Institutionen
Kaum besetzt, schon wieder geräumt – ein Kulturraum weniger
Die AL-Kantonsrätin Judith Stofer im Gespräch mit AL-Gemeinderat Moritz Bögli über die Besetzung und Räumung des Kesselhauses, über Besetzungen allgemein und nicht kommerzielle Freiräume für die Kultur.
16. Dezember 2022 — Eingesandter Artikel
Ende Oktober besetzten Aktivist:innen das Kesselhaus, das dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ) gehört und das seit Jahren leer steht. Das grosse alte Werkhaus grenzt direkt an den Limmatkanal beim Letten und hat die Hausnummer Wasserwerkstrasse 101. Bei meinen Spaziergängen auf dem ehemaligen Bahntrassee der früheren Lettenstrecke ist mir die leer stehende Halle immer wieder ins Auge gestochen. Ich stellte mir vor, wie es denn wäre, wenn diese leer stehende, offenbar vom EWZ-Letten nicht mehr benötigte Halle, künftig ein nicht kommerzieller Ort der Kunst wäre – quasi eine Kunsthalle, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Tanzhaus das Kultur- und Quartierleben bereichern würde.
Zupacken ist besser als Träumen
Träumende Politiker:innen sind ja gut und recht, doch zupackende Besetzer:innen kommen weiter. Es überraschte mich darum nicht, als ich von der Besetzung des Kesselhauses erfuhr. Vielmehr: Es freute mich. Endlich, so dachte ich, wird dieses Gebäude, das der Öffentlichkeit gehört und seit Jahren leer steht, wieder mit Leben gefüllt. Allerdings dauerte die Freude nicht lange. Nach nur wenigen Tagen räumte ein Grossaufgebot der Polizei auf Antrag von Stadtrat Michael Baumer das Gebäude. Gemäss Baumer soll es mindestens bis Ende 2027 weiterhin leer stehen beziehungsweise pseudomässig als Lager genutzt werden.
Es wird weiter leer stehen
Im Gemeinderat der Stadt Zürich bedauerten die Alternative Liste (AL) und die Grünen in einer gemeinsamen Fraktionserklärung diese Räumung. Der Stadtrat setze sich über seine eigenen Richtlinien hinweg. So existiere keine Baubewilligung, es sei keine Neunutzung geplant und auch die vorgebrachten Argumente der Sicherheit, des Denkmalschutzes und der Energieversorgung seien schwierig nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz habe der Stadtrat die Halle räumen lassen: «Obwohl er wusste, dass seine eigenen Bedingungen dafür nicht erfüllt sind. Obwohl er wusste, dass sich höchstwahrscheinlich eine Mehrheit dieses Rates für eine unkommerzielle Nutzung der Halle aussprechen wird. Obwohl er wusste, dass die Halle seit Jahren leer steht und vom EWZ nicht benutzt wird. Nun hat der Stadtrat also sein Ziel erreicht: Sie steht nun wieder leer», heisst es in der Erklärung.
Öffentliche Gebäude
«Es ist ein Skandal, dass die Stadt Zürich jahrelang ein Gebäude an bester Lage leer stehen lassen kann, es für nichts genutzt hat und nun so tut, als sei es das wichtigste Gebäude der EWZ gewesen. Das ist einfach nur heuchlerisch», empört sich mein Parteikollege Moritz Bögli, mit dem ich an einem grauen Sonntagnachmittag über die Besetzung, die Räumung und nichtkommerzielle Kulturräume diskutiert habe. Die Halle sei im Nachhinein mit irgendwelchem Material gefüllt worden, einzig damit es nicht noch einmal besetzt werden könne. Moritz Bögli: «Öffentliche Gebäude sollen der Öffentlichkeit dienen. Wenn sie leer stehen, dann erfüllen sie diesen Zweck ganz klar nicht.» In so einem Fall sei es legitim, diese Gebäude zu besetzen. Die Nutzung des Kesselhauses hätte für die Bevölkerung einen grossen Mehrwert schaffen können – dies habe man in der kurzen Zeit gesehen, in der die Besetzer:innen kulturelle und politische Veranstaltungen auf die Beine gestellt hätten.
Nicht kommerzielle Räume
«Bezahlbarer Wohn- und Kulturraum ist ein rares Gut in dieser Stadt», betont Moritz Bögli. Es sei ein politischer Akt, leer stehende Gebäude zu besetzen. Damit mache man die Öffentlichkeit auf das Malaise fehlender Räume für nicht kommerzielle Kultur aufmerksam. Es gehe auch darum aufzuzeigen, was in einer anderen Welt möglich sei. «Nicht alles muss dem Kommerz unterordnet werden», so Moritz Bögli. Als Gemeinschaft bezahlen wir beispielsweise alle ans Opernhaus Zürich, aber nur wenige könnten sich die teuren Eintritte ins Musiktheater leisten. Und ein grosser Teil des öffentlichen Kulturbudgets fliesse in die grossen traditionellen Häuser, die aber nur für wenige Menschen zugänglich seien. «Wir finanzieren die klassisch-bürgerliche Kunst mit Millionen, viele Kulturschaffende, die keine etablierte Kunst machen, erhalten aber nichts. Viele wollen zwar keine staatliche Unterstützung, sie benötigen aber Freiräume und Orte, wo sie unkommerzielle Kunst machen können», erklärt Moritz Bögli. Solche Freiräume müssten immer wieder erkämpft werden. Ein schönes Beispiel für ihn ist die Rote Fabrik. Ohne die Kämpfe der Jugendlichen in den 1980er-Jahren, den Zeiten der Jugendunruhen, gäbe es diesen wertvollen Kultur-Ort nicht.
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