Quartierverein Wipkingen
Frau Juzzi verkauft ihren Weingarten
Ein roter Faden in der Wipkinger Dorfgeschichte sind unternehmerisch und gesellschaftlich engagierte Frauen. Der «Wipkinger» präsentiert Frauen aus früheren Zeiten, deren Leistung verblüfft.
27. September 2016 — Martin Bürlimann
Der Weiler Wibichinga war im frühen Mittelalter ein Bauerndorf mit Reben am Käferbergwald. Es gehörte als Lehen zur Fraumünsterabtei. Ein «wingarten» ist erstmals 1301 urkundlich erwähnt: «Wir, Elsebete von gottes gnaden eptisschin des Gotzhus Zürich künden allen, das fro Juzzi verköffet hat fron Itun, Johannes des Löwen wirtinne, unsers ammanes einen wingarten, lit ze Wipkingen bi Hönggerbache, umbe zwenzig pfunt pfenning Zürcher münze…». Übersetzt: «Wir, Elisabeth von Gottes Gnaden, Äbtissin des Gotteshauses Zürich, künden allen, dass Frau Juzzi verkauft hat an Frau Itun, Johannes des Löwen Ehefrau, unseres Amtmannes einen Weingarten, liegt in Wipkingen beim Hönggerbache für zwanzig Pfund Zürcher Münze…». Das Verblüffende an der Urkunde von 1301 ist, dass nicht «Johannes der Löwe» den Weinberg kaufte, sondern seine Frau Itun kaufte ihn von Frau Juzzi. Die Frau handelte, nicht der Mann. Die Frauen im Weiler Wibichinga waren sehr selbständig und rechtlich befugt, ganze Höfe und Weingüter zu veräussern. Sie besassen auch das Geld dazu. Unter der Obhut der Fraumünsterabtei herrschte im Dorf ein Unternehmergeist, der von «wirtinnen» (Ehefrauen) und Witwen rege und selbstverständlich genutzt wurde. Im 14. Jahrhundert war Wipkingen ein eigentliches Weindorf. Aus dieser Zeit existiert eine Reihe von Urkunden, die in Wipkingen Handel mit Weingärten und ganzen Höfen bezeugen, verblüffend viele von Frauen wie Frau Juzzi und Frau Itun.
Wer war Maria Wunderli?
Paul Wunderli lebte von 1852 bis 1885. Er gab dem «Wunderligut» seinen Namen. Über ihn ist vieles bekannt. Von seiner Frau Maria, die den gleichwertigen Anteil am Erfolg des Wunderliguts hatte, weiss man nichts mehr. Die Wunderlistrasse ist dem Kavallerie-Major Paul Wunderli gewidmet. Seine Frau Maria, die mindestens so viel gearbeitet hatte wie er, ist auf der Strassentafel nicht einmal erwähnt. 1877 kauften Paul und Maria Wunderli das Waidgut. Sie waren ein begnadetes Unternehmerpaar. Sie bauten das Gut mit Reitanlage und Tierpark aus und eröffneten das berühmte Restaurant «Waid». Maria Wunderli führte als Gastgeberin die Lokalität. Es gab Musik und Tanz, volkstümliche Attraktionen, Theater und Gesang. Alle kamen: Ihr Restaurant war Ausflugsziel für Kutschenfahrten, Tagungsort und Vergnügungsplatz für «tout Zurich». Anfangs der 1880er Jahre war das Wunderligut der angesagteste Ort der ganzen Stadt. Es war vielleicht der einzige Ort der Schweiz, an dem gleichzeitig die Herrschaften ihre Hengste zum Galopp herführten, im Salon die Damen der Hochfinanz ihren Tee nippten, während hinter dem Stall das Dorfvolk ein «Grümpelschiessen» abhielt. All das sollte ein jähes, tragisches Ende nehmen: Maria Wunderli und ihr Mann starben 1885 bei der Typhusepidemie. Sie hinterliessen drei kleine Waisen. Mit ihrem Tod endete auch das Wunderligut abrupt. Gebäude und Stallungen blieben leer, Feste blieben aus. Ein Käufer fand sich nicht und das Gut verlotterte.
