Kinder & Jugend
Für die Schulbehörde ging er in die Politik
Der Vizepräsident der Kreisschulbehörde Waidberg, Hans-Ruedi Joss, tritt per Ende Juni zurück. 15 Jahre war er für die hiesige Schulaufsicht im Einsatz. Im «Höngger» spricht das GLP-Parteimitglied über seine Motivation und die Herausforderungen.
19. Mai 2025 — Daniel Diriwaechter
Ursprünglich war Hans-Ruedi Joss (63) im internationalen Bankgeschäft zu Hause. Mitte der 1980er-Jahre zog es ihn nach Kanada, mit der Familie einige Jahre später nach Hongkong. Als sich die Finanzbranche allmählich wandelte, machte sich Hans-Ruedi Joss in der Vermögensberatung selbstständig. Er verlegte seinen Fokus ab 2013 auf Nachfolgeregelungen bei Erbgemeinschaften sowie auf die administrative Altersvorsorge.
Das Engagement des Hönggers gilt ferner dem Schulkreis Waidberg, der sich aus den Stadtkreisen 6 und 10 zusammensetzt. Das sind bei über 6000 Kindern und Jugendlichen aktuell 64 Kindergärten, 191 Primarschulklassen, 56 Sekundarschulklassen und 108 Betreuungslokale. Wie Hans-Ruedi Joss seinen Weg vor 15 Jahren zur Schulbehörde fand und weshalb er nun seinen Rücktritt einreichte, erzählt er hier.
Herr Joss, wie kamen Sie als klassischer Banker in die soziale Beratung?
Hans-Ruedi Joss: In meinem Beruf hatte ich viel mit komplexen Fällen zu tun. Etwa bei Erbschaften, bei Konflikten in Familien oder mit Versicherungen. Ich bin zwar kein Anwalt, aber im Bankgeschäft kenne ich mich bestens aus. Dann kam eine glückliche Fügung: Eine Waisenrätin – also ein Mitglied der ehemaligen Vormundschaftsbehörde (heute: Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde, kurz KESB) – machte mich Ende 2002 auf die Möglichkeit aufmerksam, mich mit meinem Know-how dort als privater Beistand zu engagieren.
Hat Sie diese Tätigkeit schliesslich zur Kreisschulbehörde Waidberg geführt?
Der Grund war ein anderer: Ende der 1990er-Jahre gab es einen Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis, der mit seinen radikalen Ideen für viel Aufsehen sorgte. Viele Eltern waren beunruhigt. Auch meine Tochter sollte hier in Höngg zu einem solchen Lehrer gehen – das hat uns schockiert. Wir Eltern organisierten uns und wandten uns schliesslich direkt an die Bildungsdirektion. Es war ein Kraftakt, aber wir hatten Erfolg: Der Lehrer wurde versetzt. Diese Erfahrung zeigte mir, wie viel man als engagierter Bürger bzw. Bürgerin bewegen kann.
Also wollten Sie sich noch stärker engagieren.
Genau. Im Jahr 2006 wurden Studien zur Reorganisation der Schulbehörde durchgeführt und ich wollte mitreden, wusste aber nicht, wie ich als Parteiloser in die Schulpflege aufgenommen werden kann. Bis mein Sohn im Jahr 2009 in einem Schulprojekt eine Partei vorstellen sollte. Er wählte die GLP, die damals noch relativ unbekannt war. Über ihn kam der Kontakt zur Kantonsrätin Eva Gutmann zustande. Sie reagierte sehr offen und wir kamen ins Gespräch. Zudem war ich politisch auf einer Linie mit der Partei. Kurz darauf wurde ich angefragt, ob ich mir ein Amt vorstellen könne. So wurde ich GLP-Kandidat für die Kreisschulbehörde Waidberg.
Mittlerweile sind Sie deren Vizepräsident und auch Präsident der Aufsichtskommission Höngg II. Wie erlebten Sie diese Aufgaben in all den Jahren?
