Quartierleben
Ein Haus für den zeitgenössischen Tanz
An der Wasserwerkstrasse 129 in Wipkingen, direkt an der Limmat gelegen, befindet sich das Tanzhaus Zürich. Ein Gespräch vor Ort mit der künstlerischen Leiterin des Hauses, Catja Loepfe, gibt Einblick in das kreative Schaffen des Tanzhauses.
28. Juni 2016 — Dagmar Schräder
Ein prominenter Bau an der Wasserwerkstrasse, zentral gelegen und beim Vorbeiradeln auf dem Weg in die Stadt bestimmt schon hundertmal wahrgenommen. Dennoch hatte die Schreibende bis vor kurzem kaum eine Vorstellung davon, was im Tanzhaus passiert. Was verbirgt sich hinter der Fassade des Gebäudes? Catja Loepfe, die künstlerische Leiterin des Tanzhauses, gibt in einem Gespräch bereitwillig Auskunft.
«Wipkinger»: Frau Loepfe, was macht das Tanzhaus?
Catja Loepfe: Wir sind schweizweit der einzige Ort, der sich ausschliesslich der Förderung des zeitgenössischen Tanzes verpflichtet hat. Seit genau 20 Jahren sind wir ein Produktionsort für zeitgenössischen Tanz, hier werden Choreographien entwickelt und kommen zur Uraufführung. Es waren die Tanzschaffenden selbst, die 1996 auf der Suche nach einem Ort, an dem sie Stücke entwickeln, proben und aufführen können, dieses Gebäude «erobert», ja fast schon besetzt haben und zunächst in Eigenregie geführt haben. Relativ schnell wurde dann der Verein Tanzhaus gegründet, der die operative Leitung über das Haus und das kreative Schaffen im Haus übernommen hat.
Nochmal für Laien – was bedeutet eigentlich zeitgenössischer Tanz?
Zeitgenössischer Tanz ist ein Überbegriff für all die Tanzformen, die sich vom klassischen Tanz, wie dem Ballett, abgrenzen und ihren Ursprung unter anderem im deutschen Ausdruckstanz des letzten Jahrhunderts haben. Im zeitgenössischen Tanz geht es vor allem darum, sich nach inneren Impulsen zu bewegen und den Körper sprechen zu lassen. Das ist vom Bewegungsablauf her weit weniger rigide als das Ballett, in dem ja ganz klar vorgeschriebene Bewegungsmuster vorherrschen. Breakdance etwa ist eine Ausdrucksform des zeitgenössischen Tanzes, daneben gibt es aber noch viele weitere Stilrichtungen.
Was geschieht denn nun genau in Ihrem Haus – wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Wie gesagt, sind wir ein Ort, an dem Tanzschaffende an ihren Produktionen arbeiten können. Wir sind einerseits zuständig für die lokale, freie Tanzszene von Zürich und beherbergen professionelle Tänzerinnen und Tänzer, die jeweils gemeinsam mit Choreographen hier arbeiten, trainieren und proben und dann ihre Stücke zur Aufführung bringen. Dabei geht es uns vor allem um die Nachwuchsförderung. Zusätzlich bieten wir auch Raum für nationale und internationale Tanzschaffende, die hier «in Residenz» sind, wie wir das nennen. Das bedeutet, dass sie über mehrere Wochen an unserem Haus ein Stück erarbeiten. Das ist eine sehr angenehme Arbeit, weil man über diesen längeren Zeitraum wirklich Gelegenheit findet, sich kennenzulernen und auszutauschen. Ich erlebe dabei Höhen und Tiefen der künstlerischen Arbeit, besuche Proben, gebe Feedback und stehe mit Rat und Tat zur Seite. Nach getaner Arbeit kommt es dann zu einem Probeeinblick in das Stück, zu dem natürlich die Öffentlichkeit eingeladen wird.
Wie oft finden im Tanzhaus Aufführungen statt?
