Das Schweigen der Guthirt-Glocken

Die Kirchenpflege der Pfarrei Guthirt hat sich einer an sie direkt gewandten E-Mail-Anfrage zum nächtlichen Glockenschlag angenommen und nun entschieden, ab Anfang 2019 den nächtlichen Stunden- und Viertelstundenschlag einzustellen.

Die katholische Kirche Guthirt in Wipkingen (Foto: Wipkinger Archiv)
Die Glocken der Kirche Guthirt. (Foto: zvg)
1/2

Die Diskussion um den nächtlichen Glockenschlag der katholischen Kirche Guthirt war in den vergangenen Jahren immer mal wieder kurz aufgeflammt. Auch beim «Wipkinger» hatten sich Anwohnende über die nächtlichen Emissionen beklagt, die in ihren Ohren eine unnötige Lärmquelle seien. Ob Kirchenglocken nachts läuten oder nicht, liegt in der Entscheidungskompetenz der jeweiligen Kirchgemeinde. So verzichtet beispielsweise die reformierte Kirche Wipkingen seit November 2013 darauf. Während andere Kirchen ihre Glocken nachts nicht mehr klingen lassen, mahnt die Kirche Guthirt noch durchgehend mit dem Viertelstunden- und Stundenschlag an die Vergänglichkeit der Zeit. Was in der Nachbarschaft der Kirche für die einen etwas Beruhigendes ist, ist für die anderen eine massive Störung, insbesondere im Sommer, wenn man gerne bei offenem Fenster schlafen würde.

Verwirrung um «Abstimmung»

Im Juli 2017 hatte sich jemand mit der Frage, ob man nicht während den Sommermonaten den nächtlichen Glockenschlag einstellen könnte, zum ersten Mal direkt an den Präsidenten der katholischen Kirchgemeinde Guthirt, Lukas Tschopp, gewandt. Dieser brachte das Anliegen im August in der Kirchenpflegesitzung ein, wo beschlossen wurde, das Thema an der Kirchgemeindeversammlung vom 5. November einzubringen, um die Gemeinde mit dem Ziel, eine Entscheidungsgrundlage zu finden, darüber diskutieren zu lassen. Auch die anfragende Person wurde eingeladen, um ihr Gehör zu verschaffen. Da diese – und auch sonst niemand – keinen offiziellen Antrag gestellt hatte, kam das Thema als einfaches Traktandum «nächtlicher Glockenschlag» auf die Liste, um offen darüber zu diskutieren und «den Puls zu fühlen», wie Lukas Tschopp erklärt – von einer anstehenden, offiziellen Abstimmung war seitens der Kirchenpflege nie die Rede. Doch offenbar lag da ein Kommunikationsmissverständnis vor, denn schon bald tauchten im Quartier anonyme Flugblätter auf, in denen von einer «Abstimmung» die Rede war.
Auch der Quartierverein Wipkingen führte im September und Oktober eine Online-Befragung durch und sprach von einer anstehenden «Abstimmung». 356 Personen nahmen teil – 71 Prozent davon sprachen sich für eine Reduktion des nächtlichen Glockenschlags aus. Die Online-Kommentare zur Umfrage spannen den Bogen von «ich wohne direkt neben der Kirche und schlafe immer mit Ohropax, auch bei geschlossenem Fenster» bis «lasst es läuten! Ist ja nicht so, als ob die Kirche nicht da war, als die Leute eingezogen sind» und «der heilige Bimbam gehört zur Wipkinger Nacht» und weist starke Parallelen zu ähnlichen Auseinandersetzungen auf: Um Kuhglocken auf dem Land oder Fussballplätze in Zürichseegemeinden.

