Damals
Planerträume
Wipkingen ist das Quartier der Zurückhaltung. Grosse Würfe sind selten gut herausgekommen. Die «Wipkinger-Zeitung» stellt einige Planerträume vor. Sieht man sich die Visionen aus vergangenen Zeiten an, versteht man besser, warum die Widerstände in Wipkingen manchmal brachial sind.
26. September 2018 — Martin Bürlimann
1906 planten der Financier Jul. Escher und die Architekten A. Welti-Herzog und Sohn ein Kurhaus auf der Waid. Das Waidgut stand leer, Paul Wunderli und seine Frau Maria waren 1885 gestorben. Es gab viele Pläne und Träume, aber niemand konnte das grosse Landgut übernehmen. In einem Prospekt stellte die Bauherrschaft ihr Projekt vor. Sie wollten ein grosses Kurhaus mit Restaurant für Einheimische und Tagesausflügler erstellen. Im Souterrain wäre die Bierschenke mit Kegelbahn gewesen sowie Abstellräume für Automobile und Kinderwagen, nebst Weinkeller. Vier Meter über Strassenniveau läge das Restaurant für 250 Personen und ein Terrassenrestaurant für 1’200 Gäste. Dann ein Speisesaal mit Office und Küche, und die oberen Etagen für Gästezimmer mit Balkonen für Luft- und Sonnenbäder. Auf dem Dachboden schliesslich noch eine Terrasse mit grossen Balkonen. Skandalös war in den Augen der Bevölkerung die Balkonanlage: Pikant war, dass die Zimmer teils über die Balkone miteinander verbunden gewesen wären. Das Projekt enthielt auch ein Konzessionsgesuch für eine erweiterte Tramlinie der Zürich-Oerlikon-Seebach-Linie, abzweigend von der Haltestelle Milchbuck über Guggach bis zur Waid führend. Nebst dem Hotel wäre ein Tennisplatz gebaut worden und im Wald ein 50 Meter hoher Aussichtsturm mit Elevator und drehbarem Scheinwerfer, alles elektrisch beleuchtet. Die Anlage hätte ein eigenes Wasserreservoir erhalten. Später wären dann noch bis zu 50 Chalets hinzugekommen. Die Bauherren budgetierten knapp 9’500 Kurgäste pro Jahr. Die Gesamtkosten des Projektes hätten gut eine Million Franken betragen, damals eine ungeheure Summe. Aus dem Projekt wurde nichts. Der Skandal um die Balkone und die exorbitanten Kosten verhinderten dies. Die Stadt Zürich kaufte 1907 das Waidgut und plante den Bau eines Spitals. Heute bedecken Waidspital und Krankenheim Käferberg die Gegend des ehemaligen «Wunderliguts». Auf dem Platz des geplanten Kurhauses steht heute das Restaurant «Die Waid».
70er-Jahre: Waidburg in Orange
An der Oberen Waidstrasse 17 beim Weihersteig, erbaut 1906, war bis 1980 das Restaurant Waidburg gelegen. In den 1970er Jahren sollte die Waidburg einem Ausflugsrestaurant weichen. Wirt Léon Dobler renovierte Ende der 1960er Jahre das Innere des Restaurants. Die Stadt hatte 1959 die Liegenschaft gekauft. 1961 wurde der Hotelkette Eurotel ein Baurechtsvertrag in Aussicht gestellt. 1969 bewilligte der Stadtrat ein Projekt für ein riesiges Hotel am Oberen Weiher mit 265 Betten, Hallenbad und Konferenzräumen. Im Juli 1970 überreichte der Quartierverein eine Motion, die verlangte, dass man anstelle des projektierten Luxushotels das Restaurant auch äusserlich renovieren und als Gartenrestaurant weiterführen soll. Quartiervereinspräsident Hans Keller betonte, dass der Hotelkomplex zu gross sei und die Fussgängerpromenade Wipkingens beeinträchtige.
Erst 1978 setzte sich im Gemeinderat die Meinung durch, dass ein grosses Ausflugsrestaurant nicht dem Bedürfnis der Quartierbevölkerung entspreche. Das Eurotel war vom Tisch. Es folgte das Projekt Dahinden – ein Restaurant mit buntem Zeltdach und 90 Sitzplätzen, kreisrund angeordnet um den Kamin, der das Dach tragen sollte. Zementröhren sollten das Gebäude abstützen. «Ein fester Punkt, der als Krone einen leichten, luftigen und frohen Farbfleck trägt», schwärmte der Architekt. Die Wipkinger befürchteten viel orange, der 1970er-Jahre-Trendfarbe. Die Sache wurde gedeichselt: Im Sommer 1979 übernahm eine Privatperson die Liegenschaft im Baurecht. Ende Februar 1980 wurde das Restaurant geschlossen. Heute befinden sich in der Waidburg drei schöne Privatwohnungen.
