Ein Bett auf Zeit

Die Notschlafstelle der Stadt Zürich ist zurück an der Rosengartenstrasse. Ein Augenschein im sanierten Gebäude zeigt, dass es um mehr geht, als um ein Bett für die Nacht.

Die Schlafzimmer sind mit Etagenbetten ausgestattet. (Foto: dad)

Zürichs einzige ganzjährig geöffnete Notschlafstelle für Erwachsene hat ein Facelifting erhalten, wie die Stadt Zürich schreibt. Im dreistöckigen Haus mit Baujahr 1927 an der Rosengartenstrasse 30, in welchem die Notschlafstelle seit rund 25 Jahren beheimatet ist, mussten die gebäudetechnischen Anlagen erneuert werden, zudem standen räumliche Optimierungen auf dem Plan. Aus diesem Grund zog das Angebot von Januar 2022 bis Anfang Februar 2023 an einen Ersatzstandort beim Triemli.

Vor der Wiedereröffnung an der Rosengartenstrasse konnte das frisch instand gesetzte Gebäude besichtigt werden. Es waren nicht nur die für 5,1 Millionen Franken sanierten Räumlichkeiten, die interessierten. Zwei grosse Fragen lauteten: Wer sind die Menschen, die hier übernachten, und warum nehmen sie die «Schliiffi» in Anspruch?

«Wer das Angebot der Notschlafstelle beanspruchen will, muss zunächst beim Empfang im Erdgeschoss die Gründe für seine Obdachlosigkeit darlegen», sagt Sylvie Jossi, Leiterin Abteilung Obdach bei den Sozialen Einrichtungen und Betrieben der Stadt Zürich. Insgesamt stehen 52 Betten zur Verfügung. Hinzu kommt: Wer ein Bett für die Nacht erhält, muss in Zürich angemeldet und mittelos sein. Die Personalien werden, wie in einem Hotel, angegeben. Personen aus anderen Gemeinden oder dem Ausland werden in Notsituationen für eine Nacht aufgenommen, am Folgetag wird jedoch abgeklärt, in wessen Zuständigkeit die betroffene Person fällt.

Der «Fünfliber», ein bekannter symbolischer Betrag der Nutzer*innen für die Nacht – die realen Kosten liegen bei 146 Franken –, wurde bereits im März 2020 sistiert. «Während der Pandemie haben wir unsere Klient*innen damit entlastet, nun werden wir den Betrag definitiv erlassen», erklärt Jossi. Aber die Zeit muss stimmen: Der Zugang wird bis 0.30 Uhr gewährt. Danach sind die Türen verschlossen, die Nachtruhe muss gewährleistet sein.
Jossi holt aus: «Um in eine solche Notlage zu geraten, wie unsere Klient*innen es sind, benötigt es einen langen Weg», sagt sie. Der soziale Abstieg erfolge stufenweise. Nicht selten seien es heutzutage schwere psychische Probleme, die eine Sucht nach sich ziehen – oder umgekehrt. Oft ist es der Alkohol.

Es gäbe Gäste, welche die Notschlafstelle für nur wenige Nächte beanspruchen, andere wiederum würden vier Monate bleiben – das Maximum der Zeit, um dort zu übernachten. Und da sind jene Menschen, die immer wieder für einige Tage kämen und dann wieder wochen- oder monatelang «verschwinden».

Getrennte Abteilungen
Im hellen Aufenthaltsraum im zweiten Stock lässt sich erahnen, dass auch Gemütlichkeit einkehren kann. Es gibt ein Sofa, einen Fernseher, einen Töggeli-Kasten und eine Küche, in der man selber kochen kann. Ansonsten werden Instant-Suppen, Brot, Kaffee oder weitere Getränke kostenlos abgegeben.

Für die Nachtruhe gibt es einen Männer- und einen Frauentrakt. Erstere seien in der Mehrzahl. Ein Zimmer zwischen den Etagen ist auch für nicht binäre Personen gedacht. Im Hinblick auf die Frauenetage sagte Jossi: «Die Frauen bevorzugen es, unter sich zu bleiben.» Konsequenterweise arbeiten dort auch ausschliesslich Frauen.

Das Notschlafstellen-Team besteht aus rund 20 Personen. Sie bieten den Nutzer*innen an 365 Tagen einen Schutzraum, vermitteln Kontakte zu anderen Angeboten, helfen bei der Lösung drängender Probleme und haben auch immer ein offenes Ohr für persönliche Anliegen.

Auf beiden Abteilungen verfügen die Zimmer über Etagenbetten, es existieren bei den Frauen und Männern auch «Konsumzimmer» für substanzabhängige Menschen. Abgesehen davon sei das Zusammenleben oft friedlich und manchmal habe es etwas von einer Jugendherberge. «Natürlich gibt es Zwischenfälle. Wenn diese nicht vom Team deeskaliert werden können, rufen wir auch die Polizei oder einen notfallpsychiatrischen Dienst», sagt Jossi.
Sie erzählt auch von Klient*innen, die ihr Bett im tadellosen Zustand hinterlassen. Von jenen, die das Bett mit Teddybären und andere persönlichen Gegenständen «heimeliger» machen. Und schliesslich auch von jenen, die eine Unordnung hinterlassen.

Am Morgen können die Klient*innen ein kleines Frühstück im Aufenthaltsraum zu sich nehmen. Manche waschen vielleicht noch ihre Kleidung, und in den Badezimmern machen sich die Personen frisch.
Das Klischee des «vergammelten» Obdachlosen habe keine Berechtigung mehr. «Würde man morgens bei unserer Haustüre die hinausgehenden Menschen beobachten, so wären nicht alle auf den ersten Blick als Obdachlose zu erkennen», sagt Jossi. Nach zehn Uhr erscheinen Mitarbeiter*innen der städtischen Arbeitsintegration für die Reinigung.

Es ist nur ein kleiner Einblick in die Notschlafstelle, die der Besuch vermitteln konnte. «Viele, die hier arbeiten, sind seit 20 oder sogar 30 Jahren hier, man muss mit dieser Arbeit umgehen können», so die Leiterin Obdach. Und in Bezug auf ihre Klient*innen sagt Jossi bestimmt: «Jeder Mensch hat das Recht auf seinen eigenen Lebensentwurf.» Die Frage nach der Schuld existiere auf der Notschlafstelle nicht.

Die Öffnungszeiten der Notschlafstelle während des Winterhalbjahres sind von 20.30 bis 10 Uhr, im Sommerhalbjahr von 21 bis 10 Uhr.

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