Was uns von den Toten bleibt

Das Projekt «Was Weiter Lebt» des Wipkinger Künstlers Christoph Zihlmann befasst sich mit der Frage, was Menschen in anderen hinterlassen, wenn sie sterben.

Der Kuenstler Christoph Zihlmann bei der Arbeit für seine Ausstellung im Krematorium Nordheim in Zuerich.

Im letzten Jahr hatte der Architekt und Künstler, der seit bald 20 Jahren in Wipkingen lebt und arbeitet, die Künstlerin Marianne Iten Thürig bei ihrer Ausstellung «Furchtlos» im Krematorium Nordheim begleitet. «Die Kraft und Qualität dieses Ortes faszinierten mich vom ersten Moment an», sagt Zihlmann im Gespräch, «für mich ist das einer der schönsten und stimmungsvollsten Plätze in Zürich». Die Gänge, deren Wände und Boden aus Naturstein sind, umschliessen einen Innenhof, «ich stellte mir vor, mit diesen Wänden im Rücken auf den Hof und in den Himmel zu blicken. Für mich war da gleich eine Verbindung, eine Analogie: Man steht in der materiellen Welt und schaut hinaus in eine andere, offenere und unbekannte Welt». Das war einer der Gründe, die ihn dazu bewogen, Rolf Steinmann, den Leiter des Bestattungs- und Friedhofamts anzufragen, ob er selber eine Ausstellung im Nordheim realisieren könnte.

Die grossen Themen unvoreingenommen angehen

Die Kunst hat den gebürtigen Luzerner schon früh begleitet, bereits als Kind und Jugendlicher malte und zeichnete er viel. Besonders in schwierigen Momenten fand er darin eine wichtige Ausdrucksform. Mitte der 80er-Jahre konnte er erstmals in Zürich ausstellen und erhielt daraufhin ein Stipendium im Centre Genevois de Gravure Contemporaine, einem Druckatelier in Genf. Dort lebte er einige Jahre und widmete sich neben seiner Arbeit als Architekt intensiv der Kunst. Sich tiefgehend mit den grossen Themen des Lebens zu befassen, interessierte ihn schon immer. «Ich denke, dass Tod und Sterben für uns lebende Menschen unfassbare Ereignisse sind. Gerade deshalb sind sie auch stark mit Hoffnungen und Befürchtungen verbunden», meint Zihlmann. «Sie laden ein, sich Vorstellungen dazu zu machen und aus diesen bestimmte Weltbilder zu entwickeln. Das macht es schwierig, einfach mit offenen Augen hinzusehen. Und das ist genau das, was mich interessiert: Möglichst unvoreingenommen und offen auf das Thema zuzugehen».

Wie viel «Ich» bin ich?

Er fragte sich, was nach dem Tod einer wichtigen Person in einem weiterlebt. «Ich habe beobachtet, dass vieles von dem, was mich ausmacht, mit anderen Dingen und Personen zusammenhängt. Zum Beispiel unsere ganzen Traditionen und Gewohnheiten; wie wir kochen, essen, leben: Das haben Generationen vor uns entwickelt, wir haben es nicht erfunden. Auch die meisten Wertvorstellungen wurden uns von unseren Vorfahren, Freunden, Lehrern oder auch Büchern mitgegeben. Das müssen nicht zwingend Verwandte oder Bekannte sein, sondern können auch Idole sein oder Zufallsbekanntschaften. Ich habe den Eindruck, es gibt zwar so etwas wie ein <Ich>, dieses <Ich> setzt sich aber aus ganz viel anderem, sozusagen aus ganz viel <Nicht-Ich> zusammen». Dieser Gedanke war ebenfalls ein Ausgangspunkt für seine aktuelle Arbeit: Wenn Menschen sterben, was von ihnen lebt in anderen Menschen weiter?

Wie Menschsein weitergegeben wird

Schliesslich habe ihn auch eine Arbeit seiner Partnerin Ursina Vogt inspiriert. Mit «Nackte Schönheiten erwecken» hat sie vor zwei Jahren ein Kunstprojekt realisiert, das sich mit nackten Frauenfiguren in der Stadt Zürich auseinandersetzte. Die meisten dieser Skulpturen sind namenlos und haben keine wirkliche Stellung im Leben, während die Statuen von Männern oft historische Persönlichkeiten darstellen. Bei den Frauen sei es anscheinend vor allem wichtig, jung und schön zu sein. Vogt hatte Freunde und Bekannte dazu eingeladen, anderthalb Stunden mit einer «Nackten Schönheit» zu verweilen, ihr einen Namen und vielleicht eine Geschichte zu geben und sie mit einer bestickten Krawatte symbolisch zu bekleiden. «Ihr Projekt hat mich dazu inspiriert, ebenfalls mit Menschen zusammenzuarbeiten und nicht nur für mich alleine in meinem Atelier», erzählt der Künstler, «etwas, das ich vorher noch nie so gemacht habe». Also verschickte er rund 200 Mails an seinen Bekanntenkreis mit der Bitte, ihm ein Foto eines verstorbenen Menschen zu senden, ergänzt mit einem Text, was von dieser Person heute in einem weiterlebt. Entstanden ist eine Ausstellung mit gut 55 Porträts zum Thema, wie Menschsein weitergegeben wird. Der Künstler hat die Gesichter der Verstorbenen direkt auf die Fenster zum Hof des Krematoriums gemalt und sie mit den entsprechenden Texten versehen. Es habe keine Auswahl gegeben, er habe alles verwertet, was er erhalten habe. Die Texte mussten teilweise gekürzt werden, in ihrer ganzen Länge sind sie in einer Broschüre festgehalten.

Nicht bloss Autor, sondern Teil des Projektes

Zu sehen ist das Werk im Krematorium Nordheim noch bis zum 12. Oktober. Und was nimmt der Künstler mit von dieser Erfahrung? «Die ganze Arbeit war unglaublich befriedigend für mich, wobei ich immer noch daran bin, herauszufinden, woran das genau liegt», spricht Zihlmann mehr zu sich selber. «Es ist ein Gewinn für mich, weil ich mich komplett darauf einlassen konnte. Ich war nicht bloss Autor des Projekts, sondern wurde bis zu einem gewissen Grad selber Teil des Projektes, konnte mich mittreiben lassen von einer Arbeit, die sich in etwas Eigenständiges entwickelte». In Erinnerung bleiben ihm auch Begegnungen mit Besucher*innen der Ausstellung. Im Austausch über verstorbene Personen, zum Beispiel über die eigenen Väter, erreicht das Gespräch sofort und unausweichlich eine Tiefe, die eine Verbindung zwischen den Sprechenden herstellt. «Über die Kunst ist es möglich, sich selber und andere tiefer und besser kennenzulernen. Das finde ich immer wieder erstaunlich und faszinierend. In solchen Momenten fühle ich mich beschenkt».

«Was Weiter Lebt»
Ein Projekt von Christoph Zihlmann. Ausstellung im Krematorium Nordheim, Käferholzstrasse 101, 8046 Zürich. Montag bis Freitag, 8.30 bis 16.30 Uhr; Samstag und Sonntag, 8.30 bis 11.30 Uhr. Die Ausstellung läuft noch bis zum 12. Oktober. www.christophzihlmann.com

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