Quartierleben
«In meiner Brust schlagen zwei Herzen»
Der Röschibachplatz ist der Dorfplatz Wipkingens. Rundum treffen sich Leute aller Couleur und jeden Alters. Die Schauspielerin Lena Schwarz ist eine davon. Dem «Wipkinger» erzählt sie, was sie bewegt.
30. Juni 2022 — Majka Mitzel
m Gymi hatte ich eine theaterbesessene Französischlehrerin, durch die auch ich die Liebe zum Theater entdeckte. Meine erste Rolle in ihrer Theatergruppe war, ich erinnere mich noch genau, die Mutter in dem Stück «Hase Hase» von Coline Serreau. Ab da wollte ich unbedingt zum Theater, bekniete sogar unseren Schulleiter, dass er mir einen Monat frei gab in der zehnten Klasse, damit ich im Stuttgarter Theater hospitieren konnte.
Als ich das Abitur in der Tasche hatte, ging ich an die Otto-Falkenberg-Schauspielschule in München. Nach der Ausbildung wurde ich ans Schauspielhaus Bochum engagiert und gastierte auch in Hamburg, Frankfurt, Köln München, Düsseldorf und Zürich. Am Bochumer Schauspielhaus lernte ich meinen Mann, einen Bühnentechniker und Musiker, kennen. Zusammen kamen wir vor neun Jahren nach Zürich, wo wir beide anfingen, am Schauspielhaus zu arbeiten. Uns verschlug es gleich nach Wipkingen, an die Nordstrasse, wo wir bis heute leben.
An Wipkingen gefällt mir vieles: Die Ruhe im Käferbergwald, die Limmat – die Lage zwischen Wäldern und Fluss ist einfach grossartig. Und ein Geschenk ist auch, wie sicher und frei sich die Kinder hier bewegen können. Ich habe einen zwölfjährigen Sohn, und ich finde es toll, dass die Kinder hier sehr früh und gut schwimmen lernen. Und dann springen sie plötzlich mit grosser Gewieftheit wie kleine Zirkusartisten von der Viaduktbrücke in den Fluss. Aber auch Dinge wie, dass man an jeder Ecke frisches Wasser aus Brunnen trinken kann und immer die besten Bücher auf der Strasse gratis zum Mitnehmen findet, gefallen mir. Neulich habe ich in der Nordstrasse «Kindheitsmuster» von Christa Wolf gefunden, ein Buch aus der DDR-Zeit über die Zeit des Nationalsozialismus – ich habe mich sofort darin vertieft.
Demut und Politik
Wir sind hier ja schon in einer sehr privilegierten Situation, das mache ich mir immer wieder bewusst und empfinde auch Demut, wenn ich sehe, was um uns herum gerade alles passiert auf den verschiedensten Ebenen. Der Ukraine-Krieg beschäftigt mich gerade besonders – wir leben ja irgendwie doch in einer Zeit, in der unsere deutsche Geschichte wieder hochkommt. Als ich neulich in Berlin war, fiel mir auf, dass alle Gespräche sofort politisch wurden. Ich erlebe das hier weniger. Was mich kürzlich schockiert hat, ist die Geschichte einer befreundeten Regisseurin, die erzählte, dass sie kurz nach Kriegsausbruch mit einem Schild für Frieden auf der Rathausbrücke in Zürich stand und Passanten vorbeigingen und kommentierten, Putin solle sich um seine Sachen kümmern, wir uns um unsere. So eine Einstellung finde ich beschämend.
Auch Corona hat mich natürlich beschäftigt. Wir konnten lange nicht proben, geschweige denn auftreten. Währenddessen hatte ich Zeit, mich wieder voll in die Malerei reinzuschmeissen, dieses Herz schlägt nämlich auch noch in meiner Brust. Hauptsächlich male ich mit Öl. In dieser Zeit habe ich mir auch ein klitzekleines Atelier zugelegt, wo ich abtauchen kann. Im letzten Jahr im März habe ich mit Freunden das Projekt «Traumkapelle» auf die Beine gestellt: In der Kammer des Pfauen vom Schauspielhaus haben wir eine Installation gebaut, wir haben Raum, Malerei und Klänge verschmelzen lassen. Die Leute konnten einfach vorbeikommen, und sie haben
mit grosser Freude reagiert, endlich konnte man mal wieder etwas Kulturelles sehen. Das war ja sonst kaum möglich wegen der Pandemie. Es hat grossen Spass gemacht und war eine tolle Erfahrung. Ich würde gerne einmal eine Ausstellung in Wipkingen organisieren. Mir fehlt aber noch der entscheidende Geheimtipp für Räumlichkeiten.
Die Vergänglichkeit des Theaters
Jetzt bin ich froh, dass wir endlich wieder Theater spielen können. Mich reizt es sehr, mit meinen Rollen immer wieder quasi aus dem Leben aussteigen und in eine ganz andere Welt eintauchen zu dürfen. Es ist anstrengend, aber auch sehr beglückend. Gleichzeitig muss man auch loslassen können, denn das Theater hat auch etwas Vergängliches: Nach den Aufführungen ist es vorbei, es bleibt nur die Erinnerung, das kann auch schmerzhaft sein. Und mit jedem Stück fangen wir wieder von vorne an. Momentan bereite ich mich mit dem Schauspielhaus-Ensemble im Rahmen der Salzburger Festspiele auf den «Reigen» vor, ein Stück von Arthur Schnitzler. Die Inszenierung wird sehr spannend: Unsere Regisseurin Yana Ross hat die einzelnen Szenen, zehn insgesamt, an verschiedene internationale Autor*innen gegeben, die die Szenen unabhängig voneinander neu geschrieben haben. Auf der Bühne wird es sich wieder zu einem grossen Ganzen zusammenfügen. Die Uraufführung findet Ende Juli in Salzburg statt, im September ist dann die Zürcher Premiere.
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