Starke Familienbande

Wenn Angehörige pflegebedürftig werden, stellt sich die Frage, wie es weitergehen soll. Wer übernimmt die Pflege – eine Institution oder ein Familienmitglied? Wir stellen zwei Familien vor, welche die Herausforderung der Pflege zu Hause angenommen haben.

Die Entscheidung über die Pflege eines Familienmitglieds ist nie einfach. (Foto: Pixabay.com)

Alt und pflegebedürftig zu sein, das wünscht sich niemand. Am besten geistig und körperlich frisch und rüstig bleiben bis ins hohe Alter und irgendwann zu Hause sanft einschlafen, das wäre der ideale Alterungsprozess. Doch die Realität sieht meistens anders aus: Ohne Unterstützung sind viele alte Menschen nicht mehr in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen, sei es infolge von körperlichen Gebrechen oder demenziellen Erkrankungen. In solchen Fällen sind – sofern vorhanden – die Familienangehörigen gefragt. Sie müssen meist schwierige Entscheidungen treffen: Soll die betroffene Person in ein Pflegeheim umziehen? Wird jemand engagiert, der die Pflege zu Hause übernimmt? Oder trägt die Familie diese Aufgabe? Sicher ist: Auch ein Leben mit Pflege ist lebenswert.Der «Höngger» hat mit zwei Frauen gesprochen, die oder deren Familien sich entschieden haben, die Verantwortung selbst zu übernehmen.

Zurück zur Mutter, zurück nach Berlin

Renate T. ist im vergangenen August nach Berlin gezogen, um ihre 92-jährige Mutter zu pflegen. Nun lebt sie jeweils drei Wochen pro Monat in Berlin, eine Woche wohnt sie in Höngg bei ihrer eigenen Familie. «Ich hatte schon länger so eine Ahnung, dass ich mehr Zeit bei meiner Mutter verbringen will», sagt Renate. «Es war jedoch nicht explizit geplant, dass ich zu ihr ziehe.» Bis zum vergangenen Sommer lebte die Mutter noch allein im Elternhaus. Dann aber wurde sie schwer krank, musste ins Spital. Aufgrund ihrer Herzinsuffizienz hatte sie Wassereinlagerungen in den Beinen, im Bauch- und im Brustraum. Danach ging es ihr sehr schlecht. Renate fuhr zu ihr, betreute sie nach dem zweiwöchigen Krankenhausaufenthalt zu Hause. Und ist geblieben. «Ich und meine beiden Brüder befürchteten, dass unsere Mutter nicht mehr lange lebt. Wir haben uns so organisiert, dass ich jeweils drei Wochen am Stück bei ihr bin und sich meine Brüder die letzte Woche im Monat abwechseln.»

Am Anfang sei die Aufgabe sehr herausfordernd gewesen, auch emotional. Die Mutter litt an Atemnot, die Familie war in ständiger Sorge. Doch dann kam die Wende, wie Renate erzählt. Zweimal wöchentlich erhielt die Patientin Besuch von einer externen Palliativpflege. Der Arzt erklärte Renate, dass die schnelle Atmung der Mutter nicht bedeute, dass sie in einem kritischen Zustand sei. «Das war für uns beide eine grosse Erleichterung», erinnert sie sich. Seither bessert sich der Zustand der Mutter stetig. Mittlerweile kann diese sogar wieder aufstehen und bis zum Badezimmer laufen. Auch mit Lesen hat sie wieder angefangen. «Ich denke, die Verbesserung hat sicherlich damit zu tun, dass sie im vertrauten Umfeld betreut wird», freut sich die Tochter.

Einsamkeit als Meditationsübung

Unterstützt wird sie bei der Betreuung nach wie vor durch den Palliativ-Pflegedienst: «Ich empfinde es als sehr hilfreich, dass die Pflege vorbeikommt. Ich kann mich mit Fragen an sie wenden und fühle mich entlastet und aufgemuntert.» Auch für Physiotherapie und für die Fuss- und Körperpflege kommen externe Pflegekräfte vorbei. Eine Haushaltshilfe ist für Putzarbeiten da. Die Nachbarschaftshilfe springt ein, wenn Renate mal aus dem Haus muss. Doch die restlichen Aufgaben übernimmt sie selber.

Das ist schön, aber auch anstrengend. Mehr als zwei Stunden pro Tag kann sie die Mutter nicht allein lassen. Und viel Zeit für sich bleibt ihr auch nicht. Zuweilen fühlt sie sich ausgelaugt und müde. Zudem ist es für die fünffache Mutter, die ein lebendiges Familienleben gewohnt ist, mitunter sehr still und einsam im Elternhaus. «Ich betrachte das dann einfach als Meditationsübung», versucht sie sich in schwierigen Momenten zu helfen. «Ich bin froh, dass ich hier im Haus leben kann, wo ich mich wohl fühle. Schön wäre es allerdings, mit noch mehr Menschen zu leben, ein gemeinschaftliches Wohnprojekt zu haben.»

