Ein Streifen für alle Fälle?

Seit mittlerweile drei Monaten sind die Fussgängerstreifen bei der Nordbrücke aufgehoben und durch «Mehrzweckstreifen» ersetzt – ein Pilotprojekt zur Verbesserung der Sicherheit sowie der Verkehrsführung. Wie funktioniert das neue Konzept? Ein Augenschein vor Ort.

Der Mehrzweckstreifen bei der Nordbrücke erzeugt im Quartier gemischte Gefühle.

Zebrastreifen sind out. Zumindest bei der Nordbrücke. Hier wird seit Juli in einem Pilotprojekt der sogenannte «Mehrzweckstreifen» getestet (der «Wipkinger» berichtete in der letzten Ausgabe).Wo vorher insgesamt drei Verkehrsinseln mit dazugehörigen Zebrastreifen das Überqueren der Nordstrasse ermöglichten, sollen nun die drei langgezogenen, rötlich-sandfarbenen Streifen auf einer Länge von rund 130 Metern flächiges Überqueren ermöglichen. Das soll zu mehr Sicherheit für Fussgänger*innen und Velofahrer*innen führen und gleichzeitig den Verkehrsfluss verbessern. Das erklärte Ziel der Stadt ist es zudem, das Zentrum um den Röschibachplatz aufzuwerten. In anderen Städten wurden damit bereits positive Erfahrungen gemacht. Doch funktioniert dies auch in Wipkingen? Der «Wipkinger» hat sich ein wenig umgehört.

Informationen, Schilder, Schulungen

Rund um die Nordbrücke fallennicht nur die neuen Streifen auf der Strasse auf, sondern auch die hier aufgestellten Tafeln, die den Fussgänger*innen das Projekt erklären und sie darauf hinweisen, wie sie die Strasse zu überqueren haben. Gleichzeitig mahnen Tempo-30-Signalisierungen die Autofahrer*innen dazu, die Geschwindigkeitslimite einzuhalten. Wie Roger Muntwyler, Projektleiter Kommunikation des Tiefbauamts der Stadt Zürich, auf Anfrage des «Wipkingers» erklärt, wurde von Seiten der Stadt zu Beginn des Pilotprojekts viel in die Aufklärung und Information der Bevölkerung investiert: «Um den Verkehrsteilnehmerinnen und – teilnehmern die Funktionsweise des Mehrzweckstreifens näherzubringen, haben wir versucht, die Bevölkerung möglichst umfassend zu informieren: an einer Informationsveranstaltung und mittels Flyern. Vor Ort haben wir Informationstafeln aufgestellt und mehrere Begehungen, auch mit Schulkindern, durchgeführt. Zudem unterstützte ein polizeilicher Assistenzdienst die Verkehrsteilnehmenden in den ersten Wochen nach der Einführung des Mehrzweckstreifens.»

Durchmischtes Feedback der Anwohner*innen

Doch das Echo aus der Bevölkerung scheint, zumindest ergeben das nicht-repräsentative, zufällig geführte Gespräche mit Passant*innen vor Ort, bis anhin eher durchmischt zu sein. Der Mehrzweckstreifen komme ihr eigentlich eher wie eine einseitige und zudem noch sehr komplizierte Erziehungsmassnahme für Fussgänger*innen vor, erklärt Renata Huber, eine Anwohnerin, dem «Wipkinger». Schliesslich hätten die Anwohner*innen zwar alle das Infoschreiben erhalten, und auch die Schilder auf dem Platz würden die geltenden Verhaltensregeln anschaulich erklären. Doch für die Autofahrer*innen, die das Quartier einfach durchqueren, gäbe es keine Informationen. Diese verstünden daher wohl kaum, was mit den neuen Streifen gemeint sei, überlegt Renata. Kritisch ist aus ihrer Sicht auch, dass die Zebrastreifen verschwunden sind, der Vortritt nun also wieder beim Strassenverkehr liegt. Die Rücksichtnahme müsse nun hauptsächlich von Seiten der Fussgänger*innen erfolgen, so Renata. «Ich überquere die Strasse auf jeden Fall nur im Bereich der Verkehrsinseln», gesteht sie. «Dort fühle ich mich am sichersten.» Das geht nach ihrer Beobachtung vielen anderen Passant*innen auch so – und tatsächlich: Beim Besuch vor Ort bewegt sich der Grossteil der Fussgänger* innen rund um die Fussgängerinseln. Auch Renata R. sieht den Streifen kritisch. Ihrer Meinung nach dient er eher dazu, den Verkehrsfluss zu beschleunigen, als zur Erhöhung der Sicherheit. Zumindest für die Fussgänger*innen sieht auch sie nur bedingt einen Nutzen im Streifen. Doch als Velofahrerin schätzt sie die neuen Markierungen. Wenn man aus den Quartierstrassen auf die Nordstrasse abbiegen müsse, seien die Markierungen in der Mitte der Strasse hilfreich. Sie böten eine zusätzliche «Sicherheitsinsel», so dass man nicht gleich zwei Spuren auf einmal überqueren müsse.

