«Fuoß ist überhaupt ein schlechter Chaib»

Ein spektakuläres Verbrechen in Wipkingen gab 1915 in der ganzen Schweiz zu reden. 15 Jahre nach einem vermeintlichen Selbstmord wurde der Mörder von Spöndlihausbesitzer Peter verhaftet.

Die Häuser des ermordeten Jakob Peter: Links die Rosengartenstrasse 12, hier die Hinterseite am Gärtnerweg; Mitte die Schüür und rechts das Waschhaus.

Die Gerüchte nahmen kein Ende und dies liess Polizeisoldat Heller keine Ruhe. Seit Jahren tuschelte man im Dorf, Jakob Peter sei zwar ein übler Säufer und ein Schläger gewesen, aber «so einer» würde sich niemals selber aufknüpfen. Polizeisoldat Heller notierte sich den Dorfklatsch und legte alles in die verstaubte Akte.
Jahre zuvor, frühmorgens am 31. Mai 1900, einem Donnerstag, baumelte der Besitzer des Spöndlihauses an einem Birnbaum auf der Spöndliwiese. Ein Augenschein ergab, dass sich Jakob Peter selber mit einem Strick erhängt hatte. Der Fall schien längst erledigt. Meister Peter war Besitzer des Spöndlihauses, das er samt Wiese und Baumgarten von seinen Vorfahren ererbt hatte.
Heller notierte sich, dass in Wipkingen unvermindert das Gerücht zirkulierte, Knecht Fuoß habe an seinem Meister Peter Diebstahl begangen und diesen obendrein beseitigt. Niemand im Dorf glaubte an einen Selbstmord. Jakob Peter sei ein Säufer gewesen, ein Trunkenbold, der seine Frau im Suff verprügelt und seine Wohnung verwüstet habe. Das Geld hatte er vom Verkauf der Spöndliwiese; jenem Teil, auf dem heute das Schulhaus Nordstrasse steht. 45 000 Franken erhielt er dafür, und die konnte er nun in der Schnapsmeile in Alkohol verwandeln.
Karoline Peter, seine Frau, sei selber schuld, verstiegen sich die bösen Zungen. Sie habe mit Knecht Fuoß etwas gehabt; den Schnaps habe sie ihrem Mann selber hingestellt, eine Flasche nach der andern. Solle er sich tot saufen, Hauptsache er schnarcht nächtens und merkt nichts.

Die Aktenmappe wurde dicker

Niemand schenkte den Notizen von Polizeisoldat Heller Beachtung und eine formelle Untersuchung gegen Fuoß blieb aus. Eine Anklage gab es nicht, kein Untersuchungsrichter zweifelte den Totenschein an. Ein Bezirksanwalt namens Forrer stellte 1900 den Fall formell ein.
Polizeisoldat Heller mischte sich nicht in den Dorftratsch ein, aber seine Aktenmappe zum Fall Peter wurde dicker. Eine Stieftochter von Fuoß hatte ihn vor einiger Zeit wegen rückständigen Kapitalzinsen aus Grundpfandverwertung betrieben. «Darob geriet Fuoß, der von Natur aus ein roher Mensch ist, in gewaltige Aufregung und erging sich in Drohungen gegenüber dieser Tochter», schrieb Heller in die Akten.
Vor dem Säufer Peter nahmen die Leute Abstand, vor Fuoß hatten sie Angst. Fuoß, Jahrgang 1877, ein Deutscher aus Baden-Württemberg, kam vor Jahren in die Schweiz, weil ihm der Heimatboden zu heiss unter den Füssen geworden war.
Er war gegenüber einem militärischen Vorgesetzten tätlich geworden, sodass er eine Luftveränderung für ratsam hielt.
«In Wipkingen war man nie sonderlich entzückt ob ihm gewesen. Der grosse, herkulisch gebaute rothaarige Mann zeichnete sich von jeher durch eine seltene Grobheit aus. Sein gewalttätiger Charakter machte ihn zu einem Nachbarn, mit dem man sich am liebsten nicht einliess», schrieb eine Zeitung später über Fuoß.
Er hätte als gedienter deutscher Soldat ins Feld sollen. Mehrere Aufgebote von der kaiserlichen Armee ignorierte er und erklärte gegenüber Bekannten «in Worten, die ihrer Derbheit wegen nicht wiederzugeben sind, dass er sich keinen Deut um sein Vaterland kümmere», schrieb die Zeitung weiter.

