Keine Bomben über Wipkingen

Im zweiten Weltkrieg seien Bomben in Wipkingen gefallen, hört man allenthalben. Auch in einer älteren Ausgabe des «Waidblick» schrieb der Quartierverein, dass in Wipkingen damals Bomben gefallen seien. Höchste Zeit, diese Falschaussage zu korrigieren.

Eine fehlgeleitete Bombe im Zweiten Weltkrieg zerstörte das Haus an der Limmattalstrasse 23.

Im Waidblick-Artikel «Der Bunker von Wipkingen», einem Artikel über die Zivilschutzanlage unter dem Landenbergpark, stand der Satz: «1940 bombardierten die Alliierten Wipkingen sowie Teile Oerlikons. Mit der gezielten Aktion wollten sie möglicherweise die dort gelegene Industrie, die auch Waffen für die Nazis produzierte, zerstören». Dies ist falsch, in Wipkingen fielen keine Bomben.

Schlimmer Advent in Höngg

Arthur August Weixelbaumer verbrachte seinen Lebensabend im Pflegezentrum Käferberg in Wipkingen. 1913 in Rorschach geboren, wuchs er in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater arbeitete als einziger und angeblich letzter Stickereizeichner als Unternehmer. Der Bub Arthur half der Mutter bei ihrer Arbeit als Weissnäherin. Nach dem Abschluss der Sekundarschule trat er eine Lehre als Flugzeugmechaniker bei Dornier an. Viele Jahre später, als Ingenieur in leitender Stellung und an der Seite der frisch angetrauten Frau Alice, schien die Zukunft in Höngg, dem Ort seiner Wünsche, endlich gesichert zu sein. Doch das Schicksalsjahr 1940 wollte es anders: Bekanntlich war dies das Jahr der zweiten allgemeinen Mobilmachung, die am 11. Mai für die Schweiz angeordnet worden war. Das frischgebackene Ehepaar Arthur und Alice Weixelbaumer hatte an der Limmattalstrasse 23 eine Wohnung bezogen. «Es war am 22. Dezember dieses Jahres», beginnt Arthur Weixelbaumer den Rückblick auf den schlimmsten Tag in seinem Leben. «Meine Frau weilte auswärts an ihrer Arbeitsstelle in Biel. Als gelernte Säuglingsschwester hatte sie dort Dienst zu tun. Bei frostiger Kälte von 20 Grad unter null verliess ich das Haus und machte mich zu einem Spaziergang in die Stadt auf, nichts ahnend von dem, was das Schicksal an Unvorhergesehenem für mich bereithielt. Auf dem Heimweg, der mich durch Wipkingen führte, traten mir unvermittelt Luftschutzsoldaten in den Weg, mit der Frage nach meinem Zielort. Dieses Aufgehaltenwerden wiederholte sich in der Folge noch dreimal. Endlich liess man mich in Richtung meines Wohnhauses gehen. Doch was sich dort vor meinen Augen auftat, war ein Bild der Zerstörung: Unser Heim lag in Trümmern – von dem Haus war nichts als ein Schutthaufen übriggeblieben.» Der so vor dem Nichts Stehende wurde nun gleich dazu aufgefordert, Auskunft über mögliche verschüttete Bewohner und deren Wohnungen zu geben. Aus diesem Unglücksort war nichts und niemand mehr zu retten. «Merkwürdig genug blieb es für mich, dass allein mein Velo ganz geblieben war», resümiert Arthur Weixelbaumer. Unterkunft erhielt er fürs Erste bei Bekannten in Höngg, später auch im Elternhaus in Rorschach. Der Schaden an Hab und Gut wurde durch Versicherungszahlungen abzüglich fünf Prozent gedeckt. Jedoch das Wunder der Bewahrung vor jenem Schicksalsschlag kurz vor Weihnachten 1940 schenkte dem Ehepaar Weixelbaumer noch einmal das Leben und stärkte die Verbundenheit zur Wahlheimat Höngg für alle Zeiten.

Bomben im Kreis 5

Die schweizerische Gesandtschaft intervenierte in London. Es sei eine schwere Verletzung der Neutralität vorgefallen. Bereits am nächsten Tag meldeten die Zeitungen, dass die Bomben von Flugzeugen aus England stammten. Auch im Kreis 5 gab es mehrere Einschläge an diesem 22. Dezember 1940, dem letzten Adventssonntag. Jene Sprengbombe an der Limmattalstrasse 23 in Höngg explodierte im Garten vor der Südostecke des Hauses. Die Druckluftwelle riss das Haus auseinander. Eine 65-jährige Frau starb in den Trümmern, mehrere Personen wurden verletzt geborgen. In späteren Jahren ging man davon aus, dass es ein Missverständnis gewesen sei, eine Staffel habe sich verflogen und irgendwo ihre Bombenlast abgeworfen. Nach dem Krieg gingen Gerüchte um, es sei eine Warnung an die Schweiz gewesen wegen der Maschinen- und Waffenindustrie in Oerlikon.
Der Historiker Thomas Bachmann wies 2004 mit Dokumenten nach, woher die Bomben stammten. Das Ziel der Britischen Bomberstaffel war die Motorenfabrik Mannheim. Wegen schlechten Wetters und Wind kamen die Flugzeuge von ihrem Kurs ab. Sie hielten die Fabrik, die sie von oben in der späten Dämmerung sahen, für ein geeignetes Ersatzziel; dass sie über Zürich flogen, realisierten sie nicht. Um 21 Uhr 10 explodierte im Industriequartier eine weitere Sprengbombe im Hof zwischen den Genossenschaftsblöcken an der Josef- und Ottostrasse und dem Eisenbahnviadukt. Scheiben und Türen gingen in Brüche und die Druckwelle riss die Fahrleitung weg. Um 22 Uhr begann die Verdunkelung und um 23 Uhr 20 gab die Sirene Endalarm. Als die Bergungsarbeiten im Gang waren, explodierte eine Zeitzünderbombe, die sich drei Meter in den gefrorenen Boden gebohrt hatte. Diese Bombe riss eine Bresche in die Viaduktbögen. Die Druckwelle warf mehrere Bergungshelfer von der Brücke und von den Leitern und verletzte einige davon schwer. Bei den Bögen sind die Reparaturstellen noch knapp sichtbar anhand der hellen Steine. Es fielen noch einige Brandbomben im Kreis 5, die wenig Schaden anrichteten. Aber einen Treffer in Wipkingen gab es nicht an jenem 22. Dezember 1942.

Quellen: Annabeth Schallenberg, Lebensbilder – Begegnungen im Käferberg, Wibichinga Verlag 2007
Stefan Ineichen, Zürich 1933-1945, Limmatverlag 2009, p 247

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