Sturzverletzungen im Winter

Der Unfallchirurg und Orthopäde Dr. med. Matthias Schenkel kennt sich mit Brüchen und Schulterverletzungen aus. Er arbeitet seit ein paar Monaten am Standort Waid des Stadtspitals Waid und Triemli. Im Interview beantwortet er Fragen zu Knochenfrakturen und Muskelrissen.

Schlecht unterhaltene Treppen stellen ein grosses Unfallrisiko dar.

Unfallchirurgen und Orthopäden haben im Winter speziell viel zu tun. Welche Verletzungen treten auf?

Dr. Matthias Schenkel: Im Winter sehen wir gehäuft Verletzungen nach Stürzen auf rutschiger Unterlage. Besonders ältere Menschen, die schon eine gewisse Gangunsicherheit aufweisen, sind gefährdet. Bei Senioren kommt es deshalb oft zu Oberschenkelhalsbrüchen, gelenksnahen Oberarmfrakturen oder Handgelenkbrüchen. Bei den jüngeren Patienten sind es Knochenbrüche der Extremitäten, die nach Stürzen beim Sport oder im Strassenverkehr auftreten.

Das Schultergelenk wird durch die Rotatorenmanschette stabilisiert. Was ist das?

Die Rotatorenmanschette besteht aus vier Muskeln: Musculus supraspinaus, infraspinatus, subscapularis und Musculus teres minor. Sie sind der «Motor» des Schultergelenks. Reisst einer dieser Muskeln, kann es zu einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung kommen. In diesen Fällen ist es notwendig, gerissene Sehnenmuskel-Einheiten zu rekonstruieren. Gerade bei jüngeren Patienten ist auf jeden Fall eine Rekonstruktion anzustreben, da der gerissene Muskel sonst degeneriert: Das Muskelgewebe wandelt sich irreversibel in Fettgewebe um und funktioniert nicht mehr. Ist die Verletzung noch frisch, besteht die Standardtherapie heutzutage in der arthroskopischen Rekonstruktion mit der sogenannten Schlüssellochtechnik.

Warum brauchen ältere Menschen bei Schulter- und Armfrakturen allgemein unterschiedliche Therapien?

Bei schultergelenksnahen Frakturen von älteren Patienten, bei denen eine Rekonstruktion zum Beispiel wegen brüchiger Knochen nicht erfolgsversprechend ist, kann eine sogenannte Inverse Schulterprothese eingebaut werden. Dies hat den Vorteil, dass der Patient die Schulter und den Arm unmittelbar nach der Operation wieder benutzen kann. Das Knochenheilungsproblem bei älteren Menschen stellt sich damit nicht mehr und die Nachbehandlung mit Physiotherapie ist erheblich einfacher.

Für Laien ist die Inverse Schulterprothese faszinierend, weil sie die Anatomie auf den Kopf stellt. Wie funktioniert sie?

Diese spezielle Schulterprothese wurde in den späten 80er-Jahre von Paul Grammont entwickelt. Wie wir wissen, zerfällt die Rotatorenmanschette mit zunehmendem Alter – auch ohne Verletzung. Dies kann dazu führen, dass der «Motor» des Schultergelenks komplett ausfällt und die Betroffenen ihren Arm nicht mehr bewegen können. Grammonts geniale Idee war es, mit dem Einbau einer Inversen Schulterprothese das Drehzentrum des Schultergelenks mittig nach aussen zu versetzen. Die Prothese optimiert so den Hebelarm des Musculus deltoideus, der wie eine grosse Kappe auf dem Schultergelenk liegt. Dieser Deltamuskel übernimmt die «Motorfunktion» des Schultergelenks. Der Patient kann auch ohne funktionierende Rotatorenmanschette den Arm wieder in alle Richtungen frei bewegen.

Was ist der Unterschied zu normalen Schulterprothesen?

Eine Anatomische Schulterprothese setzt eine funktionierende Rotatorenmanschette voraus. Sie wird vor allem bei jüngeren Patienten mit einer fortgeschrittenen Arthrose eingesetzt. Der Chirurg ersetzt nur die zerstörten Anteile des Gelenks, den Oberarmkopf und die Gelenkpfanne. Leider wissen wir, dass die neue Gelenkpfanne nach über zehn Jahren oft auslockert. In diesen Situationen besteht die Option, auf eine Inverse Schulterprothese zu wechseln.

Wenn Frakturen schon bei kleinen Fehltritten und Unfällen auftreten, könnten die Betroffenen an Knochenschwund leiden.

Ja, genau. Prinzipiell empfehlen wir bei jedem Bruch, der nach einem Bagatelltrauma aufgetreten ist, eine Osteoporose-Abklärung. Die meisten Versicherungen bezahlen diese Untersuchung auch nach einem Bruch. Die sogenannte DEXA-Abklärung beinhaltet spezielle Röntgenaufnahmen und kann im Institut für Radiologie und Nuklearmedizin an den Standorten Waid und Triemli durchgeführt werden. Die Rheumatologen des Stadtspitals Waid und Triemli bieten die Auswertung und Beratung für die Betroffenen an beiden Standorten an. Diese Zusammenarbeit funktioniert ausgezeichnet.

Das Interview führte Dr. med. Markus Meier

Weitere Informationen
www.waidspital.ch/schulter

Notfallzentrum Stadtspital Waid
Zu diesem Notfallzentrum gehören eine
Notfallpraxis und eine Notfallstation.
Es ist an 365 Tagen im Jahr rund um
die Uhr geöffnet und stets erreichbar
unter Telefon 044 417 11 11.
www.waidspital.ch/notfallstation

0 Kommentare


Themen entdecken