«Jetzt will ich wandern, weit wandern»

Das GZ Wipkingen und Ursula Marx – das gehört in den Augen vieler Menschen im Quartier einfach zusammen. Doch bald trennen sich die Wege: Im Februar 2024 wird sich Ursula Marx altershalber von der Quartierarbeit im GZ Wipkingen zurückziehen.

Im kommenden Februar zieht sich Ursula Marx von der Quartierarbeit im GZ Wipkingen zurück. (Foto: zvg)

Ursula Marx hat die Geschichte des GZ Wipkingen in der Quartierarbeit 18 Jahre lang entscheidend mitgeprägt. «Tauschen am Fluss», das «netzwerk8037», der Aufbau der Genossenschaft «Zeitgut» oder der «MalOrt» sind nur einige der erfolgreichen Projekte, die sie während ihrer Tätigkeit mitbegründet und begleitet hat.

Nun naht für sie die Zeit des Abschieds: Der Übertritt in den nächsten Lebensabschnitt, den Ruhestand – was auch immer das für eine aktive Person wie Ursula Marx bedeuten mag – steht bevor. Im Gespräch blickt sie noch einmal auf ihre Zeit am Fluss zurück – und gewährt einen kleinen Einblick in ihre Pläne nach dem GZ Wipkingen.

Ursula, seit 18 Jahren bist du beim GZ Wipkingen tätig. Beginnen wir beim Anfang: Wie bist du dorthin gekommen?
Ursula Marx: Ich bin ursprünglich Sozialpädagogin und war zunächst in der Jugendarbeit im GZ Loogarten tätig. Später bin ich zur Soziokultur übergegangen. Ich war unter anderem bei der Asyl-Organisation Zürich tätig und habe dort Projekte wie «Züri rollt» und den Partyservice «Paprika» realisiert. Ich glaube, auch wegen dieser Erfahrungen habe ich die Aufgabe im GZ Wipkingen erhalten.

Wie bist du in die GZ-Arbeit eingestiegen?
Angefangen habe ich ganz niederschwellig, mit den sogenannten «Morgengesprächen an der Limmat». Wir haben einfach vormittags zu Kaffee und Austausch ins GZ eingeladen und uns umgehört, was die Menschen, die hier im Quartier leben, so brauchen, was ihre Wünsche und Bedürfnisse sind. Die unterschiedlichsten Menschen haben sich hier getroffen – Leute, die Zeit hatten, junge Familien, Seniorinnen, Menschen mit Migrationshintergrund, Erwerbslose.

Und aus diesen Gesprächen haben sich dann Projekte ergeben?
Ja genau. So trafen sich hier zum Beispiel einige Leute, die gerne gemeinsam malen wollten. Also haben wir ihnen das Atelier zur Verfügung gestellt, der «MalOrt» für Erwachsene ist entstanden und existiert nun bereits seit 17 Jahren. Auch das «Tauschen am Fluss» hat so begonnen. Ich habe aufgrund der «Morgengespräche» angefangen, mich zu informieren, wie man all das Potenzial, das die Menschen mit sich bringen, am besten verbinden könnte. Dazu habe ich mir andere Tauschprojekte angeschaut, Partner für ein mögliches Projekt gesucht und die Idee eines eigenen Tauschnetzes ins Quartier gebracht – und es hat gleich funktioniert: Es fanden sich Leute, die das Vorhaben spannend fanden. Manche der Teilnehmenden des Kick-offs sind nach wie vor mit dabei.

Du hast es schon erwähnt: Sowohl der «MalOrt» als auch das «Tauschen am Fluss» sind nachhaltige Projekte, die seit ihrer Initiierung erfolgreich funktionieren. Was ist das Erfolgsrezept?
Mein Job besteht, so verstehe ich das persönlich zumindest, darin, den Menschen im Quartier hier im GZ Experimentier- und Freiräume zu bieten. Man soll bei uns etwas ausprobieren können, sich selbst erfahren dürfen. Dabei darf man auch mal scheitern, Ideen nicht verwirklichen können, das gehört zum normalen Prozess dazu. Soziokultur ist für mich nicht nur ein Angebot, das man konsumiert und von dem man anschliessend nach Hause fährt, hier kann man vielmehr gemeinsam etwas erarbeiten, erleben und dabei Menschen aus dem Quartier kennenlernen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit den freiwillig Engagierten ein sehr wichtiger Erfolgsfaktor. Die Projekte stehen und fallen mit dem Engagement der Menschen, die hier im Quartier leben. Sie sind bei der Verwirklichung der Ideen nicht Hilfskräfte, die Aufträge ausführen, sondern sie erstellen das Konzept, organisieren sich selbst, führen aus. Und zudem verankern sie die Idee im Quartier, bringen ihren eigenen Freundeskreis mit und dienen als Multiplikatorinnen.