Ungefähr zweimal im Monat werden fertige Stücke gezeigt. Zusätzlich ist es aber fast jeden Freitagabend möglich, gratis bei einer öffentlichen Probe zuzusehen, in der der Stand der Dinge der aktuellen Produktionen ersichtlich ist. Dieses Angebot soll auch dazu dienen, einen Begegnungsort zu schaffen, in dem der zeitgenössische Tanz ein bisschen aus seinem Mauerblümchen-Dasein herauswachsen kann, den er sowohl im Vergleich zum klassischen Tanz als auch zum Theater hat. Nach der Probe findet ein Publikumsgespräch statt, bei dem das Publikum seine Meinung zum Stück äussern kann, an der Bar im Foyer können Getränke bezogen werden. Zusätzlich zu den Angeboten hier im Haus sind wir natürlich an den Tanzfestivals wie «Zürich tanzt» beteiligt, die hier in der Stadt Zürich abgehalten werden.
Welche weiteren Angebote haben Sie für die Öffentlichkeit?
Momentan bieten wir Tanzkurse für Kinder ab einem Jahr an, im Rahmen des sogenannten «Tanzhaus young». Immer am Mittwochnachmittag wimmelt es dann hier von Müttern und Kindern, denen die Freude am Tanz anzusehen ist. Das ist sehr schön zu sehen. Für Erwachsene bieten wir momentan dreimal die Woche einen Yogakurs an, bei dem man einfach spontan vorbeikommen darf und mitmachen kann. Der Kurs kostet lediglich fünf Franken pro Stunde und wird von wechselnden Yogalehrerinnen durchgeführt. Ansonsten haben wir momentan nicht so viele Angebote für die Öffentlichkeit, das soll sich aber dringend ändern, sobald der Neubau steht. Seit dem Brand 2012 fehlt uns einfach der Raum für weitere Projekte.
Was ist denn passiert?
Am 13. Oktober 2012 hat ein durch ein Schweissgerät ausgelöster Schwelbrand im Nachbargebäude zwei Studios, eine Probebühne, die Cafeteria sowie Büroräumlichkeiten zerstört. Diese Räume vermissen wir jetzt schmerzlich.
Sie haben von einem Ersatzneubau gesprochen – was hat es damit auf sich?
Die Stadt Zürich wird einen Ersatzneubau erstellen, der auf die Bedürfnisse des Tanzhauses abgestimmt sein wird. Baubeginn wird im September dieses Jahres sein, das Bauende ist auf Oktober 2018 terminiert. Der sehr eindrückliche Bau, der vom Architekturbüro Barozzi/Veiga erstellt wird, wird nicht nur unsere Probensituation verbessern, sondern wird uns auch ganz neue Möglichkeiten eröffnen, die Öffentlichkeit an unserem Wirken teilhaben zu lassen. Im neuen Haus soll neben Studios und einem grossen Saal für Aufführungen auch eine Cafeteria entstehen, die Begegnungen zwischen Tanzschaffenden und der Quartierbevölkerung zulassen soll. Zudem können wir dann mehr Angebote für die Öffentlichkeit verwirklichen, wie zum Beispiel Tanzkurse für Erwachsene ab 18 Jahren.
Das klingt doch vielversprechend.
Das ist es, die Freude auf den Ersatzneubau ist allerdings noch nicht ganz uneingeschränkt. Der Gemeinderat hat den Ersatzneubau zwar bewilligt, die Betriebssubvention inklusive der Mietübernahme ab 2019 muss jedoch noch durch verschiedene Instanzen genehmigt werden. Wir hoffen sehr, dass wir in der Abstimmung, die im Juni nächsten Jahres stattfinden wird, den Zuschuss erhalten. Falls nicht, können wir das Tanzhaus in der heutigen Form und an diesem Standort nicht mehr weiterführen. Das wäre – abgesehen davon, dass dann der für uns errichtete Neubau einer neuen Nutzung zugeführt werden müsste, was sicher nicht ganz einfach sein wird – ein grosser Verlust für den zeitgenössischen Tanz in der Schweiz. Wir werden jedoch alles tun, was in unserer Macht steht, um unsere Arbeit hier weiterführen zu können.
Frau Loepfe, viel Erfolg dabei und herzlichen Dank für das Gespräch.
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