Eine Serpentine um Guthirt
Bei der Planung der Kirche Guthirt kamen aus katholischen Kreisen Vorschläge zur Verkehrsführung. Eine neue Strasse sollte den wachsenden Verkehr auffangen und um die neue Kirche herum führen. Der Architekt K. Moser zeigte 1922 seine «Studie zur Schulanlage und kath. Kirche in Wipkingen». Die Hauptrichtung hätte von Ost nach West geführt. Von der Nordbrücke wäre eine neue Strasse diagonal durch die noch unbebauten Wiesen zur Rosengartenstrasse gezogen worden. Die Planung sah gleichzeitig hinter dem Schulhaus Nordstrasse eine grosse Turnhalle und mehrere Spielplätze vor. Diese neue Strasse wäre gleichzeitig eine Nord-Süd-Achse geworden mit der Verkehrsführung durch die Röschibachstrasse hinunter via damalige Dorfstrasse zur Wipkingerbrücke. Dies wäre eine Art Serpentine um die 1923 erbaute Guthirt-Kirche geworden. Die Rosengartenstrasse wäre nicht verbreitert worden, und das Gärtnerquartier stünde heute noch. Dafür gäbe es keine Uhlandstrasse, Geibelstrasse und Guthirtstrasse.
Der grösste Kreisel der Welt
1964, auf dem Höhepunkt des Verkehrsplanungsbooms der 1960er Jahre, tauchte ein Projekt des Stadtrates auf, mit dem man die Verkehrsverhältnisse in Wipkingen ein für allemal bereinigen wollte. Rund 250 Meter unterhalb des Escher-Wyss-Platzes, beim heutigen Wipkingerplatz, sollte eine zweite Brücke hinkommen. Der Verkehr wäre zwischen den beiden Brücken auf beiden Flussseiten in Kreiselform zirkuliert. Dieser Verkehrskreisel hätte einen Durchmesser von einem Kilometer gehabt und wäre heute wohl im Guinness-Buch der Rekorde verzeichnet.
Eine Autobrücke über die Lettenbadi
Die Eisenbahnbrücke bei der Lettenbadi bildet heute eine beliebte Fussgängerpassage in den Kreis 5. Einst sollte sie in eine Autobrücke umgebaut werden. Zur Entlastung der Westtangente schlugen Verkehrsplaner eine Autoverbindung Milchbucktunnel/Lettenbrücke/Escher-Wyss-Platz vor. Damit wäre die stillgelegte Eisenbahnbrücke ein Zubringer für die N1 geworden. Der Autoverkehr wäre flüssig vom Milchbucktunnel über die Lettenbrücke zum Sihlquai und via Escher-Wyss auf die Autobahn Bern–Basel geführt worden, hiess es im Vorschlag. Als Kompensation wäre die Rosengartenstrasse auf zwei Spuren reduziert worden. Das Projekt versandete wie die meisten Vorschläge zur Rosengartenstrasse.
Tunnelpläne ohne Ende
Der Wipkinger Dauerbrenner ist die Rosengartenstrasse. Ein erster, ernstgemeinter Vorschlag kam in den 1920er Jahren auf: Eine Standseilbahn, angetrieben mit Wassertanks, gespiesen von der Käferbergquelle, sollte Fuhrwerke, Lasten, Ochsen, Pferde und Personen von alten Dorfkern zur Buchegg hochtragen. Achtzig Jahre später: Der Waidhaldetunnel sollte an der Rosengartenstrasse eine Linderung der Immissionen herbeiführen. Der ursprünglich geplante Waidhaldetunnel sollte vom Bucheggplatz unter der Limmat durchführen und beim Toni-Knoten in die Pfingstweidstrasse münden. Die meisten Wipkinger Vereine, politischen Parteien und viele Einzelpersonen traten dem «Komitee pro Waidhaldetunnel» bei. 2005 tauchte eine neue Variante des Waidhaldetunnels auf, die «Variante kurz». Der Tunnel unter der Limmat durch («Variante lang») war wegen des Grundwassers nicht realisierbar. Die kurze Variante erstreckte sich vom Bucheggplatz zum bestehenden Hardturm-Bahnviadukt. Unterhalb der Brücke sollte eine zweite Ebene eingebaut werden, welche die Strasse bis zur Duttweiler-Brücke hinübergeführt hätte. Die Autostrasse wäre eingekapselt und gemäss Plan lautlos gewesen. Die Begeisterung im Quartier sank.
Quelle: Martin Bürlimann, Kurt Gammeter: Wipkingen – Vom Dorf zum Quartier, Wibichinga Verlag, 2006.
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