«Mit euch in Höngg pressierts noch nicht!»

Wie sich die Wipkinger damals ihre neue Tramlinie von den Hönggern bezahlen liessen, ist ein Schelmenstück erster Güte.

Das Tram auf der Nordbrücke 1908.

Die Nachbarsgemeinde Höngg verlangte schon in den 1870er Jahren eine Eisenbahnlinie rechts der Limmat. Dies kam aus topografischen Gründen nicht infrage. Sämtliche Gleise lagen immer auf der anderen Flussseite: von den alten Römerstrassen bis zur Spanisch-Brötli-Bahn. Nur die klapprige Post-Chaise ruckelte zweimal pro Tag durch Höngg.
Auch die neue Brücke führte 1872 nicht am äusseren Ende Aussersihls über die Limmat, sondern beim Restaurant «Anker». Paul und Maria Wunderli, die Erbauer des Wunderliguts, verhandelten um 1880 mit der Stadt Zürich über eine Trambahn vom Bucheggplatz zur Waid. Sie planten ein von Pferden gezogenes «Schienentram», also ein Schienen-Kutschenbetrieb unter der Leitung der Zürcher Pferdebahn. Paul Wunderli und seine Frau starben jedoch an Typhus, und da sich kein Nachfolger fand, blieben die Pläne liegen.
Ingenieur Kuhn, einer der späteren Erbauer des Hönggertrams, projektierte eine «Trambahn» vom Milchbuck zur Waid. Der Schienenweg hätte ungefähr ab Bucheggplatz den Verlauf der Oberen Waidstrasse genommen. Die Stadt verfolgte die Pläne nicht weiter.
In die Zeit um 1890, in einer Zeit des Wirtschaftsaufschwungs, fiel der Vorschlag einer Seilbahn vom Escher-Wyss-Platz hoch zur Waid. Der Antrieb der Seilbahn war mit Quellwasser-Tanks geplant. Das Projekt scheiterte an der Finanzierung.

Vorwärts machen!

Damals führte die Tramstrecke der «AG Industriequartier-Strassenbahn» ennet der Limmat bis zum Escher-Wyss-Platz. Die Höngger wurden ungeduldig, als es auch nach der Eingemeindung Wipkingens in die Stadt 1893 nicht vorwärtsging. Auf ihre Tramlinie warteten sie immer noch. An einer Wipkinger Abendveranstaltung trug ein Coupletsänger den Spottvers vor:

«In Höngg da wartet man aufs Tram,
dass man nach Zürich fahren kann.
Doch der Gemeind’rat weise spricht:
Mit euch in Höngg pressiert’s noch nicht!»

Erst spät nach der Stadtvereinigung ging es vorwärts; die Stadt wollte die neuen Gebiete erschlossen haben. In Wipkingen war eine Tramlinie im oberen Teil wegen des Eisenbahneinschnitts undenkbar. Es blieb nur die Wipkingerbrücke. Die Höngger gründeten ein Initiativkomitee und reichten ein Konzessionsgesuch ein für Bau und Betrieb einer elektrischen Strassenbahn von Zürich 3 nach Höngg. Die geplante Verkehrsführung nahm Anschluss an die bereits konzessionierte Industriequartier-Strassenbahn vom Hauptbahnhof zur Hard. 1896 erhielten sie die Konzession, und die neue Aktiengesellschaft «Electrische Strassenbahn Zürich-Höngg» zeichnete das Kapital. Wipkingen beteiligte sich nicht an der Gesellschaft, die Gemeinde Höngg hingegen mit 36’000 Franken oder zwölf Prozent. Die Strecke führte von der bestehenden Linie im Industriequartier aus über die Wipkingerbrücke nach Höngg. Die Linie hatte eine Länge von 3,12 Kilometer bei einer Spurweite von einem Meter und begann am Neumühlehof, heute Escher-Wyss-Platz. Über die Wipkingerbrücke führte ein provisorischer Steg, da die bestehende Brücke zu schmal war und zu wenig Tragkraft hatte. Die Gleise führten ums alte Kirchlein herum, am Kehlhof vorbei, die Hönggerstrasse hoch und ab dem Grenzstein auf Höngger Boden bis zur Wartau. Die Steigung betrug flotte 30 Promille, an der steilsten Stelle sogar 60 Promille. Eine Ausweichstelle gab es in Wipkingen nur beim Pfarrhaus.
Bei der Jungfernfahrt am 22. August 1898 ging der Chefmonteur gar forsch zur Sache, sodass der Wagen zweimal entgleiste. Die geladenen Gäste mitsamt Töchterchor wurden geschüttelt, aber es passierte nichts, und sie lupften das Tram selbst wieder in die Schienen. Die offizielle Einweihungsfeier der neuen Tramlinie war am 30. August 1898, mit Volksfest und einem Festspiel geschrieben, vom Wipkinger Lehrer Weber.
Der Strom der neuen Tramlinie kam aus dem Lettenwerk. Vier Motorwagen aus Neuhausen mit einem Gewicht von je acht Tonnen, ausgerüstet mit je zwei Motoren der Oerlikon-Bührle, befuhren die Hönggerlinie. Die gelb bemalten Wagen hatten 16 Sitzplätze und 15 Stehplätze. Die Maximalgeschwindigkeit betrug 18 Stundenkilometer.

