«Frauen machen vieles anders»

Die Chefärztin der Inneren Medizin im Stadtspital Zürich Waid, KD Dr. med. Elisabeth Weber, erzählt, warum die Förderung der Frauen noch immer wichtig ist, welche Hürden sie für ihren Beruf überwinden musste, und auch, warum sie manchmal eine Detektivin ist.

KD Dr. med. Elisabeth Weber, Chefärztin Klinik Innere Medizin, Stadtspital Zürich Waid. (Foto: zvg)

Am 8. März wurde der internationale Frauentag begangen. Warum ist dieser Tag auch für Frauen in der Medizin wichtig?
KD Dr. med. Weber: Erstmals wurde der internationale Frauentag 1911 begangen. Es wurde gekämpft um Gleichberechtigung und damals auch noch um das Frauenstimmrecht. Mittlerweile ist dieses für uns in der Schweiz selbstverständlich. Dennoch bedarf die Gleichberechtigung in Job, Karriere und Familie einer weitere Sensibilisierung – in der Medizin genauso wie in vielen anderen Berufen. Da ich mich im beruflichen Alltag fast ausschliesslich im Spital bewege, kann ich nur aus dieser Welt berichten: Unsere Patient*innen leben von Menschlichkeit, von Vielfalt, von den verschiedenen Personen, die sich kümmern, zuhören, therapieren und damit zur Genesung beitragen. Eine wirklich gute Medizin ist nur möglich, wenn sich Frauen und Männer in gleicher Art und Weise um die kranken Menschen kümmern können – dafür müssen wir die Rahmenbedingungen schaffen.

Gab es in Ihrem Werdegang auch Hürden, die allein dem «Frausein» geschuldet waren?
Leider ja. Ich habe zwei Kinder, habe Mutterschaftspausen eingelegt und wollte auch nicht immer in einem 100-Prozent-Pensum arbeiten. Die Offenheit gegenüber alternativen Arbeitsmodellen war nicht immer gegeben – so ging ich manchmal Kompromisse ein und blieb kreativ. Aber mehrheitlich bin ich zum Glück engagierten und wohlwollenden Chefs begegnet. Es war aber immer so, dass ich beweisen musste, dass Teilzeit und Jobsharing funktionieren und dass ein Wiedereinstieg nach einem Mutterschaftsurlaub problemlos möglich ist.

Wie beurteilen Sie Ihre berufliche Situation heute im Stadtspital Zürich Waid?
Im Stadtspital Zürich sind wir auf dem richtigen Weg und versuchen auch im 24-Stundenbetrieb Teilzeitarbeit für Frauen und Männer zu ermöglichen. Wenn ich meine eigene berufliche Situation reflektiere, merke ich, dass sich einiges getan hat in den letzten Jahren. Ich werde respektiert und geschätzt. Und mit Freude stelle ich fest, dass wir immer mehr Chefärztinnen sind.

Machen Frauen in ihrem Beruf vielleicht etwas anders als Männer?
Frauen machen vieles anders – nicht zwingend besser, nicht zwingend schlechter, aber einfach anders. Klassisch stereotypisch will und kann ich Frauen und Männer nicht einteilen, meines Erachtens gibt es keine rein weiblichen oder männlichen Attribute. Nicht in der Pflege, nicht bei den Ärzt*innen, nicht bei den Chef*innen. Aber von der Vielfalt, von den Unterschieden und vor allem davon, dass alle ihren eigenen Weg einschlagen können, davon profitieren letztlich alle – vor allem die Patient*innen.

War es für Sie immer ein Ziel, in der Inneren Medizin zu arbeiten und was fasziniert Sie daran?
Nein, auch bei mir haben sich Wünsche und Träume immer mal wieder geändert. So war es auch nie ein Ziel von mir, mal Chefärztin zu sein. Ursprünglich wollte ich Psychiaterin werden und bin dann aus purer Freude in der Inneren Medizin hängen geblieben. Die gemeinsame Detektivarbeit bereitet mir immer noch grosse Freude: Ein Mensch kommt ins Spital, hat Atemnot, Schmerzen auf der Brust, unklares Fieber. Wir von der Inneren Medizin versuchen uns mit Fragen, Untersuchungen und Wissen Schritt für Schritt der Diagnose anzunähern. Dabei haben wir den Menschen stets ganzheitlich im Blick. Wir wollen verstehen, was das für ein Mensch ist und was für ihn in dieser Situation wichtig ist. Diese ganzheitliche Betreuung ist der Schlüssel zur Genesung, zur Besserung der Situation und zur Unterstützung der Patient*innen.

Sie führen ein vielseitiges Leben als Chefärztin, Ehefrau und Mutter. Eine typische Frage wäre nun: Wie kriegen Sie das alles unter einen Hut – eine Frage, die man Männern selten stellt. Wie reagieren Sie in solchen Fällen? 
Genauso, ich antworte: Wäre ich ein Mann, würden Sie mir diese Frage nicht stellen. Ich möchte aber auch nicht, dass der Eindruck entsteht, ich leiste Ausserordentliches. Ich fühle mich auch manchmal müde, an der Grenze meiner Kräfte und die verschiedenen Rollen als Mutter und Chefärztin fordern mich heraus. Ich schaffe das alles dank einem stabilen sozialen Netz. Dazu gehören meine Freundinnen, die alle auch die verschiedensten Wege gegangen sind und mir immer wieder Mut machen. Dazu gehört mein Mann, der zu Hause gleich viel Haushalts- und Erziehungsarbeit übernimmt wie ich. Frei nach dem Sprichwort: Um Kinder grosszuziehen – und dabei Chefärztin zu sein – braucht es ein ganzes Dorf, dazu gehören Familie, Freunde, Arbeitskolleg*innen und Nannys. (lacht)

Was raten Sie den Frauen, die einen ähnlichen Weg wie Sie gehen wollen?
Mir ist es wichtig, dass ich den Frauen Mut mache, ihren Weg zu gehen und sie dabei bestmöglich unterstütze. Und ich rate ihnen: Bleibt kreativ und verfolgt eure Träume. Orientiert euch nicht an den heute gültigen Normen und lasst euch eure Visionen nicht ausreden. Mit kreativen Ideen, Flexibilität und Freude werdet ihr spannende Lebens- und Karrierewege in der Medizin neu zeichnen, zufrieden sein und damit Vorbilder für die nächsten Generationen sein.

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