Aus der Höngger Zeitung
Spuren der Vergangenheit im Rütihof
Bei Bauvorhaben in archäologischen Zonen werden vor Baubeginn Sondierungen durchgeführt. So auch jüngst im Rütihof. Und tatsächlich wurden die Archäologen fündig. Ein Besuch vor Ort.
9. März 2024 — Dagmar Schräder
herum hat ein Bagger ein grosses, rechteckiges Loch ausgehoben. Auf dem gelben Bauwagen, der neben der Wiese steht, weist ein Schild darauf hin, wer hier zugange ist: die Kantonsarchäologie.
Sondierungen in archäologisch interessanten Zonen
Weil sich der Rütihof in einer archäologischen Zone befindet, in der aufgrund früherer Untersuchungen Funde vermutet werden können, werden hier bei Bauvorhaben vor Baustart Sondierungen durchgeführt. Dabei setzt ein Bagger einzelne kleine Sondierschnitte in den Boden, die Einblick in dessen Aufbau bieten. Bei dieser fast sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen orientiert sich der ausführende Grabungstechniker an auffälligen Stellen im Gelände oder an bereits bekannten Fundstellen, die Anzeichen für eine frühere menschliche Tätigkeit bieten könnten.
Bei diesen Sondierungen wurden hier im November nicht nur Scherben entdeckt, die aus der Bronzezeit stammen könnten, sondern ebenso Teile von vermutlich römischer Keramik. Die Scherben befinden sich zur Untersuchung bei der Stadtarchäologie. Aufgrund der Funde wurde beschlossen, eine Rettungsgrabung durchzuführen, die nun die Kantonsarchäologie übernommen hat.
Querschnitt durch die letzten 20’000 Jahre
Severin Aschwanden, der verantwortliche Projektleiter, empfängt die Reporterin vor Ort. In den schweren Lehmboden sind provisorische Treppenstufen geschlagen, die an diesem Tag wegen der starken Regenfälle kaum mehr begehbar sind. Dick klebt der Schlamm an den Schuhen, bei jedem Tritt schmatzt der Boden, es bedarf einiger Konzentration, nicht auszurutschen.
Die Grabung ist rund 1,2 Meter tief. Aschwanden deckt eine Plane auf, welche die Wand des Grabungsloches vor Regen und Erosion schützt und erklärt den Querschnitt durch den Boden, der hier zu erkennen ist. Deutlich zu sehen und mit feinen Markierungen gekennzeichnet sind die unterschiedlichen Bodenschichten, die verschiedene Zeitepochen repräsentieren. Die unterste Schicht, hell und lehmig, stellt die Moräne dar, die der Rhein-Linth-Gletscher zurückgelassen hat, der in der letzten Eiszeit bis in den Rütihof reichte und vor rund 24’000 Jahren seine maximale Ausdehnung erreichte.
Darüber befinden sich Schichten, die einen grossen Anteil an gröberen Steinen aufweisen – Hinweis auf einen Bach, der hier die Landschaft durchzog und die Steine als Ablagerungen hinterliess. Doch auch dunklere Schichten sind zu finden, mit kleinen, faserigen schwarzen Holzkohlestückchen, die eventuell Zeugnis menschlicher Tätigkeit sein könnten. Eine dieser Schichten könnte in der Bronzezeit entstanden sein, also in der Zeitspanne zwischen, grob gesagt, 2200 bis 800 vor Christus.
Spuren menschlichen Lebens
In der Grube wurde zudem eine auf einer runden Fläche erhaltene rötliche Schicht in einer Bodenabsenkung gefunden, die darauf hinweist, dass hier eine Feuerstelle gewesen sein könnte. «Die flächige Anordnung der Schicht deutet darauf hin, dass hier Menschen am Werk waren und nicht einfach ein Waldbrand oder ähnliches stattgefunden hat. Wahrscheinlich haben sich die Menschen die Topografie der Mulde zunutze gemacht und hier Feuer entfacht.» Des Weiteren wurden Anordnungen von Steinen entdeckt, die wohl nicht zufällig entstanden sind, sondern bewusst so angeordnet wurde
Menschlichen Ursprungs sind auch die Scherben, die hier gefunden wurden. Wobei – als historische Scherben kann sie nur eine Fachperson erkennen. Die dreckbedeckten Klümpchen, aussen rötlich und im Inneren schwarz, sehen für eine Laiin wie die Reporterin eher wie krümelige Überreste neuzeitlicher Ziegelsteine aus. Aschwanden erklärt jedoch, dass sich bronzezeitliche und moderne Keramik hinsichtlich ihrer Magerung (Technik der Herstellung) deutlich unterscheiden. Die vermutlich bronzezeitlichen Scherben weisen eine viel gröbere Magerung auf als Ziegel, auch kleine Steinchen sind in die Scherben eingeschlossen.
Datierung nicht einfach
Die Zuordnung der Fragmente zu einer bestimmten Epoche gleicht einer Detektivarbeit: «Anhand ihrer Form lässt sich vermuten, aus welchem Teil eines Gefässes die Scherbe stammt. Damit lässt sich im besten Fall eine ungefähre Gefässform ableiten. Diese wiederum lässt sich ungefähr einer Zeit zuordnen. Denn jede Zeit hat ihre charakteristischen Gefässe und Formen.» Manchmal, so Aschwanden, fänden sich auf den Scherben auch Fingernageleindrücke als Verzierung. Oder Fingerabdruckspuren.
Die genaue Datierung der Fundstücke ist allerdings schwierig. Als Vergleichsgrösse wird die Holzkohle, die ebenfalls im Boden gefunden wurde, mit der C14-Methode bestimmt. Dabei wird der Zerfall des radioaktiven Isotops C14 (ein Anteil des Kohlenstoffs) als Berechnungsgrundlage benutzt. Weil die Halbwertszeit des Isotops bekannt ist und C14 von Organismen nur so lange aufgenommen wird, wie sie leben, lässt sich anhand der Anzahl der in der Probe auffindbaren Isotope bestimmen, seit wann der Organismus nicht mehr lebt. Kalibriert werden diese Werte mit den Baumringsequenzen von fossilen Bäumen.
Direkter Draht zu unserer Vergangenheit
Bis jetzt können über die Herkunft der Scherben also nur Vermutungen angestellt werden. Die genauere Bestimmung soll nun das Labor liefern. Die Grabungen wurden in der vergangenen Woche abgeschlossen, der endgültige Bericht ist in ein, zwei Monaten zu erwarten. Doch auch ohne genaue Zahlen ist eindrücklich, was sich aus so einer unscheinbaren Wiese hervorzaubern lässt: Zeugen menschlicher Tätigkeit, die vielleicht seit mehr als 3000 Jahren hier im Boden schlummern. Wer diese Scherben wohl bereits in der Hand gehalten hat? Eine unglaubliche Vorstellung.
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