Es gibt immer einen Weg

An einem der Holztische in ihrem kleinen Café «Miyuko» stecken Sara Hochuli und ihr Partner Dominik Grenzler gerade die Köpfe zusammen. In zwei Wochen findet die ART Basel statt, und sie stellen zum fünften Mal das Pop-up-Café in der Collectors Lounge. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Die Wipkingerin Sara Hochuli ist gelernte Grafikerin, Tortenkünstlerin und Café-Besitzerin – und neuerdings sogar in Island anzutreffen. Wie es dazu kam, erzählt sie dem «Wipkinger» in diesem Interview.

Sara Hochuli liebt es ausgefallen, bleibt dabei aber immer auf dem Boden.
Diese bunten Leckereien gibt es im Café Miyuko zu bestaunen – und zu essen.
1/2

Sie sollen einmal gesagt haben, Sie hätten keine Angst. Stimmt das?

Sara Hochuli: Es ist wohl eher so, dass die Freude, oder manchmal sogar Euphorie, etwas machen zu können, die Ängste und Bedenken, die ich natürlich auch habe, überwiegt. Ich fordere mich auch gerne selber heraus und sage mir: Das schaffst du jetzt. Es ist wie ein Statement, dem ich gerecht werden muss. Da kommt dann meine Sturheit zum Vorschein.

Das klingt so, als wüssten Sie ziemlich genau, was Sie wollen.

Ja, ich hatte schon immer ziemlich genaue Vorstellungen. Erst wollte ich Konditorin werden, beim Schnuppern habe ich dann erfahren, dass man jeweils um vier Uhr in der Früh anfangen muss. Als Teenager war ich eher ein Morgenmuffel, also habe ich die Idee wieder verworfen. Als nächstes kam Maskenbildnerin in Frage, ich fand die Vorstellung schön, am Theater zu arbeiten. Dazu hätte ich eine Coiffeur-Lehre machen müssen, bekam aber genau in diesem Moment den Bescheid, dass ich zum Vorkurs an der Schule für Gestaltung zugelassen worden war. Diese Chance habe ich natürlich gepackt. Das Schöne am Vorkurs ist ja, dass man in verschiedene Berufe hineinsieht, da war schnell klar, dass Grafikerin das Richtige für mich ist. Also habe ich nach dem Jahr gleich eine Lehre angefangen.

Was haben Ihre Eltern damals dazu gesagt?

Meine Mutter fand immer, ich solle doch etwas aus meinem Talent machen – ich hatte relativ früh zu zeichnen begonnen. Sie schickte mich schon in ein Malatelier, als ich noch klein war. Als Grafikerin konnte ich das Zeichnen auch explizit fördern.

Gleich wenn man das kleine Café betritt, eröffnet sich eine bunte und fantasievolle Patisserie-Welt, die Wände sind mit japanischen Kirschbäumen bemalt, in der Vitrine locken Kuchenstücke mit Zuckerrosen in Pastellfarben, Muffins, Schokolade, alles verspielt und fast zu schön zum Essen. Japanische Comics haben sie schon früh inspiriert, erzählt Hochuli, deren Markenzeichen ihre farbigen Haarsträhnen sind. Im Manga sei, im Gegensatz zu Disney, alles möglich. Bereits während der Lehre gründet sie ihre erste Firma «Plastikhaar», in der sie Perücken und Extensions produzierte. Nach einem Jahr in der Werbeabteilung einer grossen Bank wurde ihre Abteilung aufgelöst, es folgte die Kündigung. Das sei ein Schock für sie gewesen, aber gleichzeitig der richtige Moment für den Sprung ins kalte Wasser: in die Selbständigkeit. «Entweder man macht es in einem solchen Moment oder vielleicht nie», meint Hochuli rückblickend. Obwohl für sie eigentlich immer klar war, dass sie eines Tages ihr eigenes Ding machen würde. Es folgte ein Modelabel, unter welchem sie vor allem japanisch inspirierte T-Shirts und Accessoires vertrieb. Gebacken und gekocht hat sie, seit sie sich erinnern kann. Irgendwann meinten ihre Freunde, sie solle die aufwendigen Teilchen, die sie ihnen jeweils schenkte, doch besser verkaufen. Doch sie hatte damals den Haarladen und fand, das ginge nicht zusammen: Schokolade und Haare.

