«In der Stadt sollen alle gut leben können!»

Richard Wolff ist Stadtrat, Vorsteher des Tiefbau- und Entsorgungsdepartement und seit bald 40 Jahren Bewohner von Wipkingen. Früher als Stadtentwickler, heute als Politiker, setzt er sich dafür ein, dass die Stadt ein Ort für alle wird.

Richard Wolff in seinem Büro des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements.

«Das ist eine lange Geschichte!», antwortet der Zürcher Stadrat Richard Wolff auf die Frage, was ihn politisiert hat. Seine «ziemlich politische Familie» bildete wohl den Anfang. Zu Hause wurde viel über Politik geredet. Da beide Elternteile in Deutschland aufgewachsen waren, war auch die deutsche Geschichte und Politik ein grosses Thema. Und ein Gerät beeinflusste ihn besonders: «Ich war ein Fernsehkind, am Fernseher liefen eigentlich immer die Nachrichten.» Ein Thema, das er durch dieses Fenster zur Welt besonders miterlebt hat, war der Vietnamkrieg. «Einerseits kann ich mich an diese brutalen Bilder am Fernsehen erinnern, die Kämpfe und die Helikopter, diese klassischen Vietnambilder. Gleichzeitig erlebte ich aber den Widerstand, also die Hippies, die 68er, Woodstock.» Als dritten grossen Einfluss nennt er Venezuela: Mit zwölf ging er mit der Familie für ein paar Jahre nach Südamerika. Obwohl er noch ein Kind war, bemerkte er den klaren Unterschied zwischen der Schweiz, wo alle im Verhältnis relativ reich sind, und Venezuela, wo er «diese endlosen Slums» sah.
Politisch aktiv wurde Wolff mit den Jugendbewegungen in den 80er-Jahren, die ihn stark prägten. Die Bewegung zeigte ihm, dass auch in der Schweiz nicht alles erstarrt ist, sondern dass Veränderungen verlangt werden und auch möglich sind. An den Demonstrationen setzte er sich für ein autonomes Jugendzentrum, für die Rote Fabrik und generell für mehr Freiheit im Alltag ein. Er forderte mehr Verständnis für die Anliegen der Jugendlichen.

Stadt als Hauptthematik

Er entschied sich für ein Geografie- und Ethnologie-Studium. «Durch die Geografie bin ich dann nicht zuletzt wegen der Erlebnisse in der Jugendbewegungen auf das Thema Stadt gekommen.» Die Jugendbewegung sei eine sehr städtische Bewegung gewesen, meint Wolff, die sich mit den Möglichkeiten, mit der Kultur und dem Leben in der Stadt befasste. Ihm wurde bewusst, dass der Ort, an dem man selber lebt, ein sinnvoller Ort ist, um sich zu engagieren. «Dort kennt man die Verhältnisse, die Sprache, die Kultur, und dort hat man auch das Netzwerk mit anderen Menschen», erklärt Wolff. Deshalb war es für ihn naheliegend, sich auch im Rahmen des Geografie-Studiums auf die Stadt zu konzentrieren. Ihn interessierte das Verhältnis vom Menschen zu seiner Umwelt, vom Menschen zur Stadt: Was kann er machen? Was kann er verändern? Was hat er für Gestaltungsmöglichkeiten? «Ich glaube, es war vor allem das: Etwas in der Stadt mitzugestalten, mitzureden.» Er wollte Fachmann werden in einem Gebiet, das er versteht, weil er Teil davon ist.
Aber welche Ziele hatte er dabei vor Augen? «Ich wollte im allgemeinen Sinn Lebensbedingungen und Lebensverhältnisse in der Stadt verändern», meint Wolff. Verschiedene Bedürfnisse verschiedener Gruppen sollen wahrgenommen werden: «Nicht nur eine kleine Schicht von Privilegierten soll gut leben können, sondern alle, auch jene, die als Arbeitskräfte, als Besucher*innen oder letztlich auch als Geflüchtete in die Stadt kommen».
Obwohl er erst mit 52 der Alternativen Liste (AL) beitrat, war er schon vorher politisch aktiv als Lobbyist, Campaigner und Berater. «Ich habe vor allem die beiden Bereiche Verkehr und Wohnen angesprochen. Das waren hochpolitische Umfelder und dort hatte ich sehr viel mit Politiker*innen zu tun.» Er wollte sich zu dieser Zeit nicht festlegen auf eine Partei, sondern immer ein gewisses Mass an Neutralität wahren. «Sonst hätte es immer geheissen: <Der ist sowieso ein Grüner>, oder <der ist sowieso ein AL’er>. Ich glaube, es war besser, dass ich bei keiner Partei war.»

