Samtpfotig und scharfkrallig

Bestimmt sind wir uns im GZ Wipkingen schon mal begegnet. Vielleicht hast du mich gestreichelt und ich habe geschnurrt? Weil immer alle fragen, was ich den lieben langen Tag so treibe, darfst du mich heute begleiten.

Lolek in the box

Der Tag bricht an, gemütlich liege ich in meiner mit Papierknäueln gefüllten Lieblings-Kartonschachtel oben im Büro und strecke mich genüsslich. Da müsste bald mal jemand kommen, ich spitze die Ohren. Nichts. Ich drehe mich auf die andere Seite und gähne herzhaft. Eigentlich kann ich mich gleich mal vorstellen, habe eh nichts Besseres zu tun. Ich bin der wunderschöne, schwarz-weisse Kater mit den stahlgrauen Augen, scharfkralliger Schmusekater von Beruf. My Name is Lolek, Old Boy Lolek. Berühmt und berüchtigt im ganzen Quartier bei Katzen, Katern, Mäusen und allem, was da sonst noch so kreucht und fleucht. Als junger Bursche kam ich vor zwölf Jahren zusammen mit meinem Bruder Bolek ins GZ Wipkingen. Meinem Bruderherz hat es nicht so gefallen hier, zu viel Trubel. Er hat sich ein neues Daheim gesucht und ist leider unterdessen verstorben. Ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum er ausgezogen ist, ich finde es super hier.

9 Uhr, Begrüssung ist Chefsache

Ein Schlüssel wird ins Schloss gesteckt, die Tür öffnet sich. Es ist der Guyer, einer der Chefshier. Also nicht mein Chef, sondern der der Menschen. Ich stehe auf und gehe ihm schnurrend entgegen, wie immer streichelt er mich. Als er seinen Computer hochfährt, setze ich mich auf seinen Arbeitstisch vor den Bildschirm. Er weiss, dass ich da erst wieder weggehe, wenn er mich zu meinem Fressplatz im oberen Stock begleitet. Genau das tut er. Er knuddelt mich noch einmal kräftig, bevor er in seinem Büro verschwindet und dummerweise die Tür schliesst. Zum Glück kommt bereits die Schwendener, die andere Chefin. Sie hat ihren Arbeitsplatz hier bei mir oben. Vor ihr stürmt ihre Hündin Finja die Treppe hoch. Respektive, sie will hochstürmen. Denn da sitze ich und fixiere sie mit meinem Old-Boy-Lolek-Blick. Wie immer traut sie sich nicht an mir vorbei. Nun gut, ich bin heute mal nett, gebe den Weg frei, springe auf den Bürotisch der Schwendener und setze mich auf ihre Tastatur.Als sie versucht, mich auf die Seite zu schieben, beginne ich mit meinem herzzerreissensten Miauen. Futter muss her. Dummerweise funktioniert das bei ihr fast nie. Ich muss auch heute warten, bis jemand vom Kinderbauernhof kommt und mir frisches Trockenfutter in den Napf füllt. Wobei der Napf eh immer gut gefüllt ist, ich aber das Trockenfutter nicht besonders mag und lieber warte, bis es am Abend Nassfutter gibt. Ich setze meine Morgenroutine fort und begebe mich ins andere Gebäude, ins Kafi Tintenfisch. Dort lasse ich mich von der Trindade hinter den Ohren kraulen.

