Kontroverse um Mehrzweckstreifen auf der Nordstrasse

Die Ziele der Stadt Zürich bei der testweisen Einführung des Mehrzweckstreifens waren hoch. Das sogenannte Quartierzentrum Nordbrücke sollte aufgewertet und die Trennwirkung der Nordstrasse vermindert werden. Das ist nicht erreicht worden.

Der Mehrzweckstreifen von oben. (Foto: Luc Gigaud)

Gemäss Stadt Zürich zeigen Mehrzweckstreifen in Thun und Köniz etwa, dass der Verkehr dadurch langsamer und besser fliesst und dies so insgesamt zu mehr Sicherheit führt. Laut den Verantwortlichen sollte das Queren der Nordstrasse für Fussgänger*innen erleichtert werden. Dafür wurden die Fussgängerstreifen entfernt und eine auffällige Bemalung des Bodens angebracht.
Die Bemalung allerdings ist reine Fantasie der Planer und im Strassenverkehrsgesetz so nicht vorgesehen. Sie hat dementsprechend keinen Einfluss auf die rechtlich geltenden Verkehrsvorschriften. Fakt ist: Die Fussgänger*innen haben keinen Vortritt mehr, das Queren erfolgt auf eigenes Risiko. Die Stadt begleitet die Entwicklung, indem sie Verkehrserhebungen durch ein Ingenieurbüro durchführt und das stadteigene «Büro für Sozialraum & Stadtleben» ein Stimmungsbild in der Bevölkerung erstellen lässt.

Widersprüchliche Resultate
Die Resultate der dritten Verkehrserhebung vom Dezember 2022 zeigen nun, dass der motorisierte Individualverkehr (MIV) nicht etwa besser fliesst, sondern vielmehr langsamer und es zudem insgesamt zu mehr Rückstaus kommt. Auch die Busse des öffentlichen Verkehrs benötigen länger für die Durchfahrt. Die VBZ weisen zudem darauf hin, dass es infolge der Nicht-Überholbarkeit stadteinwärts zu Situationen kommen kann, in der ein nachfolgender Bus aufgrund der Belegung nicht in die Haltestelle einfahren kann. Dies führt zu Fahrzeitverlängerungen.
Das Stimmungsbild der Bevölkerung wurde durch Befragung von 30 (!) Personen erstellt. 80 Prozent der Befragten begrüssen es, wenn der temporäre Mehrzweckstreifen nach Abschluss des Versuchs bestehen bleibt. Im Fazit wird dann doch noch festgehalten, dass als Voraussetzung alle Verkehrsteilnehmenden besser informiert werden sollen.
Der Quartierverein Wipkingen führte parallel eine eigene Online-Umfrage durch – mit ganz anderen Resultaten. An ihr nahmen 146 Personen teil. Auf die Frage: «Fühlen Sie sich sicher, wenn Sie die Strasse überqueren?» antworteten 63 Prozent mit Nein. Die Frage: «Wünschen Sie den Rückbau auf den ursprünglichen Zustand mit zwei festen Fussgängerstreifen?» beantworteten 63 Prozent mit Ja.

Besonders Kinder sind gefährdet
Die Nordstrasse wird im betrachteten Abschnitt in den Spitzenstunden am Morgen und Abend stündlich von rund 1000 Fahrzeugen befahren, und rund 800 Fussgänger*innen queren dann die Strasse. Das ist an sich gefährlich und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass es zu Konfliktsituationen kommen kann. Insbesondere für Kinder. Sie sind es auch, die in der Schule lernen, den Fussgängerstreifen zu benutzen. Was nun, wenn kein Streifen mehr da ist?
Es ist auch müssig zu empfehlen, dass die MIV-Nutzer*innen besser informiert werden sollen. Mit ein paar Plakatsäulen am Strassenrand erreicht man keine vorbeifahrenden Autos, Töffs und
Velos. Dazu müsste im Strassenverkehrsgesetz klar geregelt werden, dass das Vortrittsrecht auf Mehrzweckstreifen bei den Fussgänger*innen liegt. Dem ist aber nicht so. Bei Fussgängerstreifen schon.
Liest man die Erhebung der Stadt genau, so stellt man fest, dass die meisten Querungen nach wie vor im Bereich der ehemaligen Fussgängerstreifen stattfinden, dort nämlich, wo jetzt die Schutzinseln in der Mitte der Fahrbahn stehen. Dies ist nicht erstaunlich. Sie bieten nämlich die Sicherheit, die man erwartet.
Während der Beobachtungsphase kam es zu einer kritischen Situation. Ein Velofahrer, der vom Röschibachplatz kommend nach rechts in die Nordstrasse abbog, zwang einen Bus zu einem Notstopp. Diese Situation löst man nicht mit einem Mehrzweckstreifen, sondern mit einem Velostreifen über die Nordbrücke. Diesen fordert der Quartierverein bereits seit 2014.

Ein Artikel von Beni Weder

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