Politik
«Im Unterschied zu anderen kenne ich die Auswirkungen des Sozialismus wirklich»
16. Dezember 2021 — Eingesandter Artikel
In einer neuen Serie unter dem Motto «Verschiedene Hintergründe – gleiche Ziele» befragt Claudia Simon Mitglieder der FDP 10. Heute ist die 55-jährige Mathematikerin und Unternehmerin Alena Kouba im Interview. Sie ist gebürtige Tschechin, verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Kouba engagiert sich seit einigen Jahren in der FDP 10 und bei den Frauen der FDP Stadt Zürich.
Alena Kouba, du bist hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang in der damaligen Tschechoslowakei aufgewachsen und hast dort ein Uni-Studium absolviert. Wann bist du in die Schweiz gekommen, und wie hast du das erlebt?
Mit 25 Jahren bin ich nach der Wende 1991 in die Schweiz gekommen. Da habe ich endlich gespürt, was Freiheit bedeutet. Im damaligen Osten waren wir im täglichen Leben immer mit dem Sozialismus konfrontiert. Man musste und sollte wie alle anderen sein. Für mich war das schwierig, ich war nie wie die anderen. In Tschechien nicht und in der Schweiz auch nicht. Der grosse Unterschied aber ist: In der Schweiz kann ich es sein. In Tschechien haben alle versucht, mir den «einzigen guten Weg» zu zeigen, mich zu erziehen, umzuformen; jeden Tag, jede Minute, mit Druck und schlechtem Gewissen.
Warum bist du Mitglied der FDP geworden?
Weil liberale Werte und vor allem die Freiheit mir alles bedeuten. Und ich bin dankbar dafür, dass ich die Freiheit habe. Einige meiner Familienangehörigen haben diese Freiheit nie erlebt. Im Unterschied zu anderen kenne ich die Auswirkungen des Sozialismus wirklich. Ich wehre mich deshalb hier gegen die zunehmende Bevormundung und setze mich für Eigeninitiative ein.
Gab es denn im Sozialismus auch positive Aspekte?
Wie gesagt, wir waren alle gleich oder mussten es sein. Das bedeutete aber auch Mann und Frau, Ausländer und Tschechen – es gab daher keinen Rassismus und keine Gleichstellungsdiskussionen. Dies war sicher ein positiver Aspekt. Aber: Ob hochqualifiziert oder ungelernt, ob engagiert oder nicht, alle bekamen den gleichen Lohn. Also Null Motivation. Zusammen mit der Planwirtschaft hatte das einen katastrophalen
Einfluss auf die Ökonomie. Positiv war die fast nicht existente Kriminalität. Aber auch dies war die Folge des Sozialismus: Die Grenzen waren zu, niemand konnte entkommen. Alle waren unter Kontrolle. Hat jemand etwas angestellt, wurde der Druck auf die Familie erhöht – das wollte niemand riskieren.
Was hast du in der Schweiz vermisst?
Ich war in der Schweiz total überrascht, dass es so gut wie keine Kinderbetreuung gab, oder sie mehr kostete als mein damaliger akademischer Lohn. Auch über die fehlenden öffentlichen Tagesschulen. Schon meine Grossmutter besuchte eine Tagesschule, und damals gab es in Tschechien noch keinen Sozialismus. Da es für mich selbstverständlich war, auch als Mutter zu arbeiten, habe ich in der Schweiz jahrelang mit der Kinderbetreuung gekämpft.
Wie ist es für dich, wenn du heute nach Tschechien gehst?
Als Doppelbürgerin habe ich auch zwei Heimatorte. Ich bin immer gerne in Tschechien und habe dort auch einen grossen Freundeskreis. Es ist zum Glück nicht mehr das sozialistische Land von früher, jedoch immer noch sehr links in den Köpfen der Leute. Ich bin froh, dass ich in der Schweiz arbeite und meine Firma habe. Ich vermute, es wäre in Tschechien viel schwieriger. Jetzt ist Tschechien für mich ein Ferienland, und so klappt es sehr gut.
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