10 Uhr, Willkommensgeschenk

Die GZ Leute haben eine neue Mitarbeiterin, Julie. Sie war mir auf Anhieb sympathisch und ich entscheide mich, ihr mit einem Willkommens-Geschenk eine kleine Freude zu bereiten. Also begebe ich mich auf die Pirsch. Die alte Amsel verschmähe ich, die sieht bereits jetzt zerzaust aus. Aber die kleine Maus, genau richtig. Ein kleines Mäuschen für die süsse Maus, he he. Gesagt, getan. Ich lege Julie die tote Maus fein säuberlich drapiert vor ihren Bürostuhl. Aber sie lässt auf sich warten. Ob sie noch an eine Sitzung musste? Oder gar krank ist? Lange Warterei zermürbt und ich kann dem Anblick des kleinen Festschmauses nicht mehr widerstehen. Vorsichtig knabbere ich die Maus an. Nur ein wenig… Da, endlich kommt Julie die Treppe herauf. Ich freue mich wie ein kleiner Bürstenbesen. Aber nein, sie fällt nicht etwa vor mir auf die Knie oder gibt wenigstens ein entzücktes «huch» von sich. Sie dreht angewidert das Gesicht auf die Seite. Ich zottle davon, leicht verärgert. Es ist immer dasselbe, ich kann bringen, was ich will, meine Menschen bedanken sich nie. Ich verziehe mich in meine Kartonschachtel und halte ein Nickerchen.

11 Uhr, rote Kratzer

Ich erwache, weil da fremde Leute sind, die offenbar das Kopiergerät warten. Der junge Mann entdeckt mich, kommt schnurstracks zu mir rüber und streichelt mir mit einem Lächeln im Gesicht über den Rücken. Grrrrr,weiss doch jeder, dass ich das nicht mag. Blitzschnell tue ich meinen Unmut kund und hinterlasse mit meinen scharfen Krallen rote Kratzer auf seiner Hand. Nun lächelt er nicht mehr. Ich mache mich aus dem Staub und lege mich unten im Atelier in die Kiste mit dem Material zur Herstellung von Weihnachtskränzen. Das ist zwar nicht ganz so bequem wie die Kartonschachtel oben, aber jemand scheint diese Kiste extra für mich bereitgestellt zu haben.

15 Uhr, Impftermin

Irgendetwas liegt im Busch, ich spüre es in meinen Schnauzhaaren. Die Obrist – das ist die, die bei uns im GZ zu den Tieren schaut – hat mich im Büro eingesperrt, das tut sie sonst nie. Also, fast nie. Und immer, wenn sie mich einsperrt, folgt irgendwas Unangenehmes. Vor einer Woche hat sie mir eine Entwurmungstablette in den Rachen gesteckt. Früher habe ich diese Tabletten immer wieder ausgespuckt und sie ist fast verzweifelt, aber mittlerweile ist da nichts mehr zu machen. Sie weiss, wie sie das anstellen muss, damit mir nichts anderes übrigbleibt, als die Tablette zu schlucken. Sie kommt gerade mit einer Transportbox die Treppe rauf, das bedeutet nichts Gutes. Ich verkrieche mich in die hinterste Ecke und schaue sie flehend an. Nützt alles nichts, sie setzt mich in die Kiste. Wenigstens hat sie mein Lieblings-Frottiertuch reingelegt. Wir fahren mit dem Auto los. Aha, das sieht nach Tierarzt aus. Aber wieso muss ich mit? Ich bin weder verletzt noch krank. Dort angekommen, begeben wir uns ins Wartezimmer. Neben uns wartet ein Mann mit einer Bengal-Katze. So was Eingebildetes! Die Katze meine ich, nicht den Herrn. Wobei der auch etwas seltsam ist. Er redet ununterbrochen und erzählt, dass seine Katze eine reine Wohnungskatze sei, viel zu wertvoll, um ins Freie zu gehen. Da würde sie bestimmt gestohlen. Was bin ich froh, ein Freigänger-Kater zu sein, der dank Katzentörchen raus und rein kann, wie es ihm beliebt. Ich nehme das Eingebildet zurück und habe fast etwas Mitleid mit der Schönen. Der Arzt kommt, wir sind an der Reihe und dürfen ins Sprechzimmer. Ich werde gewogen, der Arzt untersucht mich genau und nickt dabei mit dem Kopf. Scheint alles gut zu sein, also nichts wie weg. Aber bereits fuchtelt er mit einer schwindelerregend langen Spritze vor mir herum. Ich habe nicht mal Zeit, mich fertig zu erschrecken, schon spüre ich einen Piks in der Schulter. Der Arzt macht einen Eintrag in mein Impfbüchlein und meint, dass wir nun mindestens ein Jahr warten können, bis zur nächsten Katzenimpfung. Was bin ich froh!