Was hat Sie dazu gebracht, Ihre Meinung zu ändern?

Mein Partner Dominik und ich hatten schon immer die Idee, uns zusammen selbstständig zu machen. Sein Jugendtraum war es, ein Kaffeehaus aufzumachen, also begannen wir im Spass, uns auszumalen, wie wir dieses Kaffee führen würden. Er als Barista, ich als Chocolatier und Patissière. Wir haben uns auch überlegt, wie alles aussehen würde. Dann haben wir die Idee für ein paar Wochen ignoriert. Das mache ich immer so. Wenn ich sie nach einer Weile immer noch gut finde, dann ist das meist ein Zeichen dafür, dass ich es machen sollte. So war es dann auch. Also schrieben wir ein Konzept und suchten nach einem Lokal. Als wir den Laden hier an der Beckenhofstrasse fanden, waren wir sofort überzeugt davon und der Vermieter scheinbar auch, denn er rief gleich am nächsten Tag an und sagte, wir könnten ihn haben. Die grosse Euphorie wurde dann etwas gedämpft, als wir realisierten, was es heisst, ein Lokal umzuzonen, noch dazu ohne die Hilfe eines Architekten. Glücklicherweise war mein Vater gelernter Schreiner, und der Besitzer der Liegenschaft ist Holzingenieur, dank ihnen haben wir vieles geschafft. Aber es verlangt schon viel Geduld und Durchhaltevermögen, alle Ämter abzuklappern. Immer heisst es, ihr braucht noch dies und das. Von der Vertragsunterzeichnung bis zur Baubewilligung vergingen sechs Monate. Eine extrem lange Zeit. Auch das Budget verdoppelt sich spontan, weil man immer unvorhergesehene Aufwände hat. Heute bin ich überzeugt, dass es manchmal ganz gut ist, wenn man Dinge naiv angeht. Wer weiss, ob wir es gewagt hätten, wenn wir gewusst hätten, was auf uns zukommt. Schliesslich haben wir es doch geschafft und Mitte März 2011 das Café Miyuko eröffnet.

Die bodenständige Unternehmerin und ihr Partner hatten alle Worstcase-Szenarien durchgerechnet, aber nie überlegt, was sie machen würden, wenn sie überrannt würden. Als genau das passierte, waren alle erst einmal überfordert. Vieles hatten sie unterschätzt: Wie viel Material so ein Café benötigt, was es bedeutet, wenn drei Leute gleichzeitig aufs Wochenende eine Torte bestellen, dass der Platz für die ganze Herstellung zu klein war. Also musste eine Produktionsküche her, die sie glücklicherweise im Industrieviertel in Rümlang fanden.

Hatten Sie zu diesem Zeitpunkt bereits Leute eingestellt?

Wir hatten erst zwei Aushilfen, aber wir haben ziemlich schnell jemanden fest angestellt. Zu Beginn hatten wir sieben Tage die Woche geöffnet und unsere Familien und Freunde fanden bereits, ihr seht nicht mehr gut aus, ihr müsst etwas ändern. Aber bis sich die Prozesse eingespielt haben, dauert es nun mal seine Zeit. Im zweiten und dritten Jahr ist man damit beschäftigt, die Steuern abzuzahlen. Das zweite Jahr ist hart, weil man dann erst realisiert, ob das Budget wirklich stimmt. Meistens ist das nicht der Fall, also muss man ständig justieren. Ich sage allen, die wissen wollen, ob ich es empfehlen würde, so ein Café zu eröffnen: Gastronomie ist ein hartes Business. Die Margen sind tief im Vergleich zu anderen Branchen, es ist sehr personalaufwendig und es verlangt viel Präsenz. In einem kleinen Betrieb darf man sich für nichts zu schade sein, man macht alles. Immer. Man muss es einfach extrem gerne machen, dann bleibt man auch länger dabei. Wer das aus Renditegründen machen will, wird hier nicht alt.

Kommen Sie heute überhaupt noch dazu, selber zu backen?

