Quartierleben
Die Soziokultur im Bundesasylzentrum
Seit knapp drei Jahren betreibt das GZ Wipkingen einen Begegnungsraum im Bundesasylzentrum an der Duttweilerstrasse. Ein gerne genutztes Angebot, trotz schwierigen Bedingungen.
22. September 2022 — Eingesandter Artikel
eit Herbst 2019 werden Asylsuchende in Zürich im Bundesasylzentrum (BAZ) an der Duttweilerstrasse betreut. Das BAZ ist eines von sechs zentralen Zentren, auf das die in der Schweiz ankommenden Geflüchteten verteilt werden. Hier werden in beschleunigten Asylverfahren die Gesuche geprüft. Maximal verweilen die Asylsuchenden nach Angaben des Bundes 140 Tage im Zentrum, bis ihre Verfahren abgeschlossen sind und sie an die Kantone weiterverwiesen werden.
Ebenfalls bereits seit fast drei Jahren betreibt das GZ Wipkingen hier das städtische Pilotprojekt «Begegnungsraum BAZ» (der «Wipkinger» berichtete): Ein öffentlicher Raum, der nicht nur den Bewohnenden des Asylzentrums als Treffpunkt dient, sondern auch den Quartierbewohner*innen offen steht. Ziel sei, so die Stadt in einer Medienmitteilung, «die Einbindung des BAZ ins Quartier und die Förderung des Austauschs zwischen der Bevölkerung und den Asylsuchenden.»
Selbstbestimmung ermöglichen
Der ebenerdige Raum, direkt neben dem Eingang des BAZ gelegen, wirkt mit seinen grossen Fenstern freundlich und einladend – ein wohltuender Kontrast zur abweisenden Fassade des Asylzentrums. Im Inneren findet sich eine gemütliche Sitzgruppe, eine kleine Kochecke, Regale mit Büchern, Broschüren und Spielen.
Geöffnet ist der Raum jeden Tag (ausser montags) jeweils nachmittags für einige Stunden sowie am Samstagabend. Betreut wird er zur Hauptsache von den drei Mitarbeitenden Julie Saacke, Jonas Isenring und Samuel Bürgin. Sie koordinieren das Angebot und sind Ansprechpersonen für die Besucher*innen. Julie leitet dienstagnachmittags einen Frauentreff. An den übrigen Tagen steht der Raum als Begegnungsort allen zum Reden, gemeinsamen Kochen oder Spielen offen. An den Wochenenden übernehmen Freiwillige seine Betreuung. «Wir möchten ein möglichst niederschwelliges Angebot zur Verfügung stellen», erklären Julie, Jonas und Samuel: «Jede*r kann einfach spontan hier reinschauen und das tun, was ihm/ihr Spass macht. Damit können wir den Geflüchteten zumindest in einem bescheidenen Rahmen ein Stück Selbstbestimmung in einer für sie schwierigen Situation zurückgeben.» Dazu kommen abendliche Anlässe, Kooperationen mit anderen soziokulturellen Akteuren wie etwa der Jugendarbeit des GZ Höngg, sowie Informationsveranstaltungen und Workshops zu Flucht- und Migrationsthemen.
Volles Haus im BAZ – und viele Minderjährige
Das BAZ bietet nach Angaben des Bundes Platz für maximal 360 Geflüchtete. Im Moment befänden sich, so erklären die drei Mitarbeitenden, sehr viele Menschen im Zentrum, der Grossteil von ihnen stamme aus Afghanistan. «Auch die Zahl der unbegleiteten Jugendlichen, die ohne Eltern und Familie hier in der Schweiz angekommen sind, ist momentan sehr gross.» Das Zusammenleben auf so engem Raum ist eine grosse Herausforderung: «Es leben hier viele Jugendliche aus verschiedenen Gruppen und Ethnien, die unterschiedliche Sprachen sprechen. Daneben sind aber auch zahlreiche Familien und Erwachsene hier. All deren Bedürfnisse und Interessen auf dem begrenzten Platz unter einen Hut zu bringen und ihnen gerecht zu werden, ist nicht ganz einfach», erläutert Samuel. Und in der meist kurzen Zeit, welche die Asylsuchenden im BAZ verbringen, ist Beziehungsarbeit für die Quartierarbeiter*innen nur eingeschränkt möglich.
Dennoch funktioniert das Konzept des Begegnungsraums sehr gut, das Angebot wird gerne angenommen: Zwischen 20 und 50 Personen, so erzählt Jonas, kämen im Durchschnitt über den Nachmittag verteilt hier im Raum vorbei. «Wir erleben die Bewohner*innen als sehr höflich und interessiert. Oft sind wir – neben den Behördenkontakten – die ersten Personen, die sie hier in der Schweiz kennenlernen. Man merkt, dass unser Angebot geschätzt wird», führt Julie aus.
Und weiter: «Ich erlebe oft eine sehr entspannte Stimmung hier. Die Jugendlichen sind unter sich, geniessen eine kleine Auszeit, die Familien kochen – und dann wird das Essen mit allen geteilt. Auch mit uns. Das finde ich sehr schön zu sehen.»
Besondere Herausforderungen
Der enge Raum ist jedoch generell ein Problem. Schon von Anfang an hatten sich die drei Mitarbeitenden daher darum bemüht, den Aussenraum verstärkt zu nutzen und auszubauen. Nach längeren Abklärungen konnten sie diesem Wunsch im Frühling 2021 nachgehen und damit nicht nur den Bewohner*innen einen gemütlichen Vorplatz bieten, sondern auch den Quartierbewohner*innen und Passant*innen ein wenig die Scheu nehmen, Kontakte zu knüpfen oder sich an Anlässen zu beteiligen.
Doch in den vergangenen zwei Jahren erschwerte ihnen die Pandemie die Arbeit. Und nun, da Corona zumindest für den Moment ein wenig in den Hintergrund geraten ist, sind mit dem Ukraine-Krieg neue Herausforderungen auf sie zugekommen: Der Platz ist nicht nur im BAZ selbst, sondern auch im Aussenraum noch begrenzter geworden. Direkt vor dem Begegnungsraum hat der Bund ein grosses Zelt aufgestellt, um die ukrainischen Flüchtlinge, die in Zürich ankommen, zu registrieren. Dies erschwert oder verunmöglicht nicht nur die Durchführung von geplanten Aktivitäten im Aussenraum, sondern mindert auch die Sichtbarkeit im Quartier.
Wie geht’s weiter?
Angesichts der wachsenden Herausforderungen, davon ist das Team überzeugt, ist die Arbeit im Begegnungsraum umso wichtiger. Das ursprünglich auf zwei Jahre begrenzte Pilotprojekt wurde vergangenes Jahr aufgrund der Pandemie um ein Jahr verlängert. Ende dieses Jahres steht im Gemeinderat eine weitere Entscheidung über die Fortführung aus. «Wir hoffen, dass der Begegnungsraum eine fixe Grösse im BAZ bleiben kann», so die Quartierarbeiter*innen. Geplant wäre dann auch, das Angebot und die personelle Infrastruktur weiter auszubauen. Jederzeit herzlich willkommen sind auch Freiwillige, die sich mit etwas Zeit oder eigenen Ideen einbringen möchten oder bereits bestehende Projekte unterstützen wollen.
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