Das Schönste war immer der Kontakt zu den Kindern. Sie sind ehrlich, direkt und authentisch. In den Klassen hat sich in 15 Jahren viel verändert: Während die Akzeptanz untereinander zumindest im Schulkreis Waidberg gewachsen ist, hat auch die Heterogenität zugenommen. Bis zu fünf Leistungsniveaus in einer Klasse sind für die Lehrpersonen eine grosse Herausforderung, die es zu meistern gilt. Auch die Zahl verhaltensauffälliger Kinder ist gestiegen. Mitunter reicht ein einziges Kind, um den Unterricht für alle zu stören.
Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?
Ich denke, ein Grund liegt im stark durchgetakteten Alltag der Eltern. Der «Mental Load» – also die psychische Belastung durch Beruf und Organisation – ist hoch. Viele Familien sind wirtschaftlich stark gefordert. Vor 15 Jahren konnte eine vierköpfige Familie in der Regel mit einem Einkommen gut leben. Heute, mit den hohen Mieten, müssen meist beide Eltern arbeiten. Diese innere Unruhe spüren viele Kinder und übernehmen sie teilweise.
Welche Rolle spielen digitale Medien in diesem Zusammenhang?
An Elternabenden, wenn es um Medienkompetenz ging, erlebte ich oft, wie überrascht Eltern diesbezüglich sind. Etwa, wenn man sie auf den Verlauf des WLAN-Konsums während der Nacht aufmerksam macht. Viele meinen es gut, unterschätzen aber den Einfluss der sozialen Medien. Ich frage mich gelegentlich, ob wir aufgrund der Digitalisierung auf dem Weg in eine empathielose Gesellschaft sind. Dabei läuft gerade das Lernen in der Schule über den echten Kontakt zwischen Kind und Lehrperson.
Gab es eine Aufgabe in der Behörde, die Sie besonders gern ausgeübt haben?
Schulbesuche liebte ich! Dabei sein, zuhören, den Unterricht miterleben, mit Lehrpersonen sprechen. Was diese vor der Klasse leisten, ist enorm. Viele sind manchmal gesundheitlich am Limit und dennoch ist ihr Engagement sehr hoch.
Hat man Sie im Unterricht stets mit offenen Armen empfangen?
Bei meinen Besuchen habe ich persönlich nur Positives erlebt. Leider sieht die neue Ausrichtung der Schulaufsicht immer weniger Schulbesuche vor. Zuletzt waren es nur noch fünf bis sieben pro Jahr für mich.
Ist das ein Grund für den Rücktritt?
Einer von mehreren. Der Wichtigste: Wie bereits erwähnt, wollte ich die Reform der Schulbehörde begleiten. Ich habe über Jahre hinweg viel Wissen aufgebaut, war Teil dieses Prozesses. Es gab immer wieder diverse Anläufe zur Neustrukturierung. Das neue Gemeindegesetz brachte zwar wieder Schwung, doch mit Corona kam erneut ein Bruch. Die schulkreisübergreifende Konferenz unter der Leitung des zuständigen Vorstehers des Schul- und Sportdepartements brachte viele Akteure zusammen und schliesslich wurde im Jahr 2022 ein 180-Seiten starker Bericht dem Gemeinderat übergeben. Dieser wurde dort aber faktisch ignoriert, und 17 Jahre Arbeit wurden einfach abgehakt. Das empfand ich als Affront gegenüber allen Beteiligten.
Gibt es noch einen weiteren Grund?
Aus gesundheitlichen Gründen ist jetzt der Moment gekommen, mich zurückzuziehen. Ich habe die Präsidentin, Gabriela Rothenfluh, rechtzeitig informiert, damit eine Nachfolge gefunden und eingearbeitet werden kann. Ein Parteikollege wird mein Amt übernehmen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Schulwesen?
Die Schweiz besitzt eine wichtige internationale Ressource: Bildung. Darum verdient die Bildung ausreichend Wertschätzung und genügend finanzielle Mittel. Auch, weil die Verantwortung und der Arbeitsumfang für die Schulleitungen und für das Lehrpersonal zunehmen. Ich hoffe, dass die Politik erkennt und in Erinnerung behält, wie wichtig diese Menschen für unsere Gesellschaft sind.
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