Die erste Krippe
1910 gründete der Frauenverein unter Mithilfe der Gemeinnützigen Gesellschaft Wipkingen (GGW) – dem heutigen Quartierverein – und der Kirchenpflege den Kinderkrippenfonds. Man suchte ein geeignetes Haus für die erste Krippe. Der Frauenverein erstand den stattlichen Kehlhof. 1918 bezog der Frauenverein zusammen mit der GGW den Kehlhof und errichtete die grösste Kinderkrippe in Zürich. Bald beherbergte sie 50 Kinder. Als Krippenschwestern arbeiteten Olga Wintsch, Anna Riedinger, Dora Koch und ab 1924 Else Doré. Die erste Wipkinger Kinderkrippe entstand aus Unternehmergeist und war eine echte Pionierleistung.
Wipkinger Wirtinnen
Im Mittelalter kauften die «wirtinnen» ganze Landsitze und in der Neuzeit bewirteten Wipkinger Wirtinnen das halbe Dorf. Im Ausflugsrestaurant «Sonnenberg» begrüsste Frau Schuler lange Jahre ihre Gäste. Der Männerchor Wipkingen erkürte den «Sonnen-berg» zum Vereinslokal, stellte in den Vitrinen im Saal die Fahne aus und führte regelmässig ein Preiskegeln durch. Der «Sonnenberg» wurde zusammen mit der «Weid» 1862 im «Vollständigen Ortslexikon der Schweiz» namentlich erwähnt: «Ueber dem Dorfe, am Käferberg, befindet sich die durch ihre schöne Aussicht bekannte Weid und an der Strasse in die alte Trotte, die durch gute Bedienung empfehlenswerthe neue Gartenwirthschaft zum Sonnenberg.» Im «Löwen» an der Dammstrasse wirtete Frau A. Künzmann-Weber. Im schmucken Häuschen an der Oberen Waidstrasse 17 gab es den «Oberen Weiher». Die Eigentümerinnen Luise Siegfried und ihre Schwester Karoline Siegfried-Rütschi führten die Wirtschaft. In den 1920er-Jahren fanden beliebte Gartenfeste im Oberen Weiher statt. Auch die «Schnapsmeile» war in Frauenhänden: Die Frau von Ankerwirt Siegfried kochte die berühmten Forellen im «Anker», Frau Mohn bediente ihre Gäste im gleichnamigen Restaurant neben der Bäckerei, und Lilly Meier-Stiefel und ihre Kollegin servierten währschafte Küche in der Arbeiterbeiz «Wipkingerhof». Im Saal des Restaurants «Inseli» war zudem ab 1877 das erste «Telegrafenbureau» eingerichtet, und 1884 wurde dort das erste öffentliche Telefon von Wipkingen installiert. Als Leiterin der beiden «Bureaux» amtete Anna Zahner.
Siedlung Lettenhof
Lux Guyer war die erste Frau in der Schweiz mit eigenem Architekturbüro. Der Weg, der von der Kornhausbrücke zum Jugendhaus Dynamo im Kreis 6 führt, ist nach ihr benannt. Sie arbeitete in den 1920er-Jahren in Zürich als Architektin. Einer ihrer bekanntesten Bauten war die Frauenwohnko¬lonie Lettenhof am Imfeldsteg 2 und an der Wasserwerkstrasse 106 bis 108. Auftraggeberin war die «Baugenossenschaft berufstätiger Frauen». Diese wollte alleinstehenden, werktätigen Frauen moderne Wohnungen anbieten. Ein hoher Komfort zeichnete die Wohnungen aus, nebst Zen¬tralheizung und Boiler gab es in Schränken eingebaute Waschbecken mit fliessend Wasser, Wandschränke, Kochnischen mit elektrischem Herd und Balkone mit Aussicht.
Auffallend an der Siedlung Lettenhof, auch Lux-Guyer-Siedlung genannt, sind die grossen Fenster und die progressive Innen-ausstattung, bei der die Zimmer teilweise offen angelegt und mit Doppelglastüren verschliessbar waren. Die Küche war mit dem Wohnbereich verbunden, und die Schlafzimmer an der Sonnenseite verfügten über Balkone. In den Wohnungen lebten Lehrerinnen, Telefonistinnen, Verkäuferinnen, Ärztinnen, Spetterinnen und Selbständige. Die Genossenschaft bot Kleider- und Reinigungsservice an. Die Siedlung Lettenhof wirkt noch heute sehr mediterran.
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