Nach 15 Jahren eine Untersuchung

1915 nahm Bezirksanwalt Otto Heusser den Fall nochmals zur Hand. Er untersuchte einige ungeklärte Todesfälle in Zürich, insbesondere Vergiftungen durch Kohlen-Oxid von Kachelöfen. Einige angebliche Unfälle hatten sich als vorsätzliche Tat herausgestellt, bei denen jemand die Lüftungsklappe herunter gedreht hatte, was eine Erstickung verursachte. Auch schwer verständliche Selbstmorde untersuchte Heusser. Bei jenem vom Spöndlihausbesitzer Jakob Peter wurde er stutzig, als er die dicke Akte von Polizeisoldat Heller studierte.
Bezirksanwalt Heusser beschloss, diesen angeblichen Selbstmord eines schwerreichen Alkoholikers näher zu betrachten. Peter sei ein «unverbesserlicher Trunkenbold», beschied Dr. Moosberger in einem Brief. Schnapsnasen versaufen ihr Haus, schlagen vielleicht sogar
jemanden tot, aber sie hängen sich nicht auf. Er vererbte ein währschaftes Vermögen an seine Frau; das stattliche Wohnhaus an
der Rosengartenstrasse 12, eine Schüür, ein Waschhaus und jenen verbliebenen Teil der Spöndliwiese, auf der heute die Guthirt-Kirche steht. Karolina Peter, geborene Bürchler, Jahrgang 1865, hatte kurz nach dem Tod des Ehemannes den Knecht Jakob Fuoß geheiratet.
Heusser wendete eine damals wie heute beliebte Verhörtaktik von Untersuchungsrichtern an: Er bot eine Reihe von Zeugen auf, befragte sie, liess aber in der Schwebe, was er tatsächlich aufklären wollte. Einer der Vorgeladenen liess halb nebenbei die Bemerkung fallen, «Fuoß ist überhaupt ein schlechter Chaib; man hat ihn das letzte Mal nur nicht fassen können, weil man den gestohlenen Haber bei der Hausdurchsuchung oben im Taubenschlag nicht fand». Heusser ging der Sache nach und las in Polizeiakten, dass Fuoß vor Jahren einmal wegen Haferdiebstahls beschuldigt wurde. Die Untersuchung war mangels Beweisen eingestellt worden.
Die Verjährung für Verbrechen, die mit lebenslänglichem Zuchthaus bestraft wurden, betrug damals 25 Jahre. Bezirksanwalt Heusser hatte Zeit. Er setzte einen Detektiv namens Landig auf den Fall an. Seine kriminalistischen Recherchen brachten zutage, dass Jakob Fuoß in der fraglichen Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1900 sich im Hause seines Dienstherrn befand, aber bereits am nächsten Tag für drei Wochen nach Deutschland verreiste «und erst wieder zurückkam, als vermeintlich alles verrochen war». Unzweifelhaft unterhielt Karoline Peter schon lange vor dem Tod ihres Mannes mit Knecht Fuoß unerlaubte Beziehungen. Sie heiratete den Knecht, der damit in Besitz der grossen Parzellen und der Gebäude kam. Am Gärtnerweg stand auch das Spöndlihaus, das Wohnhaus von Jakob Peter. Offenbar litt sie aber bald unter der groben Behandlung des zweiten Ehemannes.

«Seelisch gebrochen»

Bezirksanwalt Heusser griff zu stärkeren Mitteln und liess am 21. Juli 1915 Karoline Fuoß unvermittelt verhaften. «Sie war vom ersten Moment der Untersuchung an seelisch gebrochen und erklärte schon nach zweistündiger Haft, sie wolle ihr Gewissen erleichtern und die schreckliche Tat eingestehen.» Dann folgte schnell und unerwartet das vollumfängliche Geständnis. Sie habe den Liebhaber überredet und angestiftet, ihren Mann umzubringen.
Im August 1915 sass Fuoß in Untersuchungshaft, wo er seine Tat standhaft leugnete. Er gab seine Mitwisserschaft an dem Verbrechen zwar zu, nicht aber die Tat selbst. Der Mordfall gab in der ganzen Schweiz zu reden, Zeitungen vom «Seeländer Tagblatt» über die «Urner Nachrichten» bis zum «Rheintaler» berichteten darüber. Die «Neue Zürcher Nachrichten» schrieb über den spektakulären Fall: Der Mörder sei der zweite Knecht gewesen, der in der Zwischenzeit verstorbene Ruckstuhl. Fuoß habe Ruckstuhl zu dem Verbrechen überredet, und während dieser den Mord verübte, sei Fuoß in seiner Kammer gewesen und hätte den Erfolg abgewartet. Nachher habe er Ruckstuhl, um dessen Nichtschuld darzutun, im Heuschober eingeschlossen. Bezirksanwalt Heusser kam diese Version unglaubwürdig vor, da beim verstorbenen Ruckstuhl alle Motive für eine solche Tat fehlten, hingegen bei Fuoß in hohem Mass vorhanden waren.

