Frauen*streik 2019 – Der beste Tag

«Eine Million Frauen auf der Strasse» titelt der Tagesanzeiger. «Der grösste Streik in der Geschichte des Landes» folgt die NZZ. «Der Beginn einer neuen Zeitzählung» schreibt der Blick. Und all diese Schlagzeilen vermögen es doch nicht, die Stimmung dieses aussergewöhnlichen Tages gebührend einzufangen.

Gemütlicher Start in den bewegenden Tag: Solidarischer Brunch auf dem Park Platz.

Schon frühmorgens flimmerte die Luft verheissungsvoll. Man konnte regelrecht spüren, dass etwas Grosses bevorstand. Wie eine gigantische Tsunami-Welle überschwemmte es zuerst einzelne Orte, dann die ganze Stadt, ja das ganze Land mit violettem Rauch und schallendem Geschrei gegen die Ungleichheit, für eine sofortige Gleichstellung.

Ein kleiner Platz in Zürich ist an dieser Geschichte nicht ganz unbeteiligt. Ein Platz, der früher zugeparkt war und zwielichtige Episoden erlebte. Gerettet aus diesem Sumpf durch eine seriöse Zwischennutzung konnte dieser Ort endlich sein Potential als Schoss kreativer Schöpfung ausleben. In dieser Hinsicht beherbergte der Park Platz auch das Frauen*streikkollektiv, welches sich im Würfel einnisten durfte. Beschwingt von einem kämpferischen 8. März öffnete das Frauen*streikbüro jeden Freitag seine Türen und versorgte die Welt mit Broschüren, Buttons und Bandanas. Über dieses wichtige Infomaterial hinaus wurden umstürzlerische Diskussionen geführt, wegweisende Vernetzungen ermöglicht, und schliesslich der 14. Juni und was danach kommt geplant.

Kiloweise Farbe in allen Violett-Tönen wurden auf alte Leintücher, Tischtücher und Kissenbezüge gestrichen, gesprayt und sorgfältig bemalt. Unter brütend heissen Sonnenstrahlen, bei Nieselregen oder lilagrauem Hochnebel wurde den weissen Untergründen unermüdlich mit ideenreichen Parolen Leben eingehaucht. Auf der grossen Tafel prangte nach einem Nachmittag voller Farbe an den Beinen der Malerinnen in grossen Lettern der Aufruf: «All uf d’Strass. Für einen kämpferischen Frauen*Streik» und erzielte sogleich den bisherigen Rekord an Facebook-Likes in der Social-Media-Geschichte des Park Platz.

Am Abend vor dem Frauen*streik tummelten sich Massen auf dem Platz, ein Traktor stand auf der Aktionsfläche parkiert. Er wurde geschmückt, behängt und so auf seinen Einsatz am nächsten Tag vorbereitet. Es war nicht das einzige Fahrzeug, welches für den Frauen*streik von grosser Bedeutung sein würde. Eingeläutet, oder treffender eingehupt, wurde der Streik nämlich von einer spektakulären Autokarawane. Punkt Mitternacht bretterten Autos mit gehissten Fahnen, begleitet von einem Konvoi von Fahrrädern und Motorrädern, durch die Langstrasse. Die Autohupen und Sirenen aus den Megafons wurden nur noch übertönt von den Ausrufen der Lenker*innen. Die Masse tobte und die Schaulustigen waren mitgerissen von der Einigkeit und der Freude der fahrenden Menge.

Bereits die Ereignisse am Vorabend liessen erahnen, dass, was folgt, gross sein würde. Park Platz, Freitag, 14. Juni, halb neun Uhr morgens: Die solidarischen Männer üben noch kurz vor Frühstücksbeginn, die Milch korrekt zu schäumen. Doch bereits kurze Zeit später, nachdem sie von einer frühstückswütigen Masse überrannt werden, sind sie versucht, nur noch Espressos rauszulassen. Nichtsdestotrotz starten die Frauen*, gestärkt von Kaffee und mit vollem Magen, in den aktionsreichen Tag. Aus Solidarität mit dem Streik schliessen die Übriggebliebenen indes den Betrieb und hängen ein Transparent an die Tür: «Heute geschlossen wegen Scheisse von gestern.»

Genau gegen diese «Scheisse» ziehen die Frauen* nämlich in den Kampf. So zum Beispiel am Central, wo sich mutige Frauen* auf die Verkehrsinseln stellen. Ihre Dächlikappen schützen nicht nur vor der Sonne, sondern spenden auch Anonymität. Schon bald hängen violette Fahnen am blockierten 7er-Tram. Einkaufswagen, die zu Grills umfunktioniert wurden, sorgen neben den Badetüchern und Liegestühlen für Verpflegung. Ein richtiges Ferien-Feeling kommt auf. Die Stimmung nähert sich genährt von Konzerten und der allgemeinen Aussicht auf eine feministische Zukunft ihrem ersten Höhepunkt. Gegen den Nachmittag pilgern die vereinten Demonstrant*innen schliesslich frohen Mutes zum Helvetiaplatz. Die Demo vor der Demo hat ein Feuer entzündet, welches bis in die frühen Morgenstunden nicht nachlassen würde und deren Flammen hoffentlich noch lange in die Zukunft lodern.

Am Limmatquai stand frau* dann glücklich an ihre Kamerad*innen gedrängt und übte sich in Geduld. Abmarsch um Punkt 17 Uhr ist bei einer solchen Anzahl Teilnehmer*innen illusorisch. Irgendwann setzt sich der kolossale Tazzelwurm dann doch in Bewegung. Geordnet ist der Zug nach Berufsgruppen, politischen Organisationen, losen Zusammenschlüssen und Kollektiven. Trotz chaotischem Mit- und Durcheinander bewegt er sich langsam aber sicher durch die ganze Stadt. Mit Mikrofon und Sprechgesängen sowie auf Plakaten und Transparenten werden breit gefächerte Anliegen thematisiert. Der Frustration wird lauthals Luft gemacht. Die eigene Stimme gesellt sich zu den Tausenden anderen, der Kopf pulsiert. Als die einen bereits am Ziel ankommen, laufen die anderen erst los. Zurück auf dem Helvetiaplatz sind die Reden nicht verstaubt wie an manch anderen politischen Anlässen, sondern bewegen. Stets begleitet von nicht abflachendem Gebrüll und Pfiffen.

Wo der eigne Blick auch hinfällt, überall strahlende Augen in erschöpften Gesichtern. Die Solidarität lässt manche eine erschauern. Das gemeinsame Erlebnis schweisst zusammen, alle sind total überwältigt. Am Tag danach ist die ganze Stadt verkatert und ruhig. Ein solches Ereignis will zuerst einmal verdaut werden, die heiseren Stimmen wiedergefunden und Wörter, um darüber zu sprechen erst gefunden werden.

Zwei Tage darauf sind nur noch wenige Überreste sichtbar, da flattert noch ein violettes Band an einem Baum neben dem Fluss. Doch was tatsächlich zurückbleibt ist viel stärker: Das Gefühl, die Entschlossenheit, etwas verändern zu müssen, und die Macht dies auch zu können. Denn: «Wenn Frau* will, steht alles still! Und sie will, und sie will, und sie will…»

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