Guter Schnitt

Die Wipkinger hatten wieder einmal einen guten Schnitt gemacht. Die neue Linie kostete sie keinen Rappen. Die Kosten für die Brückenerweiterung trugen die Stadt und die Tram-Betreiber. Die bauernschlauen Wipkinger hatten sich das Maximum geholt.
Die Linienführung über die Wipkingerbrücke bot eine direkte Tramverbindung zum Hauptbahnhof. Der Fahrplan war von Beginn an dicht, werktags alle 24 Minuten, sonntags und feiertags alle zwölf Minuten. Das Personal war in den ersten Jahren von der Industriequartier-Strassenbahn angestellt. Ab 1900 gingen die Betriebsverträge an die Höngger Gesellschaft über, ebenso der Unterhalt der Wagenremise Wartau und eine zusätzliche Reparaturwerkstatt. Teuer war der Bau von weiteren Ausweichstrecken und zwei zusätzlichen Wagen. Auch im sechsten Betriebsjahr erhielten die Höngger Aktienbesitzer keine Dividende. 1903 konnte der Tramsteg über die Limmat den Verkehr nicht mehr bewältigen und die Stadt verbreiterte die Brücke. Die Tramgesellschaft Höngg musste 30’000 Franken an die Wipkingerbrücke zahlen. Für den Eisensteg erhielt sie nur den Schrottwert von 2’000 Franken.

Auf den Geschmack gekommen

Die Wipkinger ihrerseits waren auf den Geschmack gekommen. Die direkte Verbindung zum Bahnhof war praktisch, und sie benutzten sie rege. Man intervenierte bei der Stadt und zeigte den Bedarf für den Quartierteil um die Nordbrücke. Tatsächlich hatte die Stadt Gehör dafür. 1906 kaufte die Stadt die Industriestrassenbahn, es gab ein Konzept für eine neue Linie, und bereits im Folgejahr begann der Schienenbau an der Röschibachstrasse. 1909 eröffnete die Städtische Strassenbahn den Betrieb. Werktags ratterten die elektrischen Motorwagen alle 18 bis 25 Minuten, am Sonntagnachmittag alle zehn Minuten zur Nordbrücke hoch. Die Höngger Strassenbahngesellschaft verkaufte ohne Gewinn das Teilstück Escher-Wyss-Platz bis Kehlhof an die Stadt, also den Teil auf Wipkinger Gebiet. Den Hönggern blieb nur das kurze Stück ab dem Grenzstein bis zur Wartau. Mit dieser kurzen Strecke liess sich der Betrieb nicht finanzieren, geschweige denn die Investitionen amortisieren. Die Höngger verzeichneten erneut einen Buchverlust von 46’000 Franken, als sie den Wipkinger Streckenteil 1913 definitiv an die städtische Strassenbahn abtreten mussten. Es war ihnen das typische Schicksal der damaligen privaten Eisenbahnpioniere beschieden: Der unvermeidliche Konkurs mit Liquidation folgte 1923. Das Hönggertram war eine Erfolgsgeschichte und eine technische Meisterleistung, aber finanziell ein Desaster. Die Höngger bezahlten kräftig für ihr Tram, aber Dividende gab es in 27 Jahren nur zweimal. Die bauernschlauen Wipkinger dagegen kamen gratis zu einem Anschluss an den Hauptbahnhof: Die Stadt bezahlte den Betrieb, die Abschreibungen machten die Höngger – und das Tram fuhr in Wipkingen.

(Quelle: Walter Frei, Strassenbahn Zürich–Höngg. Frei war 1897–1923 Sekretär der «Actiengesellschaft Strassenbahn Zürich–Höngg».)

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