Die Polizei: ein sensibles Thema

Irgendwann war dann die AL auf ihn zugekommen. «Ich habe mir das lange überlegt und war schliesslich einfach reif, zu sagen: Versuchen wir es!» Er versuchte es – und wurde bei den Stadtratsersatzwahlen zum Stadtrat gewählt. Das einzige, was diesen Erfolg anfangs trübte: Ihm wurde das Sicherheitsdepartement zugewiesen. «Das war ein schwieriger Moment, damit hatte ich nicht gerechnet.» Es sei für ihn die wohl grösstmögliche Herausforderung gewesen. Zum einen war es nie ein Hauptthema, mit dem er sich beschäftigt hatte. Andererseits geht es bei der Polizei um sehr sensible Fragen, findet Wolff. Er musste sich von Anfang an stark damit auseinandersetzen – «doch das wurde dann auch bald zu einem Dürfen». Denn gerade weil es ein Thema war, mit dem er sich vorher überhaupt nicht auseinandergesetzt hatte, sei es eine enorme Bereicherung für sein Wissen und seine Erfahrungen gewesen. So habe er sein damaliges Departement dann mit der Zeit auch gerne bekommen, er merkte, dass er auch dort etwas bewirken konnte, was er sich vorher nicht hatte vorstellen können. Vor allem auf die Änderungen bei den Personenkontrollen und den «Zahnbürstelikontrollen», den Einbürgerungen also, ist er besonders stolz. «Innerhalb des Sicherheitsdepartements konnte ich Respekt und Menschenwürde als Hauptthema setzen.»
Mit seinem neuen Departement, Tiefbau und Entsorgung, das er 2018 erhielt, war er von Anfang an sehr zufrieden. «Meinen Interessen, meiner Ausbildung und meinen früheren Tätigkeiten ist dieses Departement sehr nahe.» Dabei hat er sich den Erhalt und die Vermehrung von Grünflächen in der Stadt zum Ziel gesetzt. Zusätzlich ist ihm ein Ausbau vom Velo- und Fussverkehr wichtig. Dazu kommt die Ressourcenbewirtschaftung und die ganzen Umweltthemen im Energie- und Rohstoffbereich, «das ist ein Feld mit grossem Potenzial». Wolff findet, dass jetzt der richtige Zeitpunkt sei, um etwas zu ändern: «Das Bewusstsein, der Wille, die Unterstützung der Politik und Öffentlichkeit sind da – und die Gelder auch, wenn man sie richtig einsetzt.» Dies hat auch mit der Klimajugend zu tun, meint er. «Wenn man weiss, dass unsere Kinder auf der Strasse sind und sagen, dass es um ihre Zukunft geht, dann hat das schon einen starken Einfluss.» Klimapetitionen, Klimastreiks, Vorstösse, Initiativen, persönliche Briefe: All das sei eine geballte Packung, die ausdrückt, dass Menschen Veränderung wollen – «und zwar grosse Veränderung und möglichst schnell».

Den Mittelweg finden

Etwas zu verändern, einen Einfluss zu haben auf wichtige gesellschaftspolitische Fragestellungen, das ist es, was Wolff an seinem Amt gefällt. «Im politischen Prozess eine einigermassen wichtige und verantwortungsvolle Rolle einzunehmen, das ist befriedigend, das motiviert einen auch.» Es gibt für ihn aber natürlich auch Momente, die frustrierend sind. Wenn er Leute enttäuscht, weil er Kompromisse eingehen muss. «Man muss als Politiker lernen, damit umzugehen, dass man zwar viel Gutes erreichen kann, dass man viele schöne und wichtige Sachen machen kann, aber nicht immer zur Zufriedenheit von allen.» Eigentlich gefalle ihm das aber auch, Lösungen zu moderieren, Leute zusammenzubringen, Mediator zu sein zwischen unterschiedlichen Forderungen und Wünschen: «Man muss alles berücksichtigen und etwas jonglieren, sodass man dann doch noch Ergebnisse erzielt, die einen selber zufrieden stellen.»

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