Schwierig für Kinder

Vor allem für die Kinder sei der Streifen schwierig, beobachtet Dagmar. Sie arbeitet im Secondhandladen «Kiwi» am Röschibachplatz, ihre Kinder, die im Schulhaus Waidhalde zur Schule gehen, kommen manchmal über Mittag zu ihr. Anders als die Schüler*innen der direkt anliegenden Schulhäuser haben sie keine Schulung erhalten, wie sie über die Strasse zu laufen haben. «Dann stehen die Kleinen manchmal plötzlich zwischen den Autos, das verunsichert sie schon.» Ein Gefühl, das der achtjährige Inti bestätigt. Auf den Mehrzweckstreifen angesprochen, verdreht er die Augen und meint nur: «Ach, der Streifen. Der gefällt mir nicht. Ohne Zebrastreifen ist es hier viel zu gefährlich, die Strasse zu überqueren.» Auch Esther betont die Schwierigkeiten, die die Kinder beim Überqueren haben: «Für mich als Erwachsene ist es kein Problem, hier über die Strasse zu kommen. Aber für meine Enkel*innen ist es schon sehr unübersichtlich. Manchmal entsteht einfach ein Riesengewusel mitten auf der Strasse, da ist es enorm wichtig, dass alle ganz gut aufpassen. Ich denke aber, das wird sich noch entwickeln.»

Weniger am Handy dank Mehrzweckstreifen?

Eine ganz andere Sicht auf die Dinge schliesslich hat Daniel. Seiner Ansicht nach ist es eine gute Sache, dass nun die Autofahrer*innen wieder Vortritt haben: «Fussgänger*innen haben doch verlernt, auf den Verkehr zu achten. Wie oft sind sie einfach in ihr Handy vertieft und achten überhaupt nicht darauf, was um sie herum vor sich geht, während sie die Strasse überqueren? Da tut es doch ganz gut, wieder ein wenig Rücksichtnahme zu üben.»

Was sagt die Stadt?

Die Vertreter*innen des Tiefbauamtes haben ebenfalls bereits ein erstes Feedback aus dem Quartier erhalten. Hier beurteilt man die Situation nach gewissen Anlaufschwierigkeiten positiv, wie Muntwyler in seiner schriftlichen Antwort auf die Anfrage des «Wipkingers» mitteilt: «Nach der Einführung des temporären Mehrzweckstreifens auf der Nordbrücke sind zunächst Fragen und teilweise auch kritische Rückmeldungen aus der Bevölkerung eingegangen, etwa bezüglich der entfernten Fussgängerstreifen. Nach einer Angewöhnungszeit hat sich das Prinzip des flächigen Querens unserer Ansicht nach unter den Verkehrsteilnehmenden gut eingespielt; es wird besser aufeinander Rücksicht genommen und langsamer gefahren. In den letzten Wochen haben wir zudem vermehrt positive Rückmeldungen erhalten, etwa, dass der Mehrzweckstreifen eine gute Initiative für das Quartierzentrum sei oder dass durch langsamer fahrende Autos weniger Lärm entstehe.» Bislang, so Muntwyler, bewähre sich also nach den ersten
Erfahrungen der Stadt der Mehrzweckstreifen.

Neue Signalisierung

Ganz aktuell wurden zudem auch auf der Fahrbahn Tempo-30-Markierungen angebracht sowie zwei elektronische Geschwindigkeitsmesser an der Strasse installiert, die den Autofahrer*innen signalisieren, ob sie im angemessenen Tempo fahren. Ende September will die Stadt nun mit einer Erhebung und Monitoring zum Mehrzweckstreifen beginnen, Resultate sollen dann, so Muntwyler, bis Anfang 2022 vorliegen. «Dann können wir mehr dazu sagen, wie gut das flächige Queren an der Nordbrücke funktioniert», schliesst er.

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