. Juni 1923 der neue Park eröffnet werden. Der Männer- und Töchterchor sangen zur Einweihung der neuen Landenberganlage. Der Turnverein zeigte Barrenübungen und Pyramiden, die Damenriege lebende Bilder, und Lehrer Ziegler hielt eine Ansprache.

Endlich ein Bahnhof
Zum grössten Versäumnis, der fehlenden Bahnstation, nahm Ott Verhandlungen mit den Bundesbahnen auf und erarbeitete in den 1920er-Jahren selbst Pläne für einen Bahnhof, die er der Generaldirektion in Bern einreichte. Auch hier war die GGW tatkräftig beteiligt. Ratsmitglied Ott gewann Bauvorstand Klöti als Mentor. Der am 2. Oktober 1932 eröffnete Bahnhof Wipkingen ist zu einem schönen Teil Otts Weitblick zu verdanken.
Weitere seiner Vorhaben überdauerten die Zeit.

Sein Wirken prägt das Quartier bis heute: In der Baukommission des Schulhauses Nordstrasse war er tatkräftiges Mitglied, ebenso in der Baukommission der neuen reformierten Kirche. Nebst der Landenberganlage und dem Bahnhof drängte er auf einen Ausbau der Wasserwerkstrasse als Verbindung zwischen Dorfkern und Stadt. Er brachte die Kantonalbank dazu, in Wipkingen eine Filiale zu eröffnen. Beim Bau der Kornhausbrücke 1929 nahm man seine Anregungen auf und verbesserte die Zufahrten zum Bahnhof Letten.

Krankenpflege
Ein Herzensanliegen von Jakob Ott war die Pflege der Kranken. Seine beiden Kinder und ihre Mutter starben, sein Vater humpelte im tiefsten Winter sterbenskrank ins ferne Spital, weil es keine Pflege gab und die einfachen Leute den Arzt nicht bezahlen konnten. Die Gemeindekrankenpflege Wipkingen, 1902 ins Leben gerufen, ging auf Ott zurück. Mit der gleichen Beharrlichkeit, die er für die öffentlichen Bauvorhaben an den Tag legte, trat er für die Alten, Schwachen und Kranken ein. Niemand nahm ihn ernst: «Ott wird alt, bevor er dies zustande bringt», tratschten die Spötter. Es gelang doch, auch mithilfe der reformierten Kirche, und Ott amtete 30 Jahre lang als Kassier der Gemeindekrankenpflege. Nur drei Jahre später gründete die GGW die Hauspflege, bei der Ott in der Dreierkommission Einsitz nahm, welche die Hauspflege beaufsichtigte und betreute.

Aller Anfang ist schwer
Jakob Ott kam 1854 in Rikon zur Welt. Im Alter von drei Jahren erkrankte er so schwer, dass er nicht mehr gehen konnte. Der elterliche Hof brannte nieder, und die Familie zog zum Grossvater. Kurz darauf starb sein Vater, der in der Spinnerei Sennhof gearbeitet hatte. Ein Jahr später verstarb die Mutter an Herzversagen. Der älteste Bruder, Albert, der die Erziehung der Geschwister übernahm, wurde 1870 wegen des Preussisch-Französischen Krieges in den Aktivdienst an die Grenze einberufen. Jakob arbeitete seit dem zwölften Lebensjahr in der Fabrik, 13 Stunden täglich, auch am Samstag, für 65 Rappen Lohn pro Tag.

Als 18-Jähriger begann er eine Schreinerlehre. Als er 1883 nach seiner Gesellenzeit in Paris zurückkam, meldete er sich auf eine Annonce aus Wipkingen, wo eine Schreinerwerkstatt zu vermieten war. «Aller Anfang ist schwer», schrieb er dazu in seinen Memoiren. Dank seinem Fleiss und seiner Sparsamkeit konnte er sechs Jahre später zusammen mit seiner Frau Elise Schneider von Richterswil ein Grundstück an der Burgstrasse 22 erwerben. Ein Sohn und eine Tochter kamen zur Welt.

Nur ein Jahr darauf, 1887, starben beide Kinder innert Wochen, und auch die Ehefrau wurde nie wieder richtig gesund und starb drei Jahre später. 1894 heiratete Ott ein zweites Mal; Elise Spiller aus dem Tösstal. Jakob und Elise Ott waren bald angesehene Bürger, er hatte seine Schreinerei mit Umsicht und Fleiss auf beachtliche Höhen gebracht. Er baute sein Geschäft aus zu einem Wohnhaus mit Werkstätte. Beide nahmen regen Anteil am öffentlichen Leben der Gemeinde Wipkingen, welche nun ein Zürcher Stadtteil geworden war. Zwei Töchter, Liseli und Friedy, wuchsen heran, ein Sohn verstarb nach der Geburt.

Der älteste Stadtzürcher
Im Alter von 70 Jahren beschloss Jakob Ott, kürzer zu treten. Das Ehepaar erstand ein Haus an der Nordstrasse 175, wo es seinen Lebensabend verbringen wollte. 1943 starb seine Frau Elise; auch seine jüngere Tochter war verstorben. Er zog sich aus dem öffentlichen Leben zurück und trat der «Alten Garde» bei, einer Vereinigung von älteren Bürgern und gesetzten Herren. Dem Männerchor blieb er treu; bis zu seinem Todestag blieb er Mitglied, insgesamt über 65 Jahre lang.

Am 23. Juli 1949 lauschte der Senior bei offenen Fenster den Klängen des Männerchors Wipkingen. Zu seinen Ehren sangen sie an seinem 95. Geburtstag «Im schönsten Wiesengrunde». Ott war ältester Stadtbürger. Kurz darauf am 4. Oktober 1949 starb Jakob Ott.

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