Mit 75 lernte Le Petit Prince noch Züritüütsch

Der gebürtige Wipkinger Heinz Wegmann hat den Klassiker «Le petit Prince» von Antoine de Saint-Exupéry ins «Züritüütsch» übersetzt und Verena Pavoni hat ihn neu illustriert. Darf man das wagen? Und wie geht man dabei vor? Der «Wipkinger» wollte es wissen.

Auf der Terrasse des SAHltimbocca, Verena Pavoni mit einer Originalzeichnung und deren Druck im Buch, Heinz Wegmann mit dem alten Original und seiner züritüütschen Neuerscheinung.

Die Zürcherin Verena Pavoni, die heute in Basel lebt, schrieb und zeichnete 1984 ihr erstes Bilderbuch. Gerade mal 18 Jahre alt, gelang ihr mit «Nicolo und sein grosser Wunsch», Atlantis Kinderbücher bei Pro Juventute, ein Überraschungserfolg. 13 Auflagen und Übersetzungen in zahlreiche Sprachen folgten. «Das Buch bestimmte danach meinen Weg», so Pavoni, sie machte die Matur, ging an die F+F Schule für Kunst und Design in Zürich und hatte laufend Aufträge als freie Illustratorin. Später, als Mutter, arbeitet Pavoni reduziert, doch vor einem Jahr erschien im Atlantis Verlag bei Orell Füssli ihr zweites eigenes Kinderbuch, «Roberta, die Prinzessin in der Krone». Gleichzeitig wurde sie von Heinz Wegmann angefragt, ob sie «De chlii Prinz» illustrieren wolle.

Wegmann ist die ersten zwölf Jahre an der Wibichstrasse in Wipkingen aufgewachsen, unweit des Restaurants SAHltimbocca, wo sich der «Wipkinger» mit den beiden zum Gespräch traf. «Ich bi stolze Stadtzürcher und schwätze glaub es einigermasse rächts Züritüütsch», bringt es Wegmann gleich auf den Punkt. Er ist von Haus aus Lehrer, leitete aber 16 Jahre das Schweizerische Jugendschriftenwerk, wo er zusammen mit dem Höngger François Bär die SJW-Hefte herausgab und auch Verena Pavoni kennenlernte. Dann zog es ihn wieder in die Schulzimmer zurück, doch schrieb und veröffentlichte er immer auch eigene Bücher – und begann mit Übersetzungen in die Mundart. Zum Beispiel Gedichte von Jacques Prévert oder jene von Leonard Cohen.
Doch da war noch dieser «Petit Prince», der ihn schon sein Leben lang zu begleiten schien – «Ich hatte sogar mein erstes Auto, einen Fiat Topolino, auf ‹Le petit prince› getauft und am Heck so angeschrieben», lacht Wegmann, «eine Übersetzung beschäftigte mich schon lange, doch erst 2015 wagte ich mich daran». Unterdessen waren auch die Textrechte frei geworden. Wegmann begann ohne bestimmtes Ziel, «ufs Graatwohl hii», zu übersetzen, direkt aus der vergilbten Originalausgabe, die er auch zum Interviewtermin mitgebracht hat. Dann aber habe sich die einsame Frage, für wen und warum er diese Übersetzung eigentlich mache, immer stärker gestellt. Die Antwort – ein Buch – drängte sich geradezu auf und natürlich die Frage, wer es illustrieren könnte. Ohne zu wissen warum, denn er hatte sie 30 Jahre nicht mehr gesehen, dachte Wegmann sofort an Verena Pavoni und griff zum Telefon. Der eine Anruf genügte.

Darf man das? Kann man das?

«Ich freute mich, wusste sofort wieder, wer da am Telefon war», erinnert sich Pavoni – aber auch daran, wie sie Respekt hatte vor dieser Aufgabe. Wie sollte man sich an eine Neuinterpretation der Originalzeichnungen von Antoine de Saint-Exupéry wagen? Zeichnungen neu erschaffen, die in ihren Ursprüngen unzähligen Menschen ins visuelle Gedächtnis gebrannt sind? Darf man das überhaupt? «Ich schaute mich im Internet um und sah, dass es unzählige neue Versionen des kleinen Prinzen gibt, das befreite mich, machte mir Mut».
Ebenso mutig wählte sie eine für sie ganz neue Technik, bei der schwarze und weisse Ölkreide mehrschichtig auf ein Papier aufgetragen und dann mit einer Nadel die eigentliche Zeichnung herausgekratzt wird. «Damit überlistete ich mich gewissermassen selbst und die Zeichnungen gerieten in jener leichten Unbeholfenheit, jenem Charme, der auch Saint-Exupérys Originale ausmachen».
Also las sie Wegmanns züritüütschen Text und machte erste grobe Zeichnungen. «Gewisse Motive waren gesetzt, weil sie im Text so erwähnt werden, doch zu anderen liess ich mich einfach inspirieren. Es stand mir ja eigentlich alles offen», so Pavoni, «doch von dieser Stimmung, diesem ‹Figürchen› des Prinzen wollte und konnte ich mich dann doch nicht zu weit entfernen: Bei Saint-Exupéry hat der Prinz blonde Haare und er beschreibt ihn auch so, also sollte auch mein kleiner Prinz ähnlich aussehen».

