Tausche Transporte gegen Hundespaziergänge

Beim «Tauschen am Fluss» kann jede*r seine Fähigkeiten einbringen und Dienstleistungen anbieten. Wer sie in Anspruch nimmt, bezahlt in Stunden, die dann an anderer Stelle wieder abgeleistet werden können. Ein Selbstversuch.

Beherztes Zupacken: Dank Micha kommt der alte Schrott endlich weg. (Foto: Dagmar Schräder)

An diesem Dienstagabend ist Feierabendtreff. Im Kafi Tintenfisch im GZ Wipkingen versammeln sich Mitglieder und Interessierte von «Tauschen am Fluss» zum gemütlichen Austausch. Auf den Tischen sind kleine Marktstände aufgebaut, an denen Selbstgemachtes, Konfitüre und Secondhandsachen angeboten werden. Hinter dem Tresen steht Sonja und verkauft ihre veganen Sandwiches. Bezahlt werden kann in der Währung des Netzwerks, in Zeit.

Nach und nach trudeln die Gäste ein, der Raum füllt sich, es sind sicher 30 Personen hier versammelt. Man kennt sich, plaudert, tauscht sich aus. Die Stimmung ist gelöst und familiär. Gegen halb acht eröffnet Ursula von der GZ-Quartierarbeit den Abend, die Vorstellungsrunde beginnt. Jede*r erzählt, was sie/er zu bieten hat – und wo der Bedarf liegt.

Vom Sauerteigbrot bis zur Gesangsstunde
Das Angebot ist gross. Ich bin heute zum ersten Mal mit dabei und bin beeindruckt davon, was die anderen alle für Talente auf den Markt bringen. Von der Hilfe bei Computerangelegenheiten über Gesangsstunden, Putzarbeiten, Unterstützung bei Transporten oder Entsorgungen, Näharbeiten, Massagen, handwerkliche Unterstützung und Reparaturarbeiten bis hin zu Brot backen inklusive Verteildienste steht hier eine breite Palette an Dienstleistungen zur Auswahl. Sogar eine Ferienwohnung in Spanien ist im Angebot. Grossartig.

Ich könnte fast bei jedem der Angebote zugreifen. Handwerklich und in punkto Handarbeit bin ich nicht die Geschickteste, Kochen liegt mir nicht, für Putzarbeiten fehlt meist die Zeit und der Computer macht oft Dinge, die ich nicht verstehe. Ich glaube, ich bin die ideale Tauschpartnerin, zumindest was den Bezug von Dienstleistungen betrifft. Bei meinem Angebot bin ich mir nicht so sicher. In der Vorstellungsrunde erwähne ich, dass ich mich gerne um Tiere kümmere, mit Hunden spazieren gehe oder die Katzen in den Ferien füttern würde. Auch Schreibarbeiten kann ich anbieten, Briefe, offizielle Dokumente ausfüllen oder Korrekturlesen. Mal schauen.

Durchdachtes System
Das System ist ausgeklügelt. Auf der Online-Plattform Cyclos werden alle Mitglieder registriert, mittlerweile sind es über 300. Hier werden die Inserate zu den Angeboten geschaltet, hier können die Tauschgeschäfte abgewickelt werden. Gleichzeitig dient die Plattform auch als Bank, auf der das Guthaben der Mitglieder verwaltet wird. Dabei gilt die Devise: Eine Stunde ist eine Stunde: Alle Tätigkeiten sind gleichwertig. Wer eine Stunde Arbeit investiert, erhält vom Tauschpartner/der Tauschpartnerin eine Stunde Guthaben überwiesen. So können die Dienstleistungen beliebig ausgetauscht werden und ich muss nicht jemanden finden, der zufällig genau das braucht, was ich anbiete, wenn ich seine Dienste in Anspruch nehmen will. Ein kleines Guthaben kann man anhäufen, auch Schulden sind möglich, mehr als 30 Stunden im Plus oder Minus gehen aber nicht. Schliesslich geht es um den Austausch.

Einmal Hagenholz und zurück
Doch ich muss mich jetzt für meinen Selbstversuch entscheiden. Welchen Tauschdeal soll ich annehmen? Wer die Wahl hat, hat die Qual. Ich entscheide mich für Entsorgungsarbeiten. Micha bietet an, bei Mobility einen grossen Transporter zu mieten, beim Beladen zu helfen und zur Entsorgung zu fahren. Das ist ein äusserst praktisches Angebot. Auf meinem Gartengrundstück hat sich in den letzten Jahren so einiges angesammelt und die Entsorgungsunternehmen, die den Müll gegen Bezahlung mitnehmen würden, fahren nicht bis zu meinem Grundstück. Micha aber schon.

Pünktlich um zehn erscheint er mit dem roten Mobility-Transporter beim Treffpunkt, ich steige ein. Wir haben uns zwar noch nie vorher gesehen, doch das macht nichts. Das Tauschen verbindet. Wir steigen bei meinem Grundstück aus, Micha zieht sich Handschuhe an und fängt an, Müll einzuladen. Ich helfe ihm. Schnell kommen wir voran, er kann richtig zupacken. Der Transporter füllt sich, mein Grundstück leert sich – gut, da wäre noch eine ganze Menge, die bei einem nächsten Mal durchaus auf so einen Transport mitkommen könnte.

Und schon gehts los in Richtung Hagenholz. Wir sind nicht die Einzigen hier, und ich wäre angesichts der Grösse des Entsorgungsbetriebs hoffnungslos überfordert, aber Micha kennt sich aus. Zielsicher lenkt er den Transporter zwischen zahlreichen anderen roten Mobilitys (hier stecken die also alle) zum richtigen Ort. Wir sind richtig schnell. Bald ist das Auto leer, zurück zur Waage, ein paar Entsorgungscoupons abgegeben und wieder nach Hause. Ein netter Ausflug – und wir sind sogar schneller zurück als gedacht. Es ist schon angenehm, wenn jemand Wildfremdes ohne zu zögern Arbeiten übernimmt, die ich jetzt monatelang vor mir hergeschoben habe. Und ich muss nicht mal ein schlechtes Gewissen haben, schliesslich ist sein Einsatz nicht gratis – nur unentGELDlich. Fühlt sich echt gut an. Jetzt nur noch die Mobilityrechnung bezahlt und die drei Stunden auf Michas Konto überwiesen und wir sind quitt.

Muss nur noch jemand mein Angebot in Anspruch nehmen. Denn momentan ist mein Konto im Minus. Macht nichts. Ich hoffe mal drauf, dass sich demnächst jemand meldet, dessen Hund dringend mal wieder einen Spaziergang braucht. Oder Hilfe beim Schreiben eines Briefes. Ich bin bereit.

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