Authentische, empathische Voten

Die Kirchgemeinde Guthirt aber stellte sich offen der Diskussion. Doch bevor diese geführt werden konnte, musste an der besagten Kirchgemeindeversammlung vom 5. November zuerst die Verwirrung um die irrtümlich kolportierte «Abstimmung» geklärt werden. Die Kirchenpflege hatte, in der Annahme, dass es an der Versammlung um eine Diskussion und nicht um eine Abstimmung gehen würde, keine offizielle Position bezogen. Dies hätte sie formalrechtlich jedoch tun müssen, hätte eine gültige Abstimmung stattfinden sollen. «Die Enttäuschung darüber, dass nun nicht abgestimmt werden konnte, war einigen der Teilnehmenden anzusehen», erinnert sich Tschopp an jenen Sonntag. Doch dann diskutierten die 47 anwesenden Kirchgemeindemitglieder und 16 Gäste fast zwei Stunden lang engagiert über das Thema. Gekommen war wohl der Kern der tatsächlich Betroffenen, welche konstruktiv eine Lösung finden wollten, und so seien die Voten, so Tschopp, allesamt authentisch und emphatisch gewesen: «Der Dialog war konstruktiv und bildete eine Basis für das weitere Vorgehen. Irritierend war jedoch die sehr geringe Anzahl an Interessierten, nachdem das Thema im Vorfeld als ˂so brennend˃ dargestellt wurde, dass sogar anonyme Flugblätter verteilt wurden».

Nachtruhe kommt, allgemeine Fragen bleiben

Am 30. November traf sich die Kirchenpflege zu einer Sitzung. Alle Argumente pro und kontra noch in den Ohren, beschloss sie, wie sie dem «Wipkinger» exklusiv mitteilte, künftig auf den nächtlichen Glockenschlag zwischen 22 und 7 Uhr zu verzichten. Allerdings sei dies erst Anfang 2019 möglich, nach technischen Anpassungen, die im Rahmen der Kirchenrenovation nächstes Jahr durchgeführt werden. Der Entscheid, den die Kirchenpflege nun – ohne die Gemeindemitglieder abstimmen zu lassen– gefällt hat, ist leichtgefallen. Präsident Tschopp sagt, es sei sorgfältig abgewogen worden, da der nächtliche Stundenschlag auch von einer respektablen Anzahl Menschen befürwortet werde, denen er in dunklen Stunden Halt und Vertrauen gebe: «In Beachtung der Empfehlungen des Generalvikariats, des Stadtverbandes der römisch-katholischen Kirche und der reformierten Kirche Wipkingen haben wir uns dennoch für die Anpassung und gegen die Tradition entschieden». In einem Stadtteil, der seit Jahrzehnten unter den Emissionen des Durchgangsverkehrs leidet, wolle die Kirchgemeinde Guthirt mit der Umstellung des Glockenschlages einen Beitrag zur Förderung der Nachtruhe leisten. Mit diesem Schritt komme man dem Anliegen einiger Bewohnerinnen und Bewohner von Wipkingen entgegen, die Kirchenpflege setze damit auch ein Zeichen der Toleranz und Rücksichtnahme und leiste einen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben im Quartier. Eine Frage bleibt aber auch für die Kirchenpflege Guthirt offen, wie sie schreibt: «Wie wird es wohl sein, wenn dann die lauschigen Sommerabende dazu verleiten, sich bis spät in die Nacht im Freien oder auf den Balkonen zu vergnügen und dabei die ruhenden Nachbarn vergessen gehen? Ob dann der Glockenschlag fehlt, der die einen oder die anderen an die vorgerückte Stunde und damit an die Nächsten erinnert?»
Eine Emissionsquelle des nächtlichen «Lärms» wird ab 2019 verstummen. Doch die teils heftig geführten Auseinandersetzungen darüber, was in einem Stadtquartier als Lärm gilt und was nicht, ab wie vielen Dezibel und zu welchen Uhrzeiten etwas überhaupt als Lärm bezeichnet werden darf, darüber wird man auch danach nicht nur in Wipkingen weiter streiten. Ein Dialog, wie er der Kirchgemeinde Guthirt gelungen ist, hat leider Seltenheitswert.

0 Kommentare


Themen entdecken