Ja, ich stehe drei Tage in der Woche in der Backstube. Das muss sein, sonst würde es mir keinen Spass mehr machen. Wir haben eine Confisseurin und zwei Teilzeitangestellte, die mir in der Produktion helfen.

Auf Ihrer Homepage steht, dass Foodwaste ein Thema sei, das Sie beschäftigt, was bedeutet das in Ihrem konkreten Fall?

Wir werfen seit Beginn keine übriggebliebenen Kuchen weg. Hier um die Ecke gibt es eine Drogenauffangstelle der Stadt, dort bringen wir sie hin, die freuen sich immer. Vom Essen her sind wir mittlerweile so gut organisiert, dass kaum etwas übrigbleibt und wenn doch, nimmt es jemand vom Team mit nach Hause. Aber eine wichtige Frage ist auch, woher wir unsere Produkte beziehen und was realistisch ist, wenn es um die Umsetzung geht. Man hat Ideologien, wo man die Sachen einkaufen will, dann landet man aber auf dem harten Boden der Realität und merkt, dass der Kunde nur einen bestimmten Betrag zahlen möchte. Wie schafft man es, dass es dennoch rentiert? Das ist manchmal eine Gratwanderung. Seit wir vor über sechs Jahren eröffnet haben, ist diesbezüglich sehr vieles passiert, in der ganzen Branche. Die Leute sind heute sensibilisierter darauf, dass Qualität und Handarbeit etwas kostet. Auch Bio ist immer wieder ein Thema. Man stellt sich die Frage: Kaufe ich lieber etwas, das Bio zertifiziert ist, oder geht auch etwas von einem Bauer, der grundsätzlich Bio produziert, sich aber keine Zertifizierung leisten kann? Kaufe ich einen Bio-Honig aus Mexiko oder nehme ich den normalen Honig vom Bauer aus der Nachbarschaft? Das sind die Überlegungen, die man machen muss. Als Confisseur und Bäcker ist das Thema Eier sehr wichtig. Obwohl wir einen Drittel vegan produzieren, brauchen wir sehr viel Eier, Butter und Rahm. Da kann einfach nicht alles bio und demeter sein. Wir zahlen so schon ein Vermögen für die Eier, weil ich die auch direkt beim Bauer einkaufe. Das ist in dieser Branche nicht üblich, man arbeitet mit Eiern aus dem Tetrapack, was zwar aus hygienischer Sicht ein Vorteil sein kann, aber man weiss nicht, woher die Eier kommen.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die gebürtige Zürcher Oberländerin einen Ruf als avantgardistische Tortenkünstlerin erarbeitet und mit ihren ausgefallenen Kreationen sogar zwei Mal die Rolling Stones beglückt. Ihre Matcha-Schokolade ist preisgekrönt. Ziemlich genau vor einem Jahr wagte die gelernte Grafikerin den Schritt ins Ausland und eröffnete in Island das Schwesterncafé «Kumiko». Jan Knüssel, Japan-Experte und Filmemacher, hat sie während 15 Monaten bis zur Eröffnung begleitet und eine dreiteilige Mini-Dokumentation gedreht (siehe Infobox). Seither verbringt sie abwechselnd einen Monat hier und drei Wochen im hohen Norden. Langsam spricht sie sogar ganz ordentlich isländisch und hat in ihrem Café schon Björk und Jonsi von Sigur Ros empfangen.

Wieso eigentlich Island?