17 Uhr, Besuch beim Nachbarn

Wieder im GZ angekommen, verdrücke ich mich sofort durch das Katzentörchen nach draussen. Ich streune auf dem Spielplatz herum, aber da ist es mir zu laut, zu viele Kinder. Kinder mag ich ehrlich gesagt nicht besonders. Ich könnte wieder mal Herbert besuchen, der wohnt gleich nebenan und müsste jetzt zu Hause sein. Er hat keine eigenen Haustiere, weil er den ganzen Tag arbeiten muss, sagt er. Ich glaube, er freut sich immer sehr über meinen Besuch, jedenfalls serviert er mir jeweils Felix Gelee mit Huhn, was ich besonders mag. In letzter Zeit komme ich nicht mehr ganz so oft bei Herbert vorbei. Das hat einen Grund: Kürzlich haben die GZ-Menschen eine Vermisstmeldung aufgegeben, weil sie mich einige Tage nicht mehr gesehen haben und nicht gewusst haben, dass ich hier bin. Ich will sie ja nicht unnötig stressen. Nachdem ich gefressen habe, lege ich mich auf Herberts Sofa und döse ein.

19 Uhr, Leckerli-Fest

Fast hätte ich verschlafen, es ist Dienstag, 19 Uhr, die Leute vom Maltreff kommen. Und mit ihnen immer viele Leckerlis. Einmal strecken und herzhaft gähnen und los geht es. Ich begrüsse Mirjam mit einem freundlichen Schnurren und streiche ihr um die Beine. Entzückt greift sie in ihre Tasche und reicht mir ein Dreamy mit Lachs. Schmeckt himmlisch. Nur schade, dass ich von ihr immer nur eines erhalte pro Abend. Egal, Kurt hat bereits Harmony Cat Snacks Kängurus auf seiner Jacke verteilt. Ich springe auf seinen Tisch, stolziere direkt über sein Gemälde und geniesse die Kängurus. «Kommmmm Bus-Bus» ruft Ruth mit ihrer viel zu lauten Stimme und raschelt verschwörerisch mit einer Verpackung. Wann begreift sie endlich, dass ich kein Bus-Bus bin, sondern ein scharfkralliger Kater? Sie wirft mir ein Vitakraft Katzensnack entgegen. Der soll besonders gesund sein, sagt sie zu den anderen. Mir egal, mir schmeckt der nicht. Christiane vom Keramik-Atelier am Mittwoch bringt mir auch immer einen solchen mit. Bei ihr fresse ich ihn, mangels Alternativen. Aber heute ist Dienstag. Ich streiche um das Tischbein von Kurts Tisch, springe auf seine Jacke und warte. Ich weiss, er lässt sich erweichen und wird mir spätestens in fünf Minuten mehr  vorlegen. Und genau das tut er, gut erzogen, wie er ist.

21 Uhr, Schlafenszeit

Nachdem ich draussen noch eine Kontrollrunde gedreht habe, gehe ich wieder rein zu meiner Futterschale. Da hat unterdessen jemand das Nassfutter eingefüllt. Wie immer Felix Gelee, denn etwas anderes fresse ich aus Prinzip nicht. Da ich ziemlich satt bin, lecke ich nur das Gelee weg und lasse den Rest stehen. Kürzlich habe ich gehört, wie sich die Leute im Büro darüber gewundert haben, dass ich trotz dem vielen Futter so schön schlank bin. Wissen die nicht, dass man auch im Schlaf Kalorien verbraucht? Ich lege mich in meine Kartonschachtel und schlafe ein.

P. S. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden Personen wären rein zufällig. 

Terri Obrist, Bildung/Tier GZ Wipkingen

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