Gesundheit
Hilfe im Dilemma: Ethik im Käferberg
Die Pflege und Betreuung von Menschen in Grenzsituationen gehört seit eh und je zum Alltag der Langzeitpflege: Menschen in Krisensituationen, demenzkranke Menschen mit eingeschränkter Urteilsfähigkeit und Selbstständigkeit, sterbende Menschen. Das stellt die Pflegenden selbst immer wieder vor schwierige Fragen und manchmal Gewissenskonflikte, wozu die pflegerische Ausbildung nur bedingt Wissens- und Handlungsgrundlagen bietet.
14. Dezember 2016 — Eingesandter Artikel
Mitarbeitende des Pflegezentrums Mattenhof hatten in einer Befragung das Bedürfnis geäussert, sich vermehrt mit ethischen Fragen zu befassen. Daraus ist ein erfolgreiches Projekt entstanden, und inzwischen haben alle Pflegezentren der Stadt Zürich aufgrund eines Auftrags die Ethik im Arbeitsalltag verankert.
Ein ethisches Dilemma
Wie Monika Paprotny, Pflegeexpertin und Ethikbeauftragte im Käferberg erklärt, entstehen im Alltag oft Situationen, wo unterschiedliche Bedürfnisse miteinander in Widerspruch geraten. «Stellen Sie sich vor, Ihre betagte Mutter bekunde mehr und mehr Mühe, für sich selbst zu sorgen: Sie isst nicht mehr regelmässig, hat in letzter Zeit an Gewicht verloren, der sonst gepflegte Haushalt ist eher schmuddelig. Sie ist gestürzt, und eine Nachbarin hat sie gefunden. Wenn Sie anrufen, nimmt sie das Telefon nicht immer ab, weil sie nicht mehr gut hört. Sie sorgen sich um Gesundheit und Wohlergehen Ihrer Mutter und sprechen sie darauf an, aber sie lehnt jegliche Hilfe und Einmischung ab. Jetzt machen Sie sich ernsthafte Sorgen, und Sie stehen vor einem Dilemma: Wie sollen Sie handeln? Das Recht auf Selbstbestimmung Ihrer Mutter steht mit Ihrem Grundsatz der Fürsorge in Konflikt. Was machen Sie?», fragt die Pflegeexpertin.
Zwischen Autonomie und Fürsorge
Die Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner gilt auch im Pflegezentrum als wichtiges Prinzip. Die Mitarbeitenden begegnen jedoch täglich Situationen, wo das Prinzip der Autonomie mit anderen Prinzipien in Konflikt gerät. Wie Monika Paprotny aus der Praxis weiss, stehen Mitarbeitende, und nicht allein jene der Pflege, ganz häufig vor dem Dilemma zwischen Autonomie und Fürsorge. Wenn ein Bewohner zum Beispiel die Einnahme eines wichtigen Medikaments verweigert, muss dies im Sinn der Selbstbestimmung meist akzeptiert werden. Was geschieht aber in der gleichen Situation, wenn die Urteilskraft des Bewohners eingeschränkt ist? Oder was geschieht, wenn jemand das Essen verweigert? Gibt es Grenzen der Selbstbestimmung, wenn jemand sich selbst gefährdet? Wie viel Fürsorge braucht ein Mensch in einer bestimmten Situation? Und wie könnte diese aussehen, unter Wahrung seiner Würde? Bei Menschen mit einer Demenz geht man oft von einer Teilautonomie aus, so dass jemand zwar sagt, welchen Pullover er anzieht, aber nicht mehr autonom über seine Therapien entscheiden kann. Da ist die Zusammenarbeit mit den Angehörigen oder dem Beistand wichtig, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen.
Vier Grundsätze
Die Auseinandersetzung mit Ethik räumt solche widersprüchlichen und meist anspruchsvollen Fragen nicht aus dem Weg. Doch sie schafft Voraussetzungen, um schwierige Situationen bewusst anzugehen und klare Entscheide zu treffen. Vier ethische Grundsätze leiten die Entscheidungsfindung: Das Prinzip der Autonomie, das des Nicht-Schadens, das Prinzip der Fürsorge und das der Gerechtigkeit. Wichtige Entscheidungen werden wo immer möglich im Behandlungsteam gefällt und dann vom ganzen Team getragen und umgesetzt. An ethischen Fallbesprechungen berät ein interdisziplinäres Team aus Arztdienst, Therapeuten, Pflege und bei Bedarf weiteren Diensten im Austausch mit der Bewohnerin, dem Bewohner und Angehörigen, wie bestimmte Fragen entschieden werden. Und es ist gut, wenn eine Patientenverfügung vorliegt, die den Willen der Betroffenen in Fragen wie Schmerzbekämpfung, lebensverlängernde Massnahmen, Spitaleinweisung usw. festhält.
Ethikforum, Ethikkommission, Ethik Café
Um das Bewusstsein für ethische Fragen bei den Mitarbeitenden zu schärfen, finden im Pflegezentrum Käferberg spezielle Veranstaltungen statt: Ethikbeauftragte aller Bereiche tragen als Ansprechpersonen ethische Fragen aus dem Arbeitsalltag zusammen. Sie bearbeiten die Themen im Ethikforum und diskutieren Lösungsvorschläge, die sie der Ethikkommission als Fallvignette zur weiteren Bearbeitung vorlegen. Und sie wählen Themen fürs Ethik-Café aus, wo diese von Mitarbeitenden aller Bereiche unter kundiger Leitung der Ethikbeauftragten und eines Philosophen diskutiert werden. Wichtige übergeordnete Themen und Erkenntnisse werden in Fallvignetten festgehalten, die jederzeit eingesehen und als Handlungsrichtlinien für verwandte Situationen beigezogen werden können. Wie die Praxis zeigt, sind die Ethik-Cafés gut besucht und lebendig. Sie entsprechen einem Bedürfnis der Mitarbeitenden, die eine bewohnergerechte Betreuung anstreben. Und die Bewohnerinnen, Bewohner und Angehörigen können darauf zählen, dass sie mit ihren Fragen und Anliegen im Haus offenen Ohren begegnen.
Werner Neck
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