Die mögliche Todesstrafe

Ein Geständnis gab es seitens Fuoß nicht. Hingegen präzisierte die angeschuldigte Karoline Fuoß ihre Aussagen, «dass Peter in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1900, als er in gänzlich betrunkenem Zustande nach Hause kam, mit Vorbedacht von ihrem damaligen Liebhaber und heutigen Ehemann, dem Knecht Fuoß, erdrosselt und nachher zur Vortäuschung eines Selbstmordes an einem Baum ihres Baumgartens aufgehängt wurde».
Fuoß leugnete weiter. Bezirksanwalt Heusser hatte alle juristischen Register gezogen. Er wollte nun Karoline Fuoß wegen Mittäterschaft anklagen. Würde Jakob Fuoß die Tat weiter leugnen, käme der Fall vors Geschworenengericht, welches damals noch die Todesstrafe aussprechen konnte, was bei diesem niederträchtigen Verbrechen nicht ausgeschlossen gewesen wäre. Die Ehefrau würde vorab durch die Strafkammer des Obergerichts abgeurteilt und anschliessend als Zeugin vor das Schwurgericht geladen. Sagte sie nicht aus, wären die protokollierten Aussagen dem Gericht vorgelegen. Das Urteil wäre entweder lebenslängliches Zuchthaus oder die Todesstrafe.

Der Wärter entlockt ein Geständnis

Heusser liess Fuoß in einer Zelle im Selnau schmoren. An einem Abend Mitte November, die Zelle war nass, kalt und dunkel geworden, der Schwurgerichtstermin rückte näher, brachte Gefangenenwärter Leist dem Häftling das Abendessen. Fuoß ersuchte ihn, später noch einmal zu ihm zu kommen. Um sieben Uhr kam Wärter Leist erneut in die Zelle, hockte auf die Pritsche und schwieg. Es dauerte etwas, dann begann Fuoß zu jammern, er müsse nun für Ruckstuhl büssen. Wie er es wohl anstellen müsste, um nicht vor dem Schwurgericht zu landen? Wärter Leist beschied ihm, ein Geständnis abzulegen. Geständnis oder Geschworenenspruch. Nichts anderes. Fuoß wollte sich die Last abreden. Wärter Leist führte den Gefangenen – entgegen allen Vorschriften – in sein Bureau, und liess Fuoß eine Notiz schreiben, er anerkenne die Anklage der Staatsanwaltschaft.
Mit diesem Schriftstück unterzog der Staatsanwalt Fuoß am 19. November 1915 einem erneuten Verhör, welches damit endete, dass er alles gestand. Er habe seit längerer Zeit mit Karoline Peter ein ehebrecherisches Verhältnis unterhalten. An eine Verbindung sei so lange nicht zu denken, als ihr Mann lebe. Darauf hat er sich entschlossen, seinen Meister aus der Welt zu schaffen: «Als dieser am 30. Mai 1900 in tiefem Schlafe lag, hat er mit einem Strick eine Schlinge gemacht, diese seinem Opfer um den Hals gelegt und so lange zugezogen, bis Peter sein Leben aushauchte. Dann hat er den Toten unter den rechten Arm genommen und aus dem Hause auf die nebenangelegene Wiese getragen. Einen vor der Haustüre stehenden Schemel benützte er, um den Toten in einer solchen Höhe am Baum aufzuhängen, die den Anschein erwecken musste, Peter habe Selbstmord begangen. Nach vollbrachter Tat, es war 11 Uhr nachts, begab er sich ins Haus zurück und legte sich schlafen». Im weiteren erklärte Fuoß, dass ihn seine heutige Frau nicht angestiftet habe.
Fuoß wurde am 8. Dezember 1915, 15 Jahre nach der Tat, vom Obergericht zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, Karoline Fuoß zu fünf Jahren Zuchthaus. Am 27. April 1931, 31 Jahre nach der Tat, behandelte der Kantonsrat ein Begnadigungsgesuch. Der Württemberger Jakob Fuoß wurde begnadigt und zugleich lebenslänglich des Landes verwiesen.

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