Ihre Familie besucht sie zwar regelmässig, doch auch für ihren Mann und die Kinder ist die Situation eine Umstellung, selbst wenn die Kinder bereits volljährig sind und längst nicht mehr alle zu Hause leben.
Trotz aller Herausforderungen ist Renate aber überzeugt davon, das Richtige zu tun. Ihr ist es wichtig, für die Mutter da zu sein. Ein Pflegeheim könnte sie sich für sie nicht vorstellen. Und mit ihrem Engagement möchte sie auch ein Zeichen setzen, ein Vorbild für die Gesellschaft darstellen.

Pflege als Berufung

Bei der Familie von Katharina V. ist es ihre älteste Schwester Margarita, die die Pflege der Mutter übernommen hat. Katharina lebt in Höngg, Mutter und Schwester sind in Deutschland. Nachdem der Vater im Alter von 90 Jahren gestorben war, lebte die Mutter noch eine Weile allein im Haushalt, litt jedoch zunehmend an Demenz. Margarita wohnte ohnehin bereits in der Nähe der Mutter und war häufig dort zu Besuch. Im Jahr 2013, da war die Mutter bereits 90, entschloss sich Margarita, zurück ins Elternhaus zu ziehen. Seither lebt sie dort.

In den ersten Jahren arbeitete Margarita parallel zur Pflege als Betreuerin einer querschnittsgelähmten Dame. Die Mutter konnte zweimal wöchentlich eine Tagespflege in einem Heim besuchen und war an den sonstigen Tagen in der Lage, für einige Stunden allein zu Hause zu sein. Seit drei Jahren widmet sich Margarita ausschliesslich der Pflege der Mutter, die Betreuung hat sich in dieser Zeit intensiviert. Bis vor einem Jahr waren noch gemeinsame Spaziergänge möglich, auch in die Kirche konnte sie ihre Mutter noch mitnehmen. Seit dem vergangenen Jahr ist die Mutter aber nun bettlägerig und Mahlzeiten müssen ihr mit der Pipette eingeflösst werden. Verbal kommunizieren kann sie nicht mehr.

Katharina und die anderen drei Geschwister sind in regelmässigem Austausch mit der Schwester, besuchen die beiden, so oft sie können und es die Entfernung zulässt. Doch die Pflege ist praktisch ausschliesslich die Aufgabe von Margarita. Ferien hat diese in den vergangenen zehn Jahren nie gemacht – auch wenn die Geschwister ihr das angeboten haben. «Zu Beginn hatte ich schon ein etwas schlechtes Gewissen gegenüber Margarita. Wir als Familie profitieren natürlich alle davon, dass sie die Pflege übernommen hat, für uns andere wäre das nicht so einfach möglich gewesen», gesteht Katharina. «Ich habe mich manchmal gefragt, ob sich meine Schwester nicht für uns aufopfert.»

So würde Margarita es aber nicht sehen, erklärt sie. Anders als ihre Geschwister habe sie keine Partnerschaft oder Familie und auch die Jobsituation sei damals, als sie die Betreuung übernommen habe, unbefriedigend gewesen. Sie pflege die Mutter gerne, auch wenn sie keine ausgebildete Pflegefachkraft sei. Das Verhältnis zwischen den beiden sei sehr harmonisch, ausserdem, so berichtet Katharina, schätze es Margarita selbstverantwortlich tätig zu sein: «Da ist sie ihr eigener Chef, völlig unabhängig von Arbeitgebern, und kann sich ihre Zeit selbst einteilen», berichtet sie.

In der Zwischenzeit hat sie sich frühpensionieren lassen. Einen finanziellen Zustupf erhält sie durch die staatlichen Pflegebeiträge, die ihrer Mutter ausgezahlt werden. Und wo ihre Geschwister Kinder hätten, die sie betreuen, habe sie nun ihre Mutter.

Wie es weitergehen kann, wenn es nicht möglich ist, Patient*innen in den eigenen vier Wänden zu versorgen, erfahren Sie in diesem Interview mit der Sozialarbeiterin des Gesundheitszentrums für das Alter Bombach, Marion Meier.

Pflegebedürftige Menschen bleiben heute länger zu Hause

85 Langzeit-Pflegeinstitutionen gibt es, einer Publikation des Kantons Zürich aus dem Jahr 2021 zufolge, in der Stadt Zürich. Eine davon ist das Gesundheitszentrum für das Alter Bombach. Ein Gespräch mit der Sozialarbeiterin des Hauses, Marion Meier.

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