Unterwegs mit Höwi: Das Quartierrestaurant mit Zusatznutzen

Jetzt blüht der Holunder. Zu entdecken an der Nordstrasse oder bei der Kirche Guthirt. Doch was Höwi am meisten freut: Genau jetzt erscheint dieser nach Zitronen duftende Sommerbote auch auf einem Dessert im Restaurant SAHltimbocca.

Gruppenbild vor dem Restaurant, das bringt «Stimmung»! Sitzend: Pascale Suter.
Die Holunderblüten sind ebenfalls essbar. Einige verirren sich ohnehin ins Glacé, auf die Brombeeren oder die Crêpe, die – Chantal sei Dank! – hauchdünn auf dem Teller liegt.
Ranjinithevy Sribavan: «Das Wichtigste für mich ist Arbeit».
Ronaldo Calderon, während der Junta-Zeit aus Chile geflüchtet.
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Eine Crêpe, frische Brombeeren und eine Kugel Vanilleglace: Da kommt Freude auf. Und weil da zuoberst auf dem Rahmtupf noch eine Holunderblüte thront, gibt es sogar Applaus. Klar, die Blüten sind nur eine dekorative Zugabe. Aber in Zeiten, wo jedes Restaurant von sich behauptet, es koche «saisonal», macht dieser filigrane Sommerbote klar: Im «SAHltimbocca» ist das keine Leerformel, hier wird saisonal gelebt. Chantal Brandenberger, Fachleiterin Patisserie, hat die Blüten am Vortag einer Kollegin abgeluchst, die einen Holunderbaum im Garten hat. Auch das Glacé ist nicht irgendeines, wie man sofort merkt. Es stammt von «Sorbetto», dem Icecream-Macher an der Rotbuchstrasse. Noch einer, der die Natur respektiert und längst eine Filiale in Höngg eröffnen sollte. Das wär doch was, oder Heinz Entzeroth?

SAHltimbocca? Hat sich da ein «H» verirrt?

Das hat sich Höwi auch gefragt. Des Rätsels Lösung? Die drei Grossbuchstaben sind das Kürzel des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks (SAH) Zürich, eines selbständigen, unabhängigen Vereins. Er hat 2010 den ehemaligen «Eulenspiegel» übernommen und eine Quartierbeiz gemacht, die vom Konzept her für Zürich einmalig ist: «Bei uns können Leute, die beim RAV angemeldet sind, zeitlich befristet arbeiten und so ihre Chancen im Arbeitsmarkt verbessern», erklärt Pascale Suter. Sie hat das «SAHltimbocca» mitentwickelt und leitet den Betrieb. Zehn Profis stehen in der Küche, in der Patisserie und im Service, dazu kommen gegen dreissig Stellensuchende, die meisten mit Migrationshintergrund.
Emina Tomic ist eine von ihnen. Die Serbin kam vor zehn Jahren in die Schweiz. Dass sie mehrere Jahre bei «Cupcake Affair» gearbeitet hat, merkt man, wenn sie die Rahmtupfer mit dem Spritzsack gekonnt auf die Desserts setzt. «Toll finde ich, dass wir alles selber machen, auch die Kuchen, das Brot und die Pralinen. Viele Gäste kommen sogar nur wegen der Patisserie.»
Ebenfalls temporär im «SAHltimbocca» ist Ranjinithevy Sribavan. Sie stammt aus Sri Lanka und ist seit 1991 in der Schweiz. Im Moment schnetzelt sie den Lauch, der als Gemüsebeilage zum Saibling und zum Vegi-Menü, den frittierten Champignons, serviert wird. «Das Hotel, in dem ich lange gearbeitet habe, wird zur Zeit umgebaut, deshalb bin vorübergehend arbeitslos», erklärt sie. Und fügt einen Satz hinzu, den fast alle sagen: «Das Wichtigste für mich ist Arbeit, dann bin ich glücklich.»
Auch ein ehemaliger Profifussballer ist im Team. Ronaldo Calderon heisst er und bereitet die Avocado-Mayonnaise zu, die ebenfalls Bestandteil der Mittagsmenüs ist. Als die Regimekritiker von der Junta in Chile zu Tausenden umgebracht wurden, ist er in die Schweiz geflüchtet. Da seine Familie im Ferienort Viña del Mar ein Restaurant führte, in dem er jeweils auch am Herd stand, fand er rasch eine Stelle in der Gastronomie. Nun braucht er aus gesundheitlichen Gründen einen anderen Job und wird gecoacht. Oben im Haus sitzen mehrere SAH-Berater, welche die Stellensuchenden professionell unterstützen. «Wenn sie arbeitslos werden, fehlt den meisten eine Tagesstruktur», sagt Pascale Suter. «Die Kombination von Arbeit, Coaching und fachlicher Weiterbildung hilft ihnen, sich beruflich wieder zu integrieren.» Suter, ursprünglich Krankenschwester, dann im Personalwesen und im Projektmanagement tätig, setzt im «SAHltimbocca» auf eine klassisch-internationale Küche. «Unsere Gerichte sind aber auch immer wieder für eine Überraschung gut. Mal ist ein Libanese bei uns, der Mezze macht, oder wir haben Leute, die sich in Currys perfekt auskennen. Diesen weiten Blick in die Welt versuchen wir bei den Menüs umzusetzen, stets auch mit vegetarischen Gerichten.»

Kritik?

Klar! Die erste geht an die Küche: Die Menügestaltung dürfte gerne noch kreativer sein. Warum nicht jeden Monat ein Gericht aus der Heimat eines Mitarbeiters auf die Karte setzen? Cazuela zum Beispiel, Rolandos «Heimwehmenü». Wobei man ergänzen könnte, dass der Chilene zwischenzeitlich das «Züri-Gschnätzelte» fast lieber mag. Warum? Weil er früher viel in den Schweizer Bergen gewandert ist und in den Restaurants stets dieses Gericht auf der Karte stand. Dazu gleich eine Bitte an die Redaktion: Die Leute im SAHltimbocca haben extrem spannende Storys, darüber hätten die Leserinnen und Leser sicher noch gerne mehr erfahren. Deshalb: Höwis Kolumne braucht mehr Platz! Dann ein Rüffel an die Stadt wegen der Parkingmeter: Nur eine Stunde Parkzeit? Das genügt nicht, um in Ruhe zu essen, zumal im Menüpreis (19.50 Franken) auch eine Suppe oder ein Salat und ein Kaffee inbegriffen sind. Frage an Petrus: Warum hat es den ganzen Tag geregnet? Höwi hätte gerne draussen auf der Terrasse gegessen. Und zum Schluss nochmals Blumen: Wissen Sie, was Pascale Suter sagte, als Höwi den Termin kurzfristig verschieben musste? Kein Problem! Obwohl das ihre Organisation gewaltig durcheinander brachte. Soviel Flexibilität ist selten im Gastrogewerbe. Danke!

Höwi

 

SAHltimbocca
Lägernstrasse 37, 8037 Zürich
Montag bis Freitag 8 bis 22 Uhr, Mittagessen 11.30 bis 13.30 Uhr.
Täglich drei wechselnde Mittagsmenüs, kleine, feine Abendkarte.
Am Freitag Cordonbleutag.
Telefon 044 350 55 45
www.sah-zh.ch

 

Zum Autor
Er nennt sich Höwi, ist ein stadtbekannter Gastrokritiker und Buchautor und schaut den kochlöffelschwingenden Profis im Kreis 10 in die Töpfe. Die Gastrokolumne erscheint monatlich im «Höngger» und alle drei Monate im «Wipkinger».

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