Als wir zum ersten Mal darüber gesprochen haben, ein Café zu eröffnen, dachten wir eigentlich gar nicht an die Schweiz, sondern an Japan. Es dauerte allerdings nicht lange, bis wir merkten, dass man als Ausländer fast keine Rechte hat, man kann zum Beispiel kein Lokal mieten und keine Firma gründen. Als wir 2009 durch Island gereist sind, habe ich Reykjavik für mich entdeckt. Das Land steckte noch mitten in der Krise und alles war in Bewegung. Es gibt so viele kreative Leute in dieser Stadt, und sie haben viel weniger Hemmungen, etwas zu wagen. Dadurch passiert dort einfach sehr viel, auch in der Gastronomie. Wieso nicht dort ein Café eröffnen? Diese Idee behielten wir immer im Hinterkopf, konzentrierten uns aber erst einmal auf unser Geschäft in Zürich. Erst als sich nach fünf Jahren langsam alles einigermassen eingespielt hatte, hatten wir wieder Luft, uns damit auseinanderzusetzen. Inzwischen hatten wir auch Leute kennengelernt, die in Island eine kleine Schokoladenfabrik auf die Beine gestellt hatten, die «Bean to bar»-Chocolatiers von «Omnom». Als wir ihnen von unserer Idee erzählten, waren sie sofort mit an Bord, wir brauchten ja einen zuverlässigen Schokoladelieferanten. Zu Beginn wollte es dann nicht so recht klappen mit der Lokalsuche. Wir hatten zwar einen Ort gefunden, aber die Anwohner wehrten sich gegen eine Umzonung des Gebäudes von Wohn- zu Gewerbezone. Dazu muss man wissen, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt in Reykjavik sehr hoch ist, alles wird touristischer, vor allem in der Innenstadt werden viele Wohnungen an ausländische Gäste vermietet. Deshalb kam auch diese Reaktion. Es hat uns sehr geholfen, dass wir zu diesem Zeitpunkt bereits ein Netzwerk vor Ort hatten, denn von den Isländern sagte niemand, <ja, nun, das sollte dann wohl nicht sein>, sondern alle meinten nur, <dann finden wir eben etwas Besseres, kein Grund aufzugeben>. Das fand ich sehr schön und motivierend. Ich glaube, es ist eine Mentalitätssache: Die Isländer sind immer gleich euphorisch und ein bisschen grössenwahnsinnig. Aber wenn es nicht klappt, fangen sie wieder von vorne an, sie sind recht unermüdlich. Für uns in der Schweiz ist Versagen schon etwas sehr Schlimmes.

Was haben Sie sonst noch mitgenommen aus dieser strengen Zeit?

Einfach gesagt habe ich gelernt, dass es immer einen Weg gibt, und dass es manchmal auch Gründe gibt, wieso es beim ersten Mal nicht gleich klappt. Heute bin ich der Meinung, dass das neue Lokal längerfristig gesehen viel mehr Potential und Flexibilität bringt, als das erste, das wir hatten. Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch, der immer gleich eine Entscheidung will. Zu lernen, geduldiger zu sein, war sicher eine grosse Lehre. Und auch zu lernen, sich auf eine Mentalität einzulassen, dass eben nicht alles so funktioniert wie in der Schweiz. Das Klischee sagt: Die Isländer seien die Spanier des Nordens. Und das stimmt. Sie nehmen es locker, es geht alles nicht so schnell.

Mit Blick auf die Zukunft: Drängt sich schon etwas Neues auf?

Ich finde, zwei Projekte reichen erstmal. Es ist eine schöne Abwechslung, aber ich habe das Gefühl, irgendwann würde ich nur noch im Büro sitzen, und dafür habe ich das nicht gemacht.
Man soll ja nie «nie» sagen, aber uns ist unsere Unabhängigkeit sehr wichtig. Wir haben als kleine Firma nicht so viele Mittel, aber wir können alles so machen, wie wir es wollen, wir müssen niemanden fragen und es mischt sich niemand ein. Ich habe meine erste Firma mit 20 Jahren aufgebaut, die zweite mit 30, mal schauen, ob ich mit 40 die Energie nochmals habe (lacht). Die Ideen werden mir wohl nicht so schnell ausgehen. Man kann nie stillstehen, man muss fortlaufend etwas verbessern, das gibt wieder frischen Wind.

Danke für das Gespräch!

Sara Hochuli wohnt seit fast zehn Jahren in Wipkingen, man trifft sie oft beim Japaner Ototo, das auf ihrem Heimweg liegt, im Sommer auch mal vor dem Flying Pizza, die Atmosphäre in Wipkingen sei speziell, es könnte auch irgendwo in Berlin sein. Seit drei Jahren findet man ihre Backwaren und Schokoladen auch im Ultimo Baccio. Mehr Infos unter www.miyuko.ch; www.kumiko.is. Dokumentation von Jan Knüssel.

0 Kommentare


Themen entdecken