Kannst du ein Beispiel nennen?
Das «netzwerk8037» ist ein schönes Beispiel dafür: Auch hier wurden zunächst mittels einer Umfrage im Quartier die Bedürfnisse der Generation der über 55-Jährigen erfragt. Daraus ergab sich eine Projektgruppe, die sich nach ihren Fähigkeiten und Wünschen organisiert hat – lustvoll, mit viel Freude und Leidenschaft. Nun werden so unterschiedliche Anlässe wie die «A Tavola», die «Spileria», Buchbesprechungen, Filmabende und Lesungen durchgeführt.

Bestimmt hat aber auch deine Persönlichkeit, dein Engagement zum Erfolg der Projekte beigetragen.
(schmunzelt). Ich glaube, ich kann mir ganz gut Namen merken. Das hilft im persönlichen Kontakt. Wie gesagt, ich denke, zuhören können und die Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen einfangen, das ist wichtig. Ich möchte die Menschen verbinden, Leute zusammenbringen, die zusammenpassen. Sie sollen Gemeinsamkeiten erkennen, anstatt Unterschiede in den Vordergrund stellen. Und ich möchte sie ermutigen, auch Dinge zu wagen, die sie sich vielleicht gar nicht zutrauen. Gleichzeitig habe ich mich auch immer bemüht, eine Willkommenskultur zu schaffen, indem wir im Team jeden Anlass so sorgfältig und schön wie möglich gestaltet haben. Mir ist es sehr wichtig, den Engagierten Wertschätzung zu zeigen.

18 Jahre sind eine lange Zeit. Wie hat sich deine Arbeit in diesem Zeitraum verändert?
Also zu Beginn, als ich neu im GZ angefangen habe, stand ja noch nicht einmal die Brücke über die Limmat, die das GZ nun direkt mit dem Kreis Fünf verbindet. Der Alltag im GZ war eher ruhig, man kannte die Leute, die hier vorbeikamen, es waren die Menschen aus dem Quartier, die unser Angebot nutzten. Jetzt ist enorm viel Leben hier, diese Oase an der Limmat ist stark bevölkert. Gleichzeitig merke ich, dass sich die Menschen viel stärker als früher in ihren eigenen «Bubbles», in ihren eigenen Blasen, bewegen. Man umgibt sich mit Leuten, die gleich ticken wie man selbst. Meinungen werden kontroverser diskutiert, weltanschauliche Differenzen trennen die Leute viel stärker als früher. Das macht unsere Aufgabe sehr spannend, aber auch herausfordernd.

Nun kommt die Zeit des Abschieds, was wirst du vermissen?
Natürlich mein Team vom Gemeinschaftszentrum, aber auch all die verschiedenen Menschen und Charaktere, die ich dank meiner Arbeit kennenlernen durfte. Und die Feste und Anlässe, die wir zusammen geplant und erlebt haben. Ich bin sehr dankbar für die Gespräche über Gott und die Welt, die ich hier führen durfte. Was ich ebenfalls vermissen werde, ist mein Arbeitsplatz: Wenn immer ich das Bedürfnis nach frischer Luft hatte, konnte ich einfach vor die Tür gehen und war umgeben von friedlichen Menschen.

Du könntest doch länger bleiben?
Nein, ich glaube, jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt zu gehen. Nach 18 Jahren ist es für mich eine runde Sache, den Hut zu nehmen. Schliesslich habe ich auch noch einiges vor. Ich habe mir aber fest vorgenommen, mich nicht gleich in neue Arbeit zu stürzen. Ein Jahr lang ohne Projekt ist die Abmachung mit mir selbst. Erst mal möchte ich wandern gehen, weit wandern. Den Rucksack packen und im Schritttempo die Welt erkunden. Singen und Tanzen gehören auch zu den Dingen, die ich unbedingt weiterverfolgen möchte. Und dann sind da noch meine fünf «Quasi»-Enkel, die Enkelkinder meines Partners, die auch gerne Zeit mit mir verbringen.

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