Konzessionen an die Lesbarkeit

Während andere bereits Mühe bekunden, eine in Mundart verfasste sms zu lesen, war für die Illustratorin das ganze Buch kein Problem, im Gegenteil, sehr spannend sei das gewesen. Das sei auch eine Übungssache, und der Autor pflichtet ihr da bei. Doch bei aller Übung, die er hat, auch für ihn war bei dieser Übersetzung einiges neu: «Die sehr poetische Geschichte, die einfache Sprache Saint-Exupérys in ein Züritüütsch zu überführen, ohne dass es kindlich klingt oder zu modischem Slang verkommt, das war herausfordernder als andere meiner Übersetzungen». Geschriebene Mundart ist immer ein Spagat.
So erklärt Wegmann, warum er gewisse, heute sehr gängige Wörter mied. Ausdrücke wie mega, geil oder cool zum Beispiel: Weil er kein modisch-aktuelles Züritüütsch verwenden wollte, aber auch kein altertümliches, nein, zeitlos sollte es sein. Wegmann plädiert für einen Dialekt mit einem Wortschatz, der sich der Zeit anpasst, ohne dabei seine Wurzeln zu verleugnen: «Ein Dialekt lebt, ich schreibe wie ich rede und lebe», sagt er schlicht.
Auch bei der Rechtschreibung ging er Kompromisse ein, nahm jedoch das Wörterbuch von Weber/Bächtold zuweilen als Referenzwert. Er erklärt: «Zum Beispiel das ‹ä› im zürichdeutschen Wort ‹zèhme›, für ‹zähmen›, ist ein anderer Laut als jener in der Zahl ‹sächs›. Also schreibe ich das auch so – doch sonst richtete ich mich nach einer guten Lesbarkeit und ‹missachtete› die Schreibweise nach Weber/Bächtold ab und zu». So schrieb er zum Beispiel «eifach» anstatt «äifach» oder «Bsuech» statt «Psuech» für Besuch.

Dem Klassiker treu geblieben

Die Reaktionen auf das Buch geben dem Übersetzter wie der Illustratorin Recht. Pavoni erzählt, dass es gut angekommen sei, dass man nicht beim ursprünglich geplanten Schwarz-Weiss geblieben sei, sondern François Baer noch diskrete Kollorationen angebracht habe: «Die Farben lehnen sich in ihrer Stimmung sehr schön an die Originalausgabe an». Und Wegmann erzählt, wie er oft höre, dass jemand das Buch gerade weil es nun auf Züritüütsch erschienen sei, nochmals neu gelesen und auch den Enkelkindern die Geschichte erzählt habe. Das Zielpublikum des Klassikers ist also auch im Dialekt unverändert: «Viele Ebenen, zum Beispiel alles was sich um das Planetensystem und die Asteroiden dreht, die verstehen Kinder sehr gut. Andere, tief-philosophische Passagen sprechen mehr die Erwachsenen an. Doch die Beziehung zwischen dem kleinen Prinzen und dem Fuchs, ‹wie nähert man sich an?›, ‹was ist Freundschaft?›, das finden auch heutige Kinder sehr spannend».
Ja, so isch de chlii Prinz schlussäntli uf Züritüütsch glandet. Exakt 75 Jahre nach seiner Ersterscheinung 1943. Und sein ursprünglicher Schöpfer, der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry war, sozusagen beim zürichdeutschen Landeanflug, allgegenwärtig, obwohl er selber am 31. Juli 1944 von einem Aufklärungsflug in Richtung Grenoble nicht mehr zurückgekommen war. «Er war für mich immer präsent», sagt Heinz Wegmann, «ich fragte mich oft, was er von meiner Übersetzung, die immer auch leise Interpretation ist, halten würde?» und Verena Pavoni ging es ganz ähnlich, während sie ihre Nadelstriche in die Ölkreide ritzte.

Vormerken: Zweisprachige Lesung
Samstag, den 27. Oktober, 17 Uhr, in der Röslischüür, Röslistrasse 9, 8006 Zürich, Lesung Französisch/Züritüütsch aus «De chlii Prinz», musikalisch begleitet von Levin Deger (Gitarre).

«De Chlii Prinz»
Antoine de Saint-Exupéry
Züritüütsch von Heinz Wegmann
Bilder von Verena Pavoni
88 Seiten
edition apropos, Uerikon, 2018
ISBN 978-3-906080-76-5
edition apropos (Ürikon)
38 Franken im Buchhandel oder direkt bei Heinz Wegmann über info@heinzwegmann.ch
www.heinzwegmann.ch

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