Nenn mir Deine Vorurteile

Im Rahmen der nationalen Flüchtlingstage plant das GZ Wipkingen im Juni diverse Veranstaltungen. Eine davon ist die Kunstinstallation von Selina Lauener und Sonja Koch, das «Vorurteils-Orakel».

Sonja Koch und Selina Lauener haben das Vorurteils-Orakel entwickelt.

«Blondinen sind dumm» und «Künstler*innen leben chaotisch». Nur zwei alberne Vorurteile? Sicherlich. Doch Vorurteile sind nicht nur oberflächlich und pauschalisierend, sondern auch allgegenwärtig und oft nur sehr schwer abzubauen. Gefährlich werden sie, wenn Menschen dadurch diskriminiert und ausgegrenzt werden. Die Kunstvermittlerin Selina Lauener und die Ausstellungsgestalterin Sonja Koch haben die Problematik zum Anlass genommen, sich auf künstlerische Weise damit auseinanderzusetzen. Dazu haben sie das «Vorurteils-Orakel» entwickelt, eine interaktive Kunstinstallation.

Jedem sein persönliches Vorurteil

«Das Orakel muss man sich wie ein dreidimensionales T vorstellen, das aus Holzwänden zusammengesetzt ist», erklären die beiden Künstlerinnen. «Die Besucher*innen durchlaufen mehrere Stationen: Sie beginnen mit einem spielerischen Einstieg – dem Vorurteilsgenerator, gefolgt von einer kleinen Ausstellung sowie Gesprächen mit den Menschen vor Ort.»
Der «Vorurteilsgenerator» ist das Herz des Orakels: ein kleiner Computer, an dem die Besucher* innen ihr ganz persönliches, auf sie zugeschnittenes Vorurteil erhalten. Dazu geben sie ein Merkmal über sich ein, etwa «Ich bin blauäugig» und erhalten daraufhin ein von der Maschine völlig willkürlich erzeugtes Vorurteil, ausgedruckt auf Papier. Am nächsten Punkt können sie sich überlegen, wie sie damit umgehen möchten. Sollen sie sich nerven, es an einen Nagel hängen oder einfach wegwerfen? Schliesslich diskutieren die Initiantinnen gemeinsam mit den Besucher*innen in einem dritten Schritt über den Umgang mit Vorurteilen und suchen nach Lösungen. Die so entstandenen Gedanken werden notiert, an der Gedankenwand aufgehängt und führen so dazu, dass das Orakel fortlaufend erweitert wird.

Die interaktive Kunstinstallation lädt zum Nachdenken und Diskutieren über Vorurteile ein. Visualisierung des Orakels für den Standort Zürich.

Die interaktive Kunstinstallation lädt zum Nachdenken und Diskutieren über Vorurteile ein. Visualisierung des Orakels für den Standort Zürich.

 

 

Schubladendenken hinterfragen

Das Ziel der Installation sei es, so die beiden, auf kreative und humorvolle Art zum Nachdenken anzuregen. «Wir haben gemerkt, dass wir bei der Auseinandersetzung mit Rassismus an der Basis der Diskriminierung ansetzen müssen», erklärt Sonja ihre Beweggründe. «Vorurteile sind die Bilder, die man über bestimmte Personengruppen bereits im Kopf hat, bevor man überhaupt miteinander ins Gespräch kommt. Sie werden uns oft über Generationen überliefert und unhinterfragt weitergegeben.» Diese Pauschalisierungen und Schubladisierungen seien etwas sehr Menschliches, führen die beiden aus, in einer komplexen Umwelt tendiere der Mensch zu Vereinfachungen. «Es ist sehr schwer, diese allgegenwärtigen Denkmuster aus der Welt zu schaffen. Sich ihrer Existenz und Funktionsweisen bewusst zu werden und deren Absurdität zu verdeutlichen, kann ein erster Schritt für ihren Abbau sein.»

Kunst als Dialog

Beruflich haben die beiden einen ähnlichen, aber doch unterschiedlichen Background: Während Lauener in Bern an der Hochschule der Künste das Studium der Kunstvermittlung absolvierte und während eines Semesters Exhibition Design in Düsseldorf studierte, ist Kochs Hintergrund architektonischer Natur. Sie hat in Basel Innenarchitektur und Szenographie studiert und schliesslich einen Master in Exhibition Design abgelegt – ebenfalls in Düsseldorf. Der dortige Professor, der beide während ihres Studiums betreut hatte, war es denn auch, der den Kontakt zueinander vermittelte, weil er feststellte, dass die beiden in ihrer Arbeit ganz ähnliche Schwerpunkte haben. «Wir sind eine Ausstellungsgestalterin und eine Kulturvermittlerin mit grossem Interesse für soziale Themen», erklären die beiden. Bei ihrer Arbeit, sagt Lauener, gehe es ihr darum, neue Ansätze für partizipative Kunstprojekte zu entwickeln, mit dem Ziel, Menschen zum Denken anzuregen und diese Gedanken auch sichtbar zu machen. Mit Rassismus und Diskriminierung hat sie sich bereits in ihrem letzten Projekt «Ich und das Andere» auseinandergesetzt – einem Kunstprojekt, aus dem schliesslich ein Lehrmittel für die Oberstufe entstanden ist. Auch Kochs Ziel ist es, gesellschaftsrelevante Themen im öffentlichen Raum zu präsentieren und zu diskutieren. Sie hat vor dem Orakel bereits Kunstinstallationen zu den Themen Flucht und Diskriminierung sowie Rassismus angefertigt.

«Auf den zweiten Blick»

Das Orakel ist nun ihr erstes gemeinsames Projekt und wird in diesem Frühling das erste Mal zu sehen sein. Vier Standorte sind für den Sommer bereits gebucht, in Bern, Zürich, Winterthur und Basel. Im Juni wird es für eine Woche im GZ Wipkingen zu Gast sein: Vom 13. bis zum 19. Juni führt das GZ im Rahmen der nationalen Flüchtlingstage gemeinsam mit seinem Zweigbetrieb, dem Begegnungsraum im Bundesasylzentrum unter dem Titel «Auf den zweiten Blick» Thementage zu Flucht, Vorurteilen und Gemeinsamkeiten durch. Das Orakel wird fester Bestandteil der Thementage sein und sich hier spezifisch auch den Menschen widmen, die im Bundesasylzentrum leben.

VORURTEILE GESUCHT
Bis das Orakel seine Arbeit aufnehmen kann, sind allerdings noch möglichst viele Vorurteile gesucht. Im GZ Wipkingen steht zu diesem Zweck eine Sammelbox bereit, in der jede*r seine Vorurteile deponieren kann. Auch über die Website des Projekts können Inputs gegeben werden. Die beiden Organisatorinnen sammeln diese, schneiden die Sätze auseinander und füttern damit den Generator, welcher dann frisch-fröhlich für jede*n Besucher* in ein neues Vorurteil kreiert.

0 Kommentare


Themen entdecken