Im Wald, wo die Trolle sind

Vier Tage pro Woche sind die Kinder des Waldkindergartens «Troll» draussen im Wald – von morgens bis nachmittags, bei jedem Wetter. Ein Besuch bei den Waldkindern des Käferberges.

Auf den Seilen klettern macht den kleinen Trollen am meisten Spass.

Morgens um neun bei der Grillstelle im Käferbergwald, oberhalb des Bucheggplatzes. Es ist der 1. Dezember und nun doch noch ziemlich kühl geworden, die Temperaturen bewegen sich so um den Nullpunkt herum. Beim kleinen Holzhäuschen, das hier auf der Lichtung steht, hängt ein Schild mit der Aufschrift «Troll». Darunter, fein säuberlich an Garderobenhaken aufgehängt: Lauter kleine Rucksäcke, outdoortauglich, einer neben dem anderen. Doch wo sind die dazugehörigen Kinder?
Ein Blick in das Häuschen verschafft Klarheit: die 18 Kindergartenkinder sitzen im Kreis auf dem Boden. Anna, die Lehrperson, erzählt eine Geschichte. Juan, der Zivildienstleistende, Andi, der Kindergartenassistent, und Leslie, die Hortleiterin, sind auch mit von der Partie.
Geschichte fertig, die Kinder stürmen nun ins Freie. Zum «Mammuttannenplatz» soll es heute gehen. Juan packt den kleinen Anhänger, auf dem alles Material, das die Gruppe am heutigen Tag benötigen wird, gestapelt ist. Dann macht sich die Gruppe in gemütlichem Tempo auf den Weg. Unterwegs wird rege darüber diskutiert, weshalb die asiatischen Elefanten kleinere Ohren haben als die afrikanischen. Oder was Skorpione so gefährlich macht. Auch Geschichten werden gemeinsam erfunden und weiterentwickelt.
Alle paar hundert Meter wird an fixen Haltepunkten aufeinander gewartet. Dann spielt Anna eine kleine Melodie auf der Flöte – das Signal, dass es weitergehen kann. Sicher eine halbe Stunde sind die «Trolle» so unterwegs, doch jammern tut niemand – trotz teilweise kalter Hände und Füsse.

Bei jedem Wetter draussen

Die Kindergruppe, die aus Erst- und Zweitkindergartenkindern besteht, ist an schwierige Wetterbedingungen gewohnt. Denn der Unterricht läuft hier ein wenig anders ab als in einem «normalen» Kindergarten: Die Unterrichtszeit spielt sich vollständig im Freien ab, bei nahezu jedem Wetter. «Nur wenn es mal sehr stürmt oder es im Wald zu gefährlich wird, verlegen wir unseren Unterricht in Innenräume. Beim GZ Buchegg haben wir in solchen Fällen die Möglichkeit, mit unserer Gruppe Unterschlupf zu finden», erklärt Anna. Doch das ist nur für Notfälle gedacht.
Ab acht Uhr morgens können die Kinder hier vorbeigebracht werden, Betreuungszeit inklusive Mittagessen ist bis 15 Uhr. Und weil dies doch deutlich länger ist als bei städtischen Kindergärten, wo die Kinder jeweils um zwölf Uhr nach Hause kommen, ist der Mittwoch ganz frei. Für die Eltern bedeutet die Mitgliedschaft im Kindergarten nicht nur die Zahlung eines Mitgliederbeitrags, weil es sich um einen privaten Kindergarten handelt, sondern auch, dass sie regelmässig für das Mittagessen sorgen müssen. Jeweils ein Kind beziehungsweise dessen Eltern sind für das Mittagessen zuständig, das bedeutet, dass zu Hause vorgekocht werden muss, was später auf dem Feuer im Wald erwärmt wird. Doch wie die Kinder sind auch die Eltern mit Überzeugung dabei: «Meine Kinder waren bereits in der Waldkrippe und schon für einen Zweijährigen fand ich die Bewegung, die frische Luft, die Nähe zur Natur sehr wertvoll. Jetzt im Kindergarten stelle ich immer wieder mit Freude fest, wie wenig Berührungsängste unser Kind hat mit Tieren, Natur und Wetter. Und er schnitzt für sein Leben gerne, ist Experte im Feuer machen und kennt die besten Schlammrutschen im Wald», erklärt Zoé Kilchenmann, eine der «Trollmütter», ihre Beweggründe, die Kinder in den Waldkindergarten zu schicken.

Räumlichkeiten für die Nachmittagsbetreuung gesucht

Der «Troll» sei, so berichtet Anna, ursprünglich aus einer kleinen Elterninitiative hervorgegangen. Damals hätten sich drei Elternpaare zusammengetan und gemeinsam die erste Waldkinderkrippe in Zürich gegründet. Mittlerweile sind aus der einen Gruppe deren vier geworden: zwei Krippen und zwei Kindergärten. Nun sind nicht nur auf dem Käferberg «Trolle» zu Hause, sondern auch am Zürichberg und dem Üetliberg.
Mitte dieses Jahres allerdings erlebte der Verein eine recht turbulente Zeit: Der Verein konnte die Löhne der Mitarbeiter*innen nicht mehr finanzieren und meldete Konkurs an. Doch die Eltern reagierten und sammelten innerhalb kürzester Zeit die für die Rettung notwendigen 100’000 Franken, mit denen eine gemeinnützige AG gegründet werden konnte. Jetzt ist der «Troll» vorerst gerettet. Was nun noch fehlt, sind fixe und eigene Räumlichkeiten, in denen sich die Kinder auch nach der offiziellen Kindergartenzeit von 15 bis 18 Uhr aufhalten können, damit der Kindergarten mit Hort eine Ganztagesbetreuung anbieten und aufrechterhalten kann. Die Gruppen sind intensiv auf der Suche. 

Für alle Eventualitäten vorgesorgt

Im Wald hat die Gruppe mittlerweile ihren Aufenthaltsplatz für den Tag erreicht. Nun ist erstmal Znünizeit. Die Kinder greifen nach ihren Rucksäcken und ziehen ihre gut gefüllten Znüniboxen raus – frische Luft macht hungrig. Routiniert meistern Kinder wie Betreuer*innen die kleinen Herausforderungen des Waldalltags.
Die Abläufe sind klar: Znüni raus, Hände waschen. Dann eine Schaumgummimatte geschnappt und sich einen Platz gesucht – im Gestrüpp, auf einem Baumstamm – jedes Kind kann das ganz selbst entscheiden. Und nach wie vor jammert niemand. Wer friert, fragt nach einem weiteren Paar Handschuhe oder versucht, durch Bewegung warm zu bleiben.

Im Wald läuft die Zeit anders

Juan packt derweil ein paar Seile aus und montiert zwischen den Bäumen einen kleinen Kletterparcours für die Kinder. Andi nimmt die Taschenmesser zur Hand und schnitzt zusammen mit einer weiteren Gruppe Stöcke zurecht. Die Kinder können wählen, ob sie auf eine der beiden Aktivitäten Lust haben – oder etwas ganz anderes tun wollen. 
Das Unterrichtsprogramm richte sich zwar, wie bei den städtischen Kindergärten auch, inhaltlich nach dem Lehrplan 21, erklärt Anna. Dennoch läuft der Unterricht hier sehr viel freier ab als in einem «normalen» Kindergarten. Es bleibt viel Zeit für das eigene Spiel und die eigene Kreativität. Und irgendwie laufen auch die Uhren im Wald ein wenig anders: Schon kurz nach dem Znüni ist es Zeit, über das Mittagessen nachzudenken. Das muss ja schliesslich